Mitgliederschwund, alte Gerätehäuser: Die Herausforderungen der Feuerwehr

Nieheim. Zahlen lügen nicht. Und manchmal weisen sie auf eine unangenehme Wahrheit hin. Wie bei der sehr engagierten Freiwilligen Feuerwehr Nieheim. 20 sogenannte kritische Einsätze hat Mathias Koch, bei der Stadtverwaltung für den Feuerwehrbereich zuständig, für 2015 bis 2020 ausgewertet. Das Ergebnis: Nur bei der Hälfte der Großeinsätze war die Nieheimer Feuerwehr nach acht Minuten mit der ersten Mannschaft vor Ort. Ein Ziel, das sich die Kameraden und die Stadt 2015 im letzten Brandschutzbedarfsplan selbst gesteckt hatten. Es gilt eigentlich für 80 Prozent der Einsätze. Grobe Sicherheitslücken gibt es deshalb keinesfalls. Das zu betonen ist Koch sehr wichtig. Denn das zweite Ziel, tagsüber nach 13 Minuten mit mindestens zwei Teams vor Ort zu sein, wurde stets erreicht. Das funktioniere insbesondere deshalb, weil gemäß der Alarm- und Ausrückeordnung stets mehrere Einheiten alarmiert werden. Bei Großeinsätzen sogar über die Stadtgrenzen hinaus. Nachts ist die Feuerwehr übrigens schneller vor Ort als tagsüber – und verfügt über mehr Personal. Was paradox klingen mag, hat einen simplen Grund: Viele Feuerwehrleute pendeln, arbeiten auswärts und können entsprechend zwischen 6 und 18 Uhr keine Einsätze fahren. Nieheim hat das gleiche Problem wie viele kleine Kommunen: Es mangelt insbesondere an der Tagesverfügbarkeit von Feuerwehrleuten. Um die Feuerwehr noch leistungsstärker zu machen und die Schwachstelle anzugehen, wird regelmäßig der Brandschutzbedarfsplan fortgeschrieben. In ihm legen Feuerwehr, Verwaltung und Politik gemeinsam fest, welche Schutzziele bis 2025 erreicht werden sollen und was dafür zu tun ist. Einsatzkräfte In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der aktiven Feuerwehrleute um 52 auf aktuell 229 gesunken. Das klingt nach vielen Einsatzkräften. Tagsüber sieht die Lage allerdings deutlich dramatischer aus: Nur in Oeynhausen, Nieheim und Entrup sind ausreichend Feuerwehrleute sicher verfügbar, um mindestens ein Einsatzfahrzeug besetzen zu können. Insgesamt 27 Kräfte, davon immerhin 16 Atemschutzgeräteträger. Aber auch diese Zahlen trügen: So gibt es viel zu wenige Feuerwehrleute, die Führerscheine für die schweren Feuerwehrfahrzeuge haben. Mehr noch: Ältere Kameraden haben noch die alten Führerscheine Klasse 3 (heute C), mit denen sie zumindest noch die TSF-W-Fahrzeuge auf den Ortschaften fahren dürfen, weil diese weniger als 7,5 Tonnen wiegen. Die jüngeren Mitglieder mit B-Führerscheinen dürfen das nicht. Für Koch ein ganz wichtiger Ansatzpunkt, den Erwerb der Lizenz, noch stärker zu unterstützen. Insgesamt zeigen die Zahlen aber, dass die Mitgliederwerbung deutlich verstärkt werden müsse. Denn nur mit mehr Kräften könne auch bei kleineren Löschgruppen sichergestellt werden, dass sie tagsüber ausrücken können. Dabei sollen Feuerwehrmänner und ausdrücklich auch Feuerwehrfrauen auf allen Ebenen gewonnen werden. Angefangen bei der Jugendfeuerwehr. Eine weitere Möglichkeit: Feuerwehrleute in den Einheiten einsetzen, wo sie gerade sind. Als Beispiel nimmt Koch sich selbst. Verwurzelt ist er in der Löschgruppe Entrup. Weil er aber im Rathaus Nieheim arbeitet, fährt er tagsüber im Ernstfall mit dem Löschzug Nieheim. Das könne sogar ein Modell für Feuerwehrleute aus anderen Kommunen sein. Warum soll ein Feuerwehrkamerad aus Bredenborn, der in Nieheim arbeitet, uns nicht bei einem Einsatz unterstützen?, fragt Koch rhetorisch. Allerdings weiß die Stadt bisher gar nicht, wie viele auswärtige Feuerwehrleute in ihrem Stadtgebiet arbeiten. Deshalb gibt es die Idee, eine Umfrage in den Betrieben zu starten. Entlastung Ein weiteres wichtiges Thema sei die Entlastung einzelner Feuerwehrleute. Als Beispiel nennt er die Kleiderwarte, die sich oftmals allein um die gesamte Schutzausrüstung kümmern. Koch schwebt vor, mehr in Teams zu arbeiten, um die Lasten auf mehr Schultern zu verteilen. Ausstattung Ein weiteres wichtiges Thema ist die Ausstattung. Sie soll noch besser auf die einzelnen Einheiten aufgeteilt werden. So soll möglicherweise eine zusätzliche (Akku-)Rettungsschere für eingeklemmte Personen nach einem Verkehrsunfall in einer Ortschaft deponiert werden. Zugleich wird die Ausrüstung für kommende Herausforderungen angepasst. Koch nennt in diesem Zusammenhang einerseits Hochwasserereignisse, beispielsweise an der Emmer, aber auch extreme Trockenheit im Sommer. Die hat zur Folge, dass natürliche Gewässer nicht mehr zur Löschwasserentnahme genutzt werden können. Entsprechend braucht es Fahrzeuge mit ausreichend großen Wassertanks und zugleich kräftige Pumpen. Entsprechend soll der neue Gerätewagen auch ausgestattet werden. Das Prinzip hier: Rollcontainer, die je nach Schadenslage mit zum Einsatzort genommen werden. Gerätehäuser Wie die Diskussion in Nieheim in den vergangenen Monaten gezeigt hat, ist die notwendige Modernisierung der Gerätehäuser ein ganz heißes Thema. Viele stammen noch aus den 1960er Jahren, wurden teilweise in Eigenleistung der Ortschaften errichtet. "Teilweise entsprechen sie nicht mehr den Standards der Arbeitsschutz- und Sicherheitsvorschriften", sagt Koch. So gibt es noch Gerätehäuser, in denen Umkleide und Fahrzeughalle eins sind und es so eng ist, dass man kaum um das Fahrzeug herumgehen kann. Heißt: Erst muss der Wagen rausgefahren werden, dann können sich alle in der mit Dieselabgasen geschwängerten Halle umziehen, bevor es auf Einsatzfahrt geht. Vorgeschriebene Schwarz-weiß-Trennung sowie Besprechungsräume gibt es teilweise gar nicht. Häufig kommt in den Ortschaften nur ein Neubau in Frage. Koch hat dazu eine Prioritätenliste je nach Modernisierungsnotwendigkeit erstellt. Los geht es im kommenden Jahr in Entrup, dann abweichend von der Liste weiter mit Holzhausen. Leisten kann sich die Stadt das aktuell nur, weil es ein großes Förderprogramm des Landes für die Sanierung beziehungsweise den Neubau von Dorf-Feuerwehrhäusern gibt. Allein könnte die Stadt die kosten von jeweils mehreren Hunderttausend Euro kaum stemmen. In den jüngsten Gremiensitzungen entbrannte deshalb ein Streit um die Frage, wie viel "Luxus" sich Nieheim bei den Feuerwehrhäusern gönnt, oder ob es nicht auch einfache Industriehallen täten, wie beispielsweise UWG-Politiker Herbert Müller vorschlug. Koch hält dem entgegen, dass die Feuerwehr in den Dörfern eine wichtige soziale Komponente habe, sich vielfach auch um den Schutz von Veranstaltungen wie Osterfeuer, Schützenfeste oder Käsemarkt kümmere, oder aber von Martinsumzügen. In Sommersell mäht sie sogar die Spielplätze. Zu vermitteln, bei diesem besonderen ehrenamtlichen Engagent auf Heller und Pfennig zu sparen, ein problematisches Signal, wenn man zugleich neue Mitglieder werben will. Die Feuerwehr sei vor Ort ein großer Identifikationsfaktor, sagt Koch. Als Mitglied der Entruper Löschgruppe weiß er genau, wovon er redet. Berufsfeuerwehr Zugleich unterstreicht Koch gerade beim Blick auf die Kosten noch einmal die Bedeutung des freiwilligen Engagements. Da Brandschutz und Technische Hilfe eine Pflichtaufgabe der Stadt ist, wäre die einzige Alternative die zusätzliche Beschäftigung hauptamtlicher Feuerwehrleute. Würde man nur die kleinste Einheit – je sechs Feuerwehrleute an sieben Tagen rund um die Uhr – einstellen müssen, wäre das der finanzielle Ruin für die Stadt. Zumal dann ja trotzdem der ehrenamtliche Apparat mit allen Kosten für die größeren Einsätze nötig wäre. Hauptamtliche Feuerwehrkräfte seien keine Option für die kleine Kommune, so Koch. Risikogebiete Auch nicht die Reduzierung von Gerätehäusern. Denn das hätte auch eine Zusammenlegung von Löschgruppen zur Folge. Anfahrtswege würden sich um entscheidende Minuten verlängern. Dann wäre die jetzt schon nicht immer eingehaltene Hilfsfrist noch schwieriger erreichbar. Besonders in den Randbereichen, wie eine Analyse von Koch zeigt. Dennoch hat er im neuen Brandschutzbedarfsplan die bisherigen Hilfsfristen den Realitäten des ländlichen Raums angepasst. Dafür hat er Nieheim in unterschiedliche Risikogebiete eingeteilt. Die Kernstadt mit den großen Betrieben, dem Seniorenhaus, den meisten Menschen und der Bundesstraße hat die höchste Risikokategorie vier erhalten. Hier soll weiterhin nach Alarmierung die erste Einsatzgruppe mit mindestens neun Feuerwehrleuten, davon vier Atemschutzgeräteträger, in acht Minuten vor Ort sein – in mindestens 80 Prozent aller Einsätze. Die zweite Gruppe nach spätestens 13 Minuten. Eversen und Oeynhausen gehören mit mehreren großen landwirtschaftlichen Betrieben zur Risikokategorie drei. Auch hier gilt weiter die Hilfsfrist von acht Minuten für die erste Gruppe, die allerdings mit mindestens sechs Einsatzkräften weniger stark sein muss. Die übrigen Bereiche sind die Risikogebiete 1 und 2, in denen die Hilfsfrist auf 10 Minuten für das erste Team und auf 15 Minuten für das zweite Team verlängert wird. In der Hoffnung, dass sie schneller sind. Gültigkeit Ob das neue System funktioniert, wird sich erst in den kommenden Jahren zeigen. Bis 2025 hat der neue Brandschutzbedarfsplan Gültigkeit. Er ist Leitlinie für die künftigen politischen Entscheidungen und die Planungen des städtischen Etats.

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