Schafe-Sterben im Kreis Höxter: Die schleichende Katastrophe auf den Weiden

Kreis Höxter/Marienmünster-Löwendorf. Sie haben massive Schmerzen, können oft weder fressen noch trinken. Und wenn das Virus die Lunge zersetzt, verdursten und ersticken die Schafe gleichzeitig: Der Kreis Höxter erlebt, wie der Rest von Deutschland, gerade im Verborgenen eine Katastrophe, deren langfristige Auswirkungen noch gar nicht richtig abschätzbar sind. Ein neuer Virustyp der Blauzungenkrankheit grassiert seit Juli vor allem unter Kühen und Schafen. Bio-Schäferin Ortrun Humpert aus Löwendorf, die sich 38 Jahren in der aufwendigen Zucht bedrohter Rassen engagiert, hat bereits 140 ihrer insgesamt 500 Schafe verloren. Viele Weitere sind schwer krank, werden mit enormem Aufwand medizinisch versorgt und gepflegt. Ob sie überleben oder morgen tot sind, kann keiner vorhersagen. &bdquo;Die Situation ist dramatisch“, sagt Humpert, die auch Vorsitzende des Schafzuchtverbandes NRW ist. Deshalb sind viele Jahre Zuchtarbeit jetzt einfach weg Man kann auch sagen, verzweifelt. Die Weiße Gehörnte Heidschnucke, eine besonders bedrohte Rasse, von der es in Deutschland vor dem Ausbruch der Krankheit nur noch 1.400 Mutterschafe gab, wird es im kommenden Jahr im Kreis Höxter wohl nicht mehr geben. 160 Tiere dieser Rasse hatte Humpert. Die wenigen Mutterschafe, die noch übrig sind, sind wohl zu geschwächt, um die Zucht fortsetzen. &bdquo;Viele Jahre Zuchtarbeit sind einfach weg“, sagt Humpert resigniert. Wie ihr geht es vielen Berufsschäfern in Deutschland. Und die massiven Folgen werden wohl erst im kommenden Jahr richtig sichtbar. Wenn die Biotope und Naturschutzgebiete nicht mehr gepflegt werden können. Oder die Deiche an Flüssen und Meeren. &bdquo;Schon jetzt werden erste Deiche in Schleswig Holstein nicht mehr beweidet“, berichtet Humpert. Und schon jetzt werden auch im Kreis Höxter viele Wiesen nicht mehr so abgegrast, wie es eigentlich nötig wäre – weil die Schafe fehlen. Sie werden krank und sterben, obwohl viele von ihnen noch mit einem sehr spät zugelassenen Notfallimpfstoff geimpft wurden. Für viele Schafe kam er zu spät. &bdquo;Anfang Juli wurden alle Tiere geprüft und waren kerngesund. Eine Woche später wurden sie geschoren und nochmals behandelt. Und wieder eine Woche später wurden die ersten krank und fielen tot um“, erzählt Humpert. Eine Woche später fielen die ersten Tiere tot um Die Symptome der Blauzungenkrankheit sind vielfältig, die namensgebende blaue Zunge gehört, wie Humpert berichtet, aber eher selten dazu. Oft sind aber die Mäuler entzündet, so dass die Tiere kaum fressen und trinken können. Hinzu kommt der Fliegenbefall. &bdquo;Am verletzten, entzündeten Maul, in allen Körperöffnungen kann man die Maden finden, zudem legen die Fliegen ihre Eier in die ohnehin angegriffenen Klauen“, schildert Humpert. Die Tiere können nicht mehr laufen, kaum atmen, liegen auf der Seite. Liegen sich wund. Deshalb stellt die Schäferin die erkrankten Tiere alle paar Stunden wieder auf, obwohl sie das quält. Wie die ganze medizinische Behandlung. Die scheint bei manchen Schafen anzuschlagen. Sie gewinnen wieder an Kraft, wirken gesund und fallen nach einer Woche tot um. Andere schaffen es tatsächlich, werden aber lange mit den Folgen zu kämpfen haben. Ob sie als Bock fruchtbar sind oder als Mutterschaf im kommenden Frühjahr die Kraft für den Nachwuchs haben? Ortrun Humpert weiß es nicht. &bdquo;Wir wissen zu wenig über die Krankheit, es muss mehr wissenschaftliche Forschung geben“, fordert die Schäferin. Was schon 2006/2007 versäumt worden ist Hätte man das schon zwischen 2006 und 2008 getan, als ein anderer Virustyp der Blauzungenkrankheit in Deutschland wütete, hätte man diesmal vielleicht besser und schneller reagieren können. Aber auch jetzt würden kaum Daten erhoben und Untersuchungen durchgeführt, um für die Zukunft zu lernen. Zumal die Krankheit diesmal neue Symptome zeige und auch die Tiere bisher nicht beobachtete Verhaltensweisen an den Tag legten, sagt sie. Das größte Problem neben dem Leid der Tiere und den massiven Auswirkungen auf die Landschaftspflege und das überleben bedrohter Rassen: Die sowieso schon arg gebeutelten Schäfer können die wirtschaftlichen Folgen nicht mehr auffangen. &bdquo;Ich habe seit zwei Monaten keine Einnahmen aus der Schafvermarktung mehr, auf der anderen Seite aber enorme zusätzliche Kosten“, berichtet Humpert. Sie fürchtet, dass viele Schafzüchter aufgeben werden. Von der Politik fühlen sie sich weitgehend im Stich gelassen. Immer wieder werde zwar betont, wie unersetzlich die Arbeit der Schäfer sei. Wenn es aber darum gehe, wenigstens ihre wirtschaftliche Existenz zu sichern und sie bei den Seuchenschäden zu unterstützen, passiere wenig. Das kosten das Impfen und die Nachsorge Humpert nennt ein paar Zahlen, um das zu verdeutlichen: Die Impfdosis kostet etwa 3,50 Euro pro Schaf – bei 500 Schafen ein enormer Kostenfaktor. Weil der Stoff aber nur notfallmäßig zugelassen ist, darf sie ihn nicht selber verimpfen. Das muss ein Tierarzt machen, der natürlich auch bezahlt werden will – wenn man denn einen findet. Weitere Medizin wie Antibiotika ist wesentlich teurer. Die Kosten für den Abdecker für die toten Tiere haben sich in den vergangenen Wochen gleich mal verdreifacht. Zwar können die Schäfer wie Humpert einen Härtefallantrag beim Veterinäramt für die 2023 endlich umgesetzte Schafprämie stellen, aber dazu ist ein aufwendiger Nachweis notwendig, dass bei ihr die Blauzungenkrankheit ausgebrochen ist. Sie hat natürlich den Antrag gestellt. Ob und wann sie Geld bekommt, weiß sie nicht. Zumal es keine Entschädigung für tote Tiere gibt. Zukunft der Schäferei in Löwendorf ist ungewiss Die Schafverbände, in denen sich Ortrun Humpert engagiert, haben einen dramatischen Appell an die Agrarminister geschickt, in dem sie die katastrophale Lage und ihre langfristigen Folgen schildern und Forderungen stellen. Neben einer finanziellen Rettung der Schäfereien und einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Seuche geht es in dem neunseitigen Schreiben auch um die Unsicherheit um die Impfung im kommenden Frühjahr. Denn der Notfallimpfstoff ist nur bis Anfang Dezember zugelassen. Das Virus überlebt in Schafen etwa 100 Tage, in Rindern sogar ein halbes Jahr. Humpert kann sich kaum vorstellen, dass die Seuche dann schon vorbei ist. Ob sie selbst dann noch große Schafherden halten wird, ist unklar. Sie will bis Jahresende entscheiden, ob sie ihr Lebenswerk und ihre Leidenschaft fortsetzen wird. Die Zukunft für Schafzüchter sieht düster aus. Aktueller Beitrag: Diskussionsrunde in Modexen Vor allem Schafe ersticken und verdursten im Moment, ohne dass man sie retten kann. Aber die Blauzungenkrankheit kann alle Wiederkäuer treffen, auch Rinder und Ziegen. Kühe können oft besser behandelt werden, geben aber bis zu 30 Prozent weniger Milch. Übertragen wird diese schwere afrikanische Virusinfektion nicht von Tier zu Tier, sondern durch Mücken, weshalb im Winter mit einer leichten Entspannung der dramatischen Situation gerechnet wird, bevor es im Frühjahr einen neuen Ausbruch geben könnte. Zu der aktuellen Lage und den Folgen gibt am Donnerstag, 26. September, von 20 bis 21 Uhr eine einstündige Radio-Live-Diskussion, das &bdquo;WDR5“- Stadtgespräch in Brakel-Modexen. Es handelt sich um eine Publikumssendung, zu der jeder kommen und mitdiskutieren kann. Die Veranstaltung im Bildungshaus Modexen, Modexen 35, ist kostenlos. Einlass ist ab 19.30 Uhr. Zum Gespräch, dass auch im Radio zu hören ist, diskutieren Antonius Tillmann (Warburger Biobauer mit Milchkühen und Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Bezirksverbandes OWL), Ortrun Humpert (Bio-Schäferin aus Löwendorf), Markus Höner (Landwirtschaftsausschuss im NRW-Landtag; CDU) und Peter Heimberg (Landwirtschaftskammer NRW) als Experten mit.

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