Geldstrafe für Online-Rezension: Ist "Rassistin" eine Beleidigung?

Höxter. Für Sibel A. (Name geändert) haben zwei Online-Rezensionen nun Folgen. Die 38-Jährige wurde vom Amtsgericht Höxter wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 1.200 Euro verurteilt. Im November 2018 und im Juli 2019 soll Sibel A. bei Google ihre ehemalige Schule in Höxter bewertet haben. In den Kommentaren berichtet eine Verfasserin davon, in den 1990er Jahren Schülerin der Schule gewesen zu sein und dort Erfahrungen mit Rassismus gemacht zu haben. Konkret: Eine Lehrerin, Annegret M. (Name geändert), sei eine Rassistin. Die AngeklagteSibel A. nimmt nicht an der Verhandlung teil, aber ihr Anwalt aus Paderborn ist erschienen. Eine Vertraute berichtet nach dem zweieinhalbstündigen Gerichtstermin, dass auch A. habe kommen wollen, aber den Zug verpasst hätte. Sibel A. lebt mittlerweile in Hessen. Angaben zu Beruf oder Familienstand der Angeklagten macht der Verteidiger nicht. Die RezensionIm November 2018 soll Sibel A. die erste Rezension bei Google geschrieben haben. Darin nennt sie ihre ehemalige Klassenlehrerin Annegret M. eine "lupenreine Rassistin" und "Türkenhasserin". "Ich war damals die Einzige mit einem solchen Migrationshintergrund in 'ihrer' Klasse", heißt es in dem Text. Einmal habe ein "deutschstämmiger" Klassenkamerad an seinem Geburtstag eine CD mitgebracht, die dann während des Unterrichts angehört wurde. Zu ihrem eigenen Geburtstag habe die Verfasserin daraufhin ebenfalls Musik mitgebracht. Interpret sei ein türkischer Künstler gewesen. Annegret M. sei "aus der Haut gefahren", habe die CD an sich genommen und sie der Schülerin erst nach einer Woche zurückgegeben. "Mein Sohn hat sich 'diese Musik' angehört und er fand sie richtig schlecht!", soll M. gesagt haben. Für die Verfasserin sei das schlimm und prägend gewesen. Die LehrerinAnnegret M. wird rund sechs Monate nach Erscheinen der Rezension von einer Kollegin, wie sie sagt, darauf aufmerksam gemacht. "Ich war tief verletzt", sagt die 63-Jährige vor dem Amtsgericht. Sie habe sich an die Schulleitung gewendet und schließlich auf Anraten auch vom Schuldezernat in Detmold Anzeige gegen Unbekannt bei der Polizei Höxter gestellt. Außerdem habe sie bei Google beantragt, den Eintrag zu löschen. Das passierte auch. Wenig später jedoch tauchte eine weitere Rezension auf. Inhaltlich ähnlich, allerdings in den Formulierungen etwas abgeschwächt. "Ein wahrheitsgemäßer Bericht über die unseres Erachtens rassistische Lehrerin ist hier plötzlich verschwunden", heißt es zum Beispiel, oder: "Ich habe täglich ihren (Annegret M.s, Anm. d. Red.) regelrechten Hass (m. E. aus fremdenfeindlichen Gründen) zu spüren bekommen." Annegret M. wendet sich daraufhin erneut an Polizei und Google. Annegret M., inzwischen im Ruhestand, will vor allem, dass die "Lügen" aus dem Internet verschwinden. "Das bin ich nicht", sagt sie vor dem Amtsgericht Höxter, "Ich habe mich nie rassistisch geäußert." Auch berichtet sie, dass in ihrem Unterricht nie CDs angehört worden seien. Wenn ein Kind Geburtstag gehabt habe, habe es Süßigkeiten mitgebracht, die Klassenkameraden hätten ein Geburtstagslied gesungen und das Geburtstagskind habe keine Hausaufgaben machen müssen. Der KriminalbeamteDas US-amerikanische Unternehmen wird diesmal nicht tätig. Dafür beginnt der 38 Jahre alte Kriminaloberkommissar Jan G. (Name geändert) mit der Recherche. Er hatte bereits die erste Anzeige aufgenommen. Das Verfahren war allerdings eingestellt worden, weil die Täterin nicht ermittelt werden konnte. Annegret M. kann ihm nun aber Anhaltspunkte geben. Die Informationen, die die Verfasserin in der Rezension von sich preisgibt, gleicht sie mit alten Schülerfotos aus den 90er Jahren ab. M. kommt zu dem Schluss, dass eine Schülerin namens A. die Schreiberin gewesen sein könnte. Jan G. schaut sich an, wo die Verfasserin, beziehungsweise deren Pseudonyme, weitere digitale Spuren hinterlassen hat. So habe er unter anderem weitere Rezensionen durchforstet und sei auf weitere Pseudonyme gestoßen, die durch den Schreibstil an die Verfasserin erinnerten. "Die Abkürzung 'm. E.' tauchte immer auf", sagt er. Außerdem habe die Verfasserin in den Kommentaren immer wieder von Rassismus berichtet. "Rassismus-Schiene", nennt G. das. Unter anderem habe die Verfasserin eine Kanzlei, einen Arzt und eine Immobilienfirma bewertet. Über Anrufe habe er schließlich von Kanzlei und Immobilienfirma denselben Namen gehört: Sibel A. "Kritiken und Rezensionen stimmten auch örtlich mit der Meldehistorie der Angeklagten überein", sagt G. Das UrteilFür Richterin Christina Brüning stellen sich am Ende zwei Fragen, wie sie in der Urteilsverkündung sagt: Erstens, ist die Bezeichnung Rassist eine Beleidigung, und zweitens, ist die Angeklagte die Verfasserin. Die Abgrenzung zu berechtigter Kritik, sagt Brüning, ende dort, "wo es beginnt, hauptsächlich darum zu gehen, eine Person zu diffamieren". Diese Grenzüberschreitung ist mit der Bezeichnung "Rassistin" wohl geschehen. Denn ein Rassist sei gleichzusetzen mit einem Nationalsozialisten. "Türkenhasserin" hingegen, sagt Brüning, "wird man sich wohl gefallen lassen müssen". Die Schuld der Angeklagten ist für Brüning bewiesen. Sibel A. habe "Detailwissen". Für die Richterin sei ausgeschlossen, "dass sich jemand das ausgedacht hat". Wie geht es weiter?Die Rezension wird so schnell nicht aus dem Internet verschwinden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Und Sibel A.s Anwalt geht nicht davon aus, dass seine Mandantin die Entscheidung akzeptieren wird. Eine Berufungsverhandlung könnte vor dem Paderborner Landgericht stattfinden. Doch selbst mit einem rechtskräftigen Urteil ist nicht klar, ob Google den Eintrag löschen wird.

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