Wie die AWO im Kreis Höxter die Missbrauchs-Fälle in Lügde erlebt hat

Kreis Höxter. Eine Dreiviertelstunde sagte der Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt (AWO) im Kreis Höxter, Wolfgang Kuckuk, vor dem Lügde-Untersuchungsausschuss in Düsseldorf aus, zweieinhalb Stunden der AWO-Kollege, der sich die letzten zwei Monate als Träger der Jugendpflege um die Situation des Pflegekindes des Hauptangeklagten Andreas V. auf dem Campingplatz Lügde gekümmert hatte, bevor der Missbrauchsskandal im November 2018 ans Licht kam. Eine Situation, die Kuckuk auch jetzt nach der Einstellung von 14 Verfahren gegen Polizei und Ämter persönlich noch lange beschäftigen und belasten wird, sagt er: &bdquo;Ich hoffe, es gibt nie wieder einen solchen Fall. Kein Träger geht locker mit diesen Dingen um", sagt der Nieheimer. Ein Fall, der bundesweit für Entsetzen sorgte, der aber auch ein Beispiel dafür sein sollte, wie es nicht laufen darf, da ist sich Kuckuk sicher. Es gehe ihm nicht um Entschuldigungen oder Schuldzuweisungen: Es sei vielmehr ein Fall, aus dem man lernen müsse, betont er. Unter anderem dass man noch konsequenter bei den Familienhilfen das gesamte Netzwerk einbeziehen müsse. Und auch am Schutzkonzept arbeiten müsse, um noch genauer hinschauen zu können. Entlastung der Mitarbeiter notwendig Dafür müsse es bessere Strukturen wie auch die Entlastung der Mitarbeiter – derzeit übernimmt eine Vollzeitstelle maximal sechs unterschiedliche Fälle parallel – gewährleistet werden. Die AWO als Jugendhilfeträger sei kein Kontrollorgan, sondern gebe Hilfen zur Unterstützung beispielsweise in einer Pflegesituation. Und da sei der Kollege aus dem Kreis Höxter, den Kuckuk für diese Anfrage aus Hameln ausgewählt hatte, im Fall Lügde noch mittendrin in der Phase des Vertrauensaufbaus – normalerweise rund drei Monate –, als das Verbrechen Ende 2018 aufgedeckt wurde. Gesamte Situation ungewöhnlich Als der AWO-Mitarbeiter den Pflegevater-Pflegekind-Fall im August auf Anfrage des Jugendamtes des Kreises Hameln-Pyrmont übernahm, habe man in Höxter nicht gewusst, wer dort in dieser Funktion vorher tätig gewesen sei, sagt Kuckuk. Es hätten komplett die Angaben aus einem bisherigen Hilfeplan für Lügde gefehlt, auf die sich der AWO-Kollege hätte beziehen können. Auch sei die gesamte Situation ungewöhnlich gewesen, weil man mit dem Jugendamt Hameln bislang noch nicht zusammengearbeitet hatte – und vor allem auch, weil drei Kreise involviert waren, wo sich die Beteiligten nicht kannten: das zuständige Jugendamt in Hameln, der Jugendhilfeträger in Höxter und das Kind selbst mit dem Pflegevater in Lippe. Kuckuk erklärt: &bdquo;Der Standardweg ist, dass das Jugendamt bei uns anfragt, ob Kapazitäten für die Hilfe da sind. Hameln hat bei mir angerufen. Und ich habe einen gestandenen Sozialarbeiter mit Erfahrung eingesetzt." Weil der vorige Jugendhilfeträger diese Aufgabe zurückgegeben habe. Grund dafür: unbekannt. Solch eine Situation mit einem Pflegevater auf einem Campingplatz sei ihm bislang noch nicht untergekommen, sagt Kuckuk. Aber auch dieser habe schließlich in der Zuständigkeit des Jugendamt Hameln einen vorgeschriebenen Weg durchlaufen müssen, inklusive polizeilichem Führungszeugnis, bis ihm ein Kind anvertraut worden sei. Verantwortliche werden sensibler Nachdem man keine schriftlichen Unterlagen erhalten habe, auf die man sich hätte beziehen können, sei der AWO-Mitarbeiter an die Erstellung eines Hilfeplanes für den individuellen Fall in Lügde gegangen. Ein Vertrag mit aufeinander aufbauenden Phasen und Zielen, der von Jugendamt, AWO und der Familie unterschrieben werden sollte. Phase eins: Vertrauensaufbau. Grundlage: Gespräche. Gerade mit dem Kind selbst auch spielerisch. Auch das Umfeld wie zum Beispiel Hinweise aus der Schule oder Kita würden mit einbezogen. Ergebnis in Lügde: keine Auffälligkeiten, keine Hinweise. Meldungen wegen möglicher Kindwohlgefährdung hätten im Kreis Höxter sogar deutlich zugenommen, es seien Erzieher und Lehrer sowie Vereins-Verantwortliche dahingehend geschult worden, besonders sensible zu reagieren und genau hinzuschauen, wenn sie ein Kind regelmäßig sehen, berichtete der Geschäftsführer. Seitdem Zahl der Meldungen deutlich gestiegen Denn es sei oftmals ein Prozess, um zu erkennen, dass ein Kind Hilfe brauche. &bdquo;Das ist häufig nicht sofort auf den ersten Blick erkennbar." Seit Dezember sei diese Zahl von Meldungen deutlich gestiegen. &bdquo;Das ist richtig und wichtig", betont Kuckuk und spricht von einem &bdquo;humanitären Netzwerk" von allen, die mit einem Kind zu tun hätten. &bdquo;Wir leben nun mal in einer Gesellschaft mit einer Menge verrückter Entwicklungen." Und trotzdem gebe es immer wieder Täter, die es schafften, sich so zu verstellen, dass kein Außenstehender etwas davon bemerke. Deshalb sei es wichtig, möglichst viele Menschen zu schulen. &bdquo;Es gibt eine riesige Anzahl von dunklen Kanälen im Darknet." Kuckuk appelliert an jeden in der Gesellschaft, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen und lieber einmal mehr als einmal zu wenig Meldung über mögliche Kindeswohlgefährdungen an Jugendamt oder Polizei abzugeben. &bdquo;Nur gemeinsam können wir helfen."

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