"Achtsam ist mein neues Lieblingswort": Wie ein Brakeler die Depression besiegte

Brakel. Im Frühjahr 2021 bemerkt Benedikt Gönnewicht, dass es ihm "nicht gut" geht. Aus Tagen wird "ein Zustand". Der Brakeler Marktmeister und Ordnungsamtsmitarbeiter geht weiter zur Arbeit, "funktioniert irgendwie". Vor Dienstbeginn und nach Feierabend "lag ich aber nur noch im Bett". Er kann sich nicht aufraffen, etwas zu tun. Was ihm zuvor immer Spaß gemacht hat, das bereitet ihm plötzlich keine Freude mehr. "Absolute Antriebslosigkeit", fasst der heute 37-Jährige seinen Zustand damals zusammen. Heute weiß Gönnewicht genau, was da mit ihm los war. Schwere Depressionen. Als er die Diagnose erhält, kann er zunächst noch nicht viel damit anfangen. "Ich habe mich vorher so gut wie nie mit Depressionen auseinandergesetzt", sagt der Brakeler. "Was hieß das jetzt für mich - das war noch nicht bei mir angekommen. Das habe ich erst geschnallt, als die erste Panikattacke kam." Das war Anfang März, Gönnewicht ist bei der Arbeit, als er plötzlich Schweißausbrüche bekommt und sein Herz in seiner Brust zu stechen beginnt. Der Brakeler geht zum Arzt, überzeugt, einen Herzinfarkt zu haben. Doch laut EKG ist er körperlich bei bester Gesundheit. Zu diesem Zeitpunkt geht der 37-Jährige schon einmal die Woche zur Gesprächstherapie. 50 Minuten mit einem Therapeuten. "So kann man anfangen, aber für ganz tief in den Kaninchenbau reicht es nicht." Trotzdem ist er dankbar, besonders, als er merkt, dass Selbstmordgedanken näher rücken. Noch nicht konkret. Aber so, "dass ich dachte, ich könnte mir das vorstellen". Mit seinem Therapeuten kann er darüber sprechen - "zum Glück". Der Brakeler wird in einer Klinik stationär behandelt Gönnewicht verheimlicht seine Krankheit nicht. Klar, die Familie weiß Bescheid. Lukas, der heute vier Jahre alte Sohn, "hat ganz feine Antennen, er hat gemerkt, dass es mir nicht gut ging". Gönnewichts Frau "musste eine ganze Menge abfangen, als ich nicht die Power hatte, um die Familie zu unterstützen". Er informiert Freunde und Familie, die immer wieder einspringen und den Sohn betreuen, und auch seine Arbeitgeberin, die Stadt Brakel. "Die Stadt hat super reagiert." Auch die Kollegen in Gönnewichts Fachbereich sind hilfsbereit. Nach der zweiten Panikattacke - diesmal ereilt sie den 37-Jährigen zuhause - "war klar, es geht in die Klinik". Zwei Wochen vor Annentag, dem wahrscheinlich wichtigsten Ereignis in Brakel für einen Marktmeister, geht es für Gönnewicht für sechs Wochen nach Bad Arolsen. "Am Anfang habe ich mich schon drauf gefreut, dass ich dort dann Profis habe, die mir helfen", sagt der Brakeler. Andererseits würde er auch in der Zeit seine Familie alleine lassen und er habe sicher auch Vorurteile gegenüber einer solchen Klinik gehabt. Zu Unrecht. "Es war absolut positiv." Er war umgeben von Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten, von 18 bis 80 Jahren. Und er war unter "Gleichgesinnten", mit denen er sich austauschen konnte. Gruppengespräche, Einzelgespräche, Visite, Sport-, Kunst- und Musiktherapie von morgens um 7 Uhr bis nachmittags um 5 Uhr. "Da ist man dann auch platt." Doch die stationäre Behandlung hat dem Brakeler gutgetan. Einerseits hat er seine aktuelle Depression bearbeitet ("Da wird man mit Essen und allem versorgt, sitzt in einer Bubble und kümmert sich nur um sich"), andererseits, besonders gegen Ende des Aufenthalts, ging es auch viel darum, wie Gönnewicht in Zukunft mit schlechten Tagen umgehen kann, wie er sich gegen weitere depressive Episoden wappnen kann. Der Weg zurück ins Leben "Achtsam ist mein neues Lieblingswort", sagt Gönnewicht. Achtsam mit sich selbst zu sein, bedeute, in sich hineinzuhören: "Geht es mir jetzt wirklich gut oder ist das das, was die Gesellschaft verlangt?" Zur Achtsamkeit gehört auch, dass er sich Zeit für sich nimmt. Zehn Minuten bei einer Meditation oder Traumreise. "Das ist nichts Esoterisches", betont er. Lesen Sie alle Artikel des Themenschwerpunktes "Wir haben Depressionen" hier In der Therapie hat Benedikt Gönnewicht auch herausgefunden, was die Depression bei ihm ausgelöst hat. Es sei nicht der eine Grund gewesen, aber die Pandemie mit ihren Lockdowns, dem stark zurückgefahrenen sozialen Leben, das Gönnewicht immer sehr wichtig war, hat sicher ihren Teil dazu geleistet. "Der besonders schöne Teil meiner Arbeit fiel weg", sagt Gönnewicht mit Blick auf Annentags- und weitere Veranstaltungsvorbereitungen. Wohingegen andere, neue Arbeitsbereiche hinzukamen. Das Ordnungsamt kontrollierte öffentliche Zusammenkünfte oder auch Quarantäneanordnungen. "Das waren nicht immer nette Gespräche", erinnert sich Gönnewicht. Trotzdem wollte er unbedingt wieder arbeiten. Im vergangenen September ging es mit einer Wiedereingliederung sachte los. Seit November ist er wieder voll dabei und steckt jetzt schon mitten in den Plänen für Annentag 2023. "Ich würde sagen, ich gehe gestärkt daraus hervor", sagt Gönnewicht heute mit Blick auf seine Depressionen. Er hat immer noch Gesprächstherapie, die leichte Medikation soll jetzt langsam ausgeschlichen werden. "Ich wünsche mir, dass Depressionen als Krankheit so angenommen werden, dass es nicht mehr so abgetan wird, der hat einen an der Waffel oder simuliert", sagt der Brakeler. "Und ich wünsche mir, dass es so normal ist, zum Therapeuten zu gehen, wie zum Hausarzt."

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