„Gottesdienst ist große Chance“: Nieheims neuer Pfarrer im Porträt

Nieheim/Kreis Höxter. Ein bisschen prophetische Weitsicht muss Ralf Jung gehabt haben: Noch bevor er wusste, dass er als neuer evangelischer Pfarrer in die Gemeinde nach Nieheim geschickt würde, hatte er sich mit seiner Partnerin in der Ackerbürgerstadt ein Haus gekauft. Er war schon da, bevor er offiziell hingeschickt wurde. Noch seien nicht alle Kisten ausgepackt, berichtet der 60-Jährige. Und viel Zeit hat er im Moment auch nicht dafür, denn neben den ersten Gottesdiensten verwendet er viel Zeit darauf, die Menschen der Gemeinde kennen zu lernen. Vor allem die, die in den Gremien mitarbeiten. Da plötzlich als neuer Pfarrer mit eigenen Ideen reinzuplatzen, ist gar nicht so einfach. Denn die Gemeinde der Ackerbürgerstadt musste viele Jahre ohne eigenen Seelsorger auskommen und hat das dank engagierter Christen auch ganz gut hinbekommen. &bdquo;Das sind natürlich gewisse Spuren selbstständig eingelaufen worden.“ Jetzt braucht man erstmal Zeit, sich aneinander zu gewöhnen. Gemeinde mit 7.500 Mitgliedern Und an den Pfarrer, der vielleicht auch mal eigene Ideen mit einbringt. Dass beim Besuchsdienst für ältere Gemeindeglieder, die Geburtstag haben, kein Geistlicher gebraucht wird, für Jung eine neue Erfahrung. Noch nicht mal bei den runden Jubiläen. Nieheim ist Teil der Großgemeinde, die sich offiziell den sperrigen Namen Evangelische Christus-Kirchengemeinde Emmer-Nethe gegeben hat, und zu der auch Brakel, Marienmünster, Steinheim und Lügde gehören. Ralf Jung hierher als Vertretungskraft geschickt worden, der die beiden Pfarrer Volker Walle (Brakel) und Holger Nolte-Guenter entlasten soll. Immerhin hat die Gemeinde rund 7.500 Gemeindeglieder. Schwerpunkt seiner Tätigkeit sollen aber Nieheim, Marienmünster und Steinheim sein. Die Bundeswehr hat ihn geprägt Lange Wege, räumt Ralf Jung nach seinem ersten Eindruck ein. Aber so ganz ungewohnt ist das für ihn nicht. Er hat schon mal 20 Jahre im Gemeindedienst gearbeitet, weitgehend im Kirchenkreis Steinfurt-Coesfeld-Borken, den man auch getrost ländlich nennen kann. Auch die &bdquo;Springer“-Aufgabe ist für ihn nicht neu. Er hat diese schon einige Jahre in Herford übernommen und sieht darin auch den Vorteil einer gewissen Unabhängigkeit. In den vergangenen zwölf Jahren aber hatte er eine völlig andere Aufgabe: Er begleitete junge Soldaten in Höxter und Holzminden als Militärpfarrer. Auch auf Auslandseinsätze. &bdquo;Weihnachtsgottesdienst in der Kaserne in Kabul“ – das prägt. Er erzählt von der Nähe zu den Soldaten, für die er – schon wegen seines Alters – manchmal wie eine Vaterfigur gewesen sei. Andersherum spürte er große Anteilnahme der Truppe, als seine Frau an einer Krankheit starb. Zum Auftakt ein Sitzungsmarathon Als Leutnant der Reserve hätte er die Aufgabe bei der Bundeswehr gern noch etwas länger übernommen, aber es gibt nun mal so gut wie keine Ausnahmen von der Zwölf-Jahres-Frist. Der Abschiedsgottesdienst in Corvey mit all den Kameraden war für ihn beeindruckend, wenngleich nicht leicht. Als Militärpfarrer hat Jung in den vergangenen Jahren in Godelheim gewohnt und auch hier natürlich in der Gemeinde mitgearbeitet. Nieheim, wenngleich keine 30 Kilometer entfernt, ist Neuland für ihn. Kein Problem für den Geistlichen. &bdquo;Ich traue mir zu, den Grundbetrieb von heute auf morgen zu übernehmen.“ Lesen Sie auch: Evangelischer Kirchenkreis im Hochstift reagiert auf schwierige Zeiten Er räumt aber auch ein, dass er &bdquo;geschockt“ war von der Anzahl der vielen Sitzungen, die es inzwischen in den Gemeinden gibt. &bdquo;Ich war früher gewohnt, ein Presbyterium zu haben – und vielleicht einen Bezirksausschuss.“ In den ersten vier Wochen in Nieheim hat er schon acht Sitzungen. Er weiß, es ist notwendig aufgrund der großen Fläche, aber &bdquo;wir müssen auch noch etwas anderes machen.“ Kritik am Zeitgeist der Kirche Die Gemeinde dürfe einen engagierten Pfarrer erwarten, der gerne fürs Evangelium begeistert, sagt Jung. &bdquo;Ich bin der festen Überzeugung, das Evangelium ist genau das, was die Menschen für ein gelingendes Leben brauchen und das in jeder Situation Halt gibt.“ Gerade in dieser Krisenzeit? Sicherlich würden die äußeren Krisen mehr, aber die persönlichen Lebenskrisen der Menschen gebe es immer, sagt Jung. &bdquo;Es gibt kaum ein Leben, das ohne Schicksalsschläge auskommt. Und da einen zuverlässigen Halt zu haben, ist immer notwendig.“ Lesen Sie auch: Nach der Trennung: Ein bisschen Steinheim ist geblieben An dieser Stelle kritisiert Jung auch seine eigene Kirche. Sie habe viel Vertrauen verloren, nicht nur wegen der Skandale. Sondern auch, &bdquo;weil wir auf vielen Kanzeln viel zu viel Politik gemacht haben. Eine Anpassung an den Zeitgeist, anstatt das zu vertreten, was unsere eigentliche Aufgabe ist. Die eine Partei für Jesus Christus zu sein.“ Das erste Ziel der Kirche sei das Heil der Menschen. Gottesdienst als Kontraprogramm Jung sieht im klassischen Gottesdienst das Kontraprogramm zu einer hektischen Welt. Er gebe Heimat und Halt. &bdquo;Das ist eine große Chance, die die Kirche hat“, sagt Jung. Das solle natürlich nicht heißen, dass andere Gottesdienste, wie der in Nieheim entwickelte &bdquo;Sonntags um elf“ nicht auch ihre Berechtigung haben. Sehr wichtig ist Jung auch die Ökumene, die intensive Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche vor Ort. Er sei in der Corona-Zeit ganz selbstverständlich in katholische Gottesdienste gegangen. Jung gefiel außerdem die klare Glaubenslinie des ehemaligen Papstes Benedikt XVI. Zukunft bleibt offen Wie lange Ralf Jung in Nieheim bleiben kann? &bdquo;Da müsste ich in die Glaskugel schauen.“ Denn wenn irgendwo im Kreis Höxter der Pfarrermangel noch größer wird, dann kann es auch sein, dass er kurzfristig dorthin abgezogen wird. &bdquo;So ist die Lage.“ Zumal aufgrund von einer Schwerbehinderung sein Vertrag erstmal nur für drei Jahre läuft. Jung selbst möchte das Evangelium verbreiten, solange er die Kraft und Gesundheit dafür hat. Egal was kommt, privat will er in Nieheim bleiben. Denn zum ersten Mal lebt er nicht mehr in einer kirchlichen Dienstwohnung, sondern in seinem eigenen Haus.

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