Wende im Borgentreicher Missbrauch-Prozess

Borgentreich. Mehr als sechs Monate hat Marius S. (alle Namen geändert) im Gefängnis in Untersuchungshaft verbringen müssen. Schließlich klangen die Vorwürfe entsetzlich, die Alina, die heute 14 Jahre alte Tochter seiner Lebensgefährtin, im Januar zur Anzeige brachte. Er habe ihr in den vergangenen zwei Jahren regelmäßig sexuelle Gewalt angetan, fast in jeder Woche habe er sie vergewaltigt, behauptete die Schülerin und erzählte auch von heftigen Schlägen sogar mit einem Besenstil. Am vierten Prozesstag vor der 5. Großen Strafkammer kommt aber der starke Verdacht auf, dass die Vorwürfe des Mädchens falsch sind. Dieser Verhandlungsabschnitt steht ganz im Zeichen der Gutachterin Anne Schönhauser. Die Psychologin hat Alina mit dem Ziel exploriert herauszubekommen, ob das junge Mädchen Dinge schildert, die auf eigenem Erleben beruhen. Doch da meldet die Expertin, die sich zwei Mal mit der 14-Jährigen für lange Gespräche getroffen hat, Zweifel an. Acht Mal sei Alina insgesamt von ihren Lehrern, von Mitarbeitern des Jugendamtes, von der Polizei, vom Gericht sowie auch von ihr selbst befragt worden, sagt Anne Schönhauser, die in all den so gesammelten Aussagen keine ausreichende Konstanz in der Schilderung der Taten sowie der Umstände feststellen kann. Widersprüchliche Äußerungen Das junge Mädchen habe sich widersprüchlich geäußert - über die angeblichen Vorfälle, ebenso wie über ihre eigenen sexuellen Vorerfahrungen. &bdquo;Sie vermeidet es, sich selbst als unvorteilhaft darzustellen“, sagt die Psychologin. Ganz anders Alinas Beschreibung von Marius S. &bdquo;Sie war bemüht, ihn zu belasten, und hat erfreuliche Dinge verschwiegen.“ Diese Tendenz, sich selbst als &bdquo;tadellos“ zu präsentieren, aber für den Anderen nichts Positives zu vermelden, sei typisch bei einer Falschaussage, weiß Schönhauser. Dass die intelligente Schülerin einen auch zeitlich so umfangreichen Tatvorwurf machte, erklärt sie damit, dass Alina wohl das &bdquo;Vorgehen der Justiz“ falsch eingeschätzt und nach der Devise &bdquo;Viel ist gut“ gehandelt habe. Schönhauser hält es für nicht ausgeschlossen, dass das Mädchen seinen Stiefvater &bdquo;loswerden“ wollte. Alina, die schon früh ihren leiblichen Vater verlor und lange bei ihrer Großmutter in Moldawien lebte, während ihre Mutter in anderen Ländern Europas arbeitete, sei traumatisiert und bindungsgestört. Möglicherweise habe die 14-Jährige ihre Mutter, die mit Marius S. schon länger eine On-Off-Beziehung führte, auf diese Weise &bdquo;retten“ wollen. Kein dringender Tatverdacht Die Einschätzung der Psychologin ist für das Gericht ein wichtiges Signal. Es gibt dem Antrag von Verteidigerin Stephanie Risse, den Haftbefehl aufzuheben, statt - mit Zustimmung von Anklägerin Klüter. Es bestehe kein dringender Tatverdacht mehr, ist man sich einig. Der 38-Jährige muss nicht mehr in die Untersuchungshaft zurückkehren. Am Mittwoch, 20. September, wollen sich die Richter den anderen Vorwürfen gegen Marius S. widmen, so soll er der Mutter seiner Lebensgefährtin mit einem Blumentopf auf den Kopf geschlagen und Alina mit einem Besenstil gezüchtigt haben. Hier sieht die Kammer noch Klärungsbedarf, bevor sie zu einem Urteil kommt. Die Vorsitzende Richterin gibt dem erleichterten Angeklagten noch mahnende Worte mit auf den Weg. Keinesfalls, sagt Nicole Klein, dürfe er mit Alina und ihrer Familie Kontakt aufnehmen. Entsetzt schüttelt Marius S. den Kopf. Er wolle weder mit dem Mädchen noch mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin etwas zu tun haben.

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