Ukrainische Familien im Kreis Höxter zwischen Krieg und Weihnachtsfreude

Borgentreich. In Borgentreich begrüßen zu Weihnachten nicht nur die leuchtenden Weihnachtslichter, sondern auch neue Gesichter die Menschen, die ihre Geschichten der Hoffnung und Suche nach einem sicheren Ort mit in die Stadt bringen. Vier ukrainischen Familien teilen ihre Erlebnisse, wie sie nach den Wirren des Krieges und persönlicher Herausforderungen in Borgentreich eine neue Heimat gefunden haben. Am 18. Oktober 2022 erlaubte die Orthodoxe Kirche der Ukraine den Diözesen, Weihnachtsgottesdienste nach dem revidierten Julianischen Kalender, also dem 25. Dezember, abzuhalten. Zusätzlich gestattete die Kirche, bereits am 24. Dezember mit den Weihnachtsfeierlichkeiten zu beginnen. Überleben und Neuanfang Galina Shyan (73), Tetiana Lapina (37), Vsevolod Lapin (33) und ihre Kinder Lolita (12) sowie der fast zweijährige Sohn Viktor sind vor dem Krieg in Mariupol in der Ostukraine geflohen und haben in Deutschland eine neue Heimat gefunden. Tetiana brachte gerade einmal sechs Tage vor Kriegsbeginn ihren Sohn Viktor zur Welt. Ein russischer Angriff zerstörte ihr Zuhause, wobei die Familie nur knapp dem Tod entkam, da sie sich zufällig alle im Wohnzimmer befanden, als eine Bombe auf das Blockhaus fiel. Die Hälfte der Wohnung wurde unter Trümmern begraben. Verletzt verließen sie ihr zerstörtes Zuhause mit nur den wichtigsten Sachen, ahnend, dass der Stadt die russische Besetzung bevorstand. Der Weg nach Deutschland war von Hindernissen geprägt. Die Besatzer wollten den kleinen Viktor nicht aus der Stadt ausreisen lassen, da er nach ihrer Auffassung ein russischer Bürger war. Ein langer Kampf der jungen Eltern ermöglichte schließlich die gemeinsame Ausreise aus der Ukraine. Seit über einem Jahr sind sie nun in Deutschland, zunächst bei den Zionisten Schwestern in Scherfede und nun in einem gemieteten Haus in Borgentreich. Das erste Weihnachtsfest verlief ohne große Freude, doch dieses Jahr freuen sie sich mehr auf das Feiern. Der Tannenbaum steht schon geschmückt. &bdquo;Diesmal aber draußen, weil Viktor ihn nicht nur mit leuchtenden Augen betrachtet, sondern ihn auch gern jederzeit abschmückt“, sagt Papa Vsevolod. Die Familie, orthodoxe Christen, feierte Weihnachten in der Ukraine immer am 7. Januar. &bdquo;Traditionell und familiär am großen Tisch mit zwölf leckeren Gerichten“, erzählt Galina. Die deutschen Bräuche während der Adventszeit waren ihnen unbekannt und beeindrucken sie durch ihre Gemütlichkeit. Auch das Begrüßen eines Jeden, den man während der Feiertage trifft, mit dem Satz &bdquo;Frohes Fest“, gefällt ihnen sehr. &bdquo;Festlich geschmückte Häuser erwärmen mein Herz“, schwärmt Galina. Lolita liebt die deutsche Plätzchenbacken-Tradition, besonders mag sie Spekulatius, welches sie aus der Ukraine nicht kannte. Sie vermisst ihre Sternsängertruppe, mit der sie in der Heimatstadt jährlich unterwegs war. Ihr größter Wunsch für das neue Jahr ist eine Geige, damit sie nächstes Jahr unter dem Tannenbaum Weihnachtsmusik spielen kann und ihre zahlreichen musikalischen Talente weiterentfalten kann. Die gesamte Familie sehnt sich nach Frieden in der Welt. Tetiana betont, dass sie sich keine Sachen und Reichtümer wünschen. Sie sei froh, am Leben und in der Sicherheit zu sein. Die Familie hofft auf ein rasches Ende des Krieges in der Ukraine und baldige Rückkehr zur Normalität. &bdquo;Ich möchte wieder Feste mit Verwandten feiern, abends mit Freunden ausgehen können und unbesorgt lachen“, fügt Vsevolod dazu. Fern der Familie Iryna Makedonska (31) berichtet von einem bewegenden Telefonat mit ihrem Mann Oleksandr (39), einem Arzt aus der Nähe von Lviv, der sich gerade an der Front befindet. Trotz des letzten heftigen Beschusses durch die russische Armee blieb er unversehrt, was Erleichterung inmitten der Sorge brachte. Iryna verbringt bereits das zweite Jahr Weihnachten in Borgentreich, nur mit ihrer Schwester Natalia (30) und ihrem sechsjährigen Sohn Sascha. Die große Familie, die sonst ebenfalls ihre Feste mit zwölf traditionellen Gerichten feiert, wurde ungewollt zerrissen und muss dieses Jahr mit den Herausforderungen des Krieges umgehen. Ihre Eltern, Schwiegereltern und Großmutter sind noch in der Heimat. &bdquo;Mein Mann ist irgendwo, den genauen Ort darf ich nicht mal wissen“, klagt sie und wischt die Tränen fort. &bdquo;Oleksandr ermutigte mich dazu, zumindest für unseren kleinen Sascha eine festliche Atmosphäre zu schaffen. Ich werde es machen, obwohl es nicht einfach ist.“ Im letzten Jahr wollte sie keinen Weihnachtsbaum aufstellen, aber sie erhielten einen von deutschen Nachbarn. Ein besonderes Geschenk. &bdquo;Hier gibt es viele gute Menschen“, sagt sie. Inmitten von Konflikten und Unsicherheit teilt Iryna ihre Sehnsucht nach Frieden und Wiedervereinigung aller Familien, die unter Kriegen leiden. &bdquo;Nächstes Jahr gibt es einen riesigen, duftenden Tannenbaum, unter dem wir alle singen und lachen. Und Kutja! Die gibt es auf jeden Fall wieder“, sagt sie und lacht und ihre Augen leuchten plötzlich. Für sie ist Weihnachten ohne das traditionelle Gericht aus Weizenkörnen, Mohn, Honig, trockenen Früchten und Nüssen undenkbar. Heimweh und Hoffnung Yuliia Laryonova (40) ihre beiden Söhne Yehor (5) und Mark (18) und ihre Mutter Nina Kolesnikova (63) teilen die starke Sehnsucht nach ihrer Heimat in Kramatorsk, einer Stadt in der Nähe von Donezk. Trotz der Herausforderungen und des Verlusts ihrer gewohnten Umgebung haben sie sich gut in Borgentreich eingelebt. Eine neue Nachbarin, Anna, hilft ihnen liebevoll. Yuliia und ihre Familie planen, am 24. Dezember gemeinsam mit ihr in die Kirche zu gehen, um die festliche Atmosphäre zu genießen. Alle wünschen sie sich, nächstes Jahr im Frieden zu Hause zu sein und nicht mehr von fallenden Bomben hören zu müssen. Auch der Frieden für die gesamte Welt ist ihnen ein Herzenswunsch. Yuliia und Nina haben schon pünktlich zum ukrainischen Nikolaustag am 19. Dezember den Weihnachtsbaum aufgestellt, damit der fünfjährige Yehor seine Geschenke unter ihm finden kann. &bdquo;Er ist froh, hier zu sein, aber immer wieder fragt er, wann der Urlaub in Deutschland endlich zu Ende geht“, erzählt seine Mutter. Auch der 18-jährige Mark vermisst seine Heimat, vor allem seine Freunde. Er träumt davon, Silvester im kommenden Jahr in Kramatorsk feiern zu können. Trauer und Festlichkeit Das Ehepaar Yana Atamanova (39) und Oleksandr Tokar (49) mit ihren Kindern Yeva (17) und Zwillingen Dmytro und Tymur (5) aus Borgholz hat in der Weihnachtszeit ihre eigene Herausforderung zu bewältigen. Im vergangenen Jahr kamen sie Ende November mit Yanas schwerkrebskranken Mutter aus der Donez-Region nach Borgholz, wo sie kurz danach verstarb. Diese schmerzhafte Erfahrung wird die Familie jedes Jahr an die geliebte Oma erinnern und die Festtage mit einer Mischung aus Trauer und Festlichkeit gestalten. &bdquo;Ich möchte nur an das Gute denken“, sagt Yana. &bdquo;Das Leben muss weitergehen. Ich werde eine Gans vorbereiten, wie früher zu Hause. Ich möchte es wieder festlich und schön haben. Besonders wenn man Kinder hat, darf man nicht in negative Gedanken verfallen.“ Anfangs sei ihr Mann der Optimist gewesen, fügt sie hinzu. Jetzt, nach einem Jahr, fehle ihm sein Alltag und das Berufsleben. Sein Heimweh sei groß, besonders in dieser dunklen Jahreszeit. Seine Motivation trotzdem weiter zu machen und positiv zu bleiben, sind vor allem seine Kinder und die Hoffnung auf das Ende des Krieges und baldige Rückkehr in die Ukraine.

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