Gab es einen Fluchttunnel zwischen der Tonenburg und dem Schloss Corvey?

Höxter. Der Feind lauert in direkter Nachbarschaft. Nur einen Wesersprung entfernt, bedrohen die Grafen von Everstein und die Braunschweiger Herzöge den Abt von Corvey. Sein einziger Schutz im Falle eines Angriffs: die Tonenburg nahe Albaxen. Und genau hier setzt ein Gerücht an, das sich schon seit langer Zeit wacker im Bewusstsein vieler Höxteraner hält. Demnach bestand ein geheimer Fluchttunnel zwischen dem Schloss Corvey und der Tonenburg, der es den Flüchtenden ermöglichen sollte, sich schnell und unbemerkt vor Angreifern anderer Territorien und brandschatzenden Raubrittern in Sicherheit zu bringen. Doch wie viel Wahrheit steckt dahinter? 1315 zum Schutz gegen die Eversteiner errichtet &bdquo;Die Tonenburg ist heute sehr gut erhalten und wurde 1315 unter anderem zum Schutz gegen die Eversteiner errichtet", erklärt Höxters Stadtheimatpfleger Wilfried Henze. &bdquo;Sie diente als Flucht- und Fliehburg für die Äbte und Mönche, die sich dort in Sicherheit brachten." Und wie sich anhand historischer Beispiele zeigen lasse, seien solche Orte oftmals über geheime Gänge zu erreichen gewesen. So verweist Henze auf den Verbindungsgang zwischen dem Petersdom und der Engelsburg in Rom, der durch eine unscheinbare Mauer führt. Oder auf Städte wie Salzburg oder Würzburg, in denen ebenfalls zu Burgen führende Gänge nachgewiesen werden können. Den Verbindungstunnel zwischen Corvey und der Tonenburg jedoch muss Henze in das Land der Märchen verweisen. &bdquo;Mir ist nicht bekannt, dass ein Tunnel zwischen den beiden Orten bestand", sagt er unter Vorbehalt. Es gebe weder archivarische noch archäologische Quellen, die die Existenz eines Tunnels belegten. Dabei sei es auch aus rein pragmatischer Sicht unrealistisch anzunehmen, dass es einen Tunnel gab. &bdquo;Wegen der topographischen Lage des Welterbes in der Weseraue wäre der Tunnel bei Hochwasser schlicht vollgelaufen." Hinzu kommt, dass in diesen Gebieten vor allem Kiesschotter und Kalkmergel vorzufinden seien – beide Gesteinsarten seien jedoch wasserdurchlässig und dementsprechend instabil. Diese Ansicht vertritt auch Michael Koch, Archivar der Stadt Höxter. &bdquo;Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es mal einen solchen Tunnel gegeben haben soll." Gerade im Umfeld von Höheburgen würde man Fluchtgänge vermuten. Aber nicht in Verbindung mit der Tonenburg und dem in der Weseraue liegenden Schloss Corvey, so Koch. Zweites Tunnelszenario plausibler Viel plausibler erscheint hingegen ein zweites Tunnelszenario. Von feindlichen Truppen belagert, hätte es für die Schutzsuchenden hinter den mehr als zwei Meter dicken Wänden der Tonenburg von Vorteil sein können, sich durch einen Tunnel aus dem Staub zu machen, der von der Tonenburg bis hinter die Linien der Belagerer reicht. &bdquo;Hinweise auf die Existenz eines solchen Tunnels wollen die Nachfahren von Bernhard Löper gefunden haben, der als Letzter bis 1956 die zu Corvey gehörende Tonenburg samt Ländereien gepachtet hatte", erklärt Norbert Pirone, der zusammen mit seiner Frau Paula zwischen 1995 und 2013 die Tonenburg zur festen Größe unter Bikern gemacht hat. &bdquo;Beim Abriss eines Stallgebäudes ist man damals auf eine Art Schacht samt Treppenstufen gestoßen. Der Sache wurde aber nicht weiter nachgegangen, weil der Schacht im weiteren Verlauf zusammengestürzt war." Braunkohleabbau bis 1820 Doch wie konnte das Gerücht vom Fluchttunnel zwischen dem Schloss Corvey und der Tonenburg überhaupt entstehen und sich noch dazu so lange im Bewusstsein der Menschen halten? &bdquo;Vor dem Hintergrund, dass die Tonenburg als Flucht- und Fliehburg genutzt wurde, erscheint es zunächst nicht allzu abwegig, dass die beiden Punkte durch einen Gang verbunden waren", sagt Henze. Zudem sei im Umfeld der Tonenburg weserabwärts Braunkohle abgebaut worden. Wie im Museum der Trutzburg zu lesen ist, war das mindestens seit dem 19. Jahrhundert und bis 1820 der Fall, als der Betrieb wegen der Minderwertigkeit des aus mehr als 23 Metern Tiefe geförderten Materials eingestellt werden musste. Die ehemaligen Stolleneingänge könnten Betrachter mit der geschichtlichen Bedeutung der Tonenburg in Verbindung gebracht haben. Und prompt könnte aus dem Bergbaustollen ein Fluchttunnel geworden sein, mutmaßt Henze. &bdquo;Davon abgesehen sind solche Geschichten einfach spannend. Das ist wie heute Star Wars oder Harry Potter." In der Begeisterung für Fantasyfilme zeige sich auch dieser Tage noch, dass die Menschen eine Sehnsucht nach mystischen Dingen umtreibe. Damit scheint gewiss, dass sich trotz erdrückender Gegenargumente auch die Tunnelgeschichten rund um die Tonenburg und andere Höxteraner Mythen und Gerüchte in der Welt halten werden.

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