Hochwassergefahr am Atommülllager? Experte kritisiert "Panikmache"

Beverungen-Würgassen. Wie sicher ist das geplante Atommülllager in Würgassen vor Hochwasser? Die Antworten auf diese Frage gehen zwischen der Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) und der Bürgerinitiative Atomfreies 3-Ländereck weit auseinander – dabei berufen sich beide auf denselben Experten: Professor Jürgen Jensen. Er ist Leiter des Instituts für Wasser und Umwelt an der Universität Siegen. nw.de hat mit ihm über die Hochwasser-Gefahr am möglichen Atommülllager gesprochen – und ob die Flutkatastrophe an der Ahr auch eine neue Sichtweise in Würgassen erfordert. Professor Jensen, im Auftrag der BGZ haben Sie ein Gutachten zur Hochwasser-Einschätzung für den geplanten Standort des Logistikzentrums Konrad erstellt. Worum geht es in dem Gutachten? Im Gutachten geht es im Wesentlichen darum, den Hochwasserstand zu ermitteln, der im langfristigen statistischen Mittel einmal in 10.000 Jahren auftreten kann. Bei der Ermittlung geht man entsprechend den gültigen Regelwerken extrem konservativ vor. Man berücksichtigt unter anderem historische Ereignisse, wie zum Beispiel die Bombardierung und den Bruch der Edertalsperre mit dem anschließenden katastrophalen Hochwasser in der Weser 1943. Ein Bemessungswert für ein Wiederkehrintervall von 10.000 Jahren nutzt man in Deutschland ausschließlich für kritische Infrastrukturen, darunter fällt der Kerntechnik-Bereich aber auch Talsperren. Hintergrund dafür ist, dass eine große Gefahr vom Versagen solcher Bauwerke ausgeht. Zum Vergleich: Für landwirtschaftlich genutzte Flächen liegt die Bemessungsgröße bei einem Ereignis, das vielleicht alle zehn bis zwanzig Jahre oder noch häufiger auftritt. Für den urbanen Bereich liegt der Bemessungswert bei einem Ereignis, das im Mittel etwa einmal in 100 Jahren auftritt. Zu welchem Ergebnis sind Sie in Ihrem Gutachten gekommen? Bei dem abgeleiteten Bemessungsereignis mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von einmal in 10.000 Jahren kommt man auf einen Abfluss von 2.880 Kubikmeter Wasser pro Sekunde. Das bedeutet 1.200 Kubikmeter mehr als beim höchsten bisher bekannten Weser-Hochwasser im Bereich Würgassen aus dem Jahr 1946. Um einen Eindruck von der Größenordnung dieser Sicherheitsreserve zu bekommen: Seit den 1950er Jahren ist maximal ein Abfluss von 1.160 Kubikmeter pro Sekunde bei dem Hochwasser 1995 in Würgassen aufgetreten. Daran können Sie erkennen, wie hoch der Bemessungsabfluss für ein Wiederkehrintervall von 10.000 Jahren ist. Und das wäre ein wirklich absolut außergewöhnliches, extremes Ereignis. Wäre bei diesem beschriebenen, außergewöhnlichen Hochwasser das Gelände des möglichen Atommülllagers noch sicher? Der Pegelstand für das 10.000-jährige Ereignis liegt etwa 15 Zentimeter über dem umzäunten Kraftwerksgelände. Durch geeignete Maßnahmen, wie zum Beispiel eine Aufschüttung, ist auch für diesen Fall eine Überflutung des Logistikzentrums Konrad auszuschließen. Bei diesem Szenario ist dieser Bereich sicher, es ist aber so außergewöhnlich, dass man nicht wissen möchte, was anderorts passiert. Im gesamten Einzugsgebiet der Weser wäre ein solches Ereignis eine Katastrophe. Sie sprechen eine mögliche Aufschüttung des Geländes an, diese soll für mehr Sicherheit sorgen. Die Bürgerinitiative befürchtet, dass dann an der Weser wichtige Überflutungsfläche vernichtet wird. Bei einer Aufschüttung besteht immer die Auflage, ortsnah einen Ausgleich zu schaffen, der mindestens gleichwertig sein muss. Es gibt ein Verschlechterungsverbot und daher keinerlei negative Wirkung, das Wasser wird einfach nur woanders zwischengelagert. Meist ist es sogar besser, weil man eine Überkompensation vornimmt. Die Bürgerinitiative Atomfreies 3-Ländereck verweist darauf, dass nach der Flutkatastrophe im Juli bei Hochwasser-Bewertungen "eine neue Sichtweise der Dinge" unausweichlich sei. Sie sieht sich bestätigt durch Aussagen von Ihnen aus einem Interview. Wie passt das Gutachten zu diesen Aussagen zusammen? Bei dem aktuellen Hochwasserereignis an der Ahr handelte es sich um Sturzfluten in einem kleinen Einzugsgebiet mit steilen Hanglagen, ausgelöst durch ein Unwetter mit Starkregen, der für außergewöhnliche Niederschläge gesorgt hat. Das ist sicherlich etwas, was man als Erfahrung mitnehmen muss und das uns aufmerksam machen sollte, gegebenenfalls im Bereich kleiner Einzugsgebiete unsere Bemessungspraxis zu überprüfen. Hochwasserereignisse in Würgassen und weiter unterhalb der Weser haben eine ganz andere Entstehungsgeschichte als an der Ahr, die nicht miteinander vergleichbar sind. Es ist eine komplett andere Situation als an der Ahr. Insofern sollte man mit Panikmache und scheinbaren Widersprüchen nicht zur Verunsicherung der Bevölkerung beitragen. Meine Zitate für eine Pressemitteilung der Bürgerinitiative aus dem Zusammenhang zu nehmen, fand ich ehrlich gesagt unschön. Ich kann zwar verstehen, dass sich viele Argumente vermeintlich so auch nutzbar machen, aber das ist nicht wirklich hilfreich. Es ist der klassische Vergleich zwischen Äpfel und Birnen. Inwiefern ist die Situation in Würgassen eine andere als an der Ahr? Der Klimawandel spielt natürlich eine Rolle und kann auch Sommerhochwasser etwa in der Diemel beeinflussen. Wir erwarten Extremereignisse durchaus intensiver und die Starkregen-Problematik ist insbesondere von Bedeutung für Nebenflüsse gerade in steileren Lagen. Das betrifft dann aber kleinere Einzugsgebiete und nicht die Weser insgesamt, die bis Bad Karlshafen mit ungefähr 15.000 Quadratkilometer ein deutlich größeres Einzugsgebiet hat. Wenn extreme Starkregenereignisse kleinere Nebenflüsse im Einzugsgebiet von Fulda und Werra belasten, wird das bis zum Standort Bad Karlshafen und Würgassen durch die immer größeren Flussquerschnitte kompensiert. Schauen Sie, wie sich die Situation am Rhein nach dem Ahr-Hochwasser dargestellt hat. Das ist kaum merklich gewesen – der Zufluss der Ahr mit einem Einzugsgebiet von knapp 1.000 Quadratkilometer ist im Vergleich zum Rhein so gering, dass der Rhein kaum ansteigt. Und so muss man das auch im Einzugsgebiet der Weser sehen. Sie beschäftigen sich mit Hochwasser-Ereignissen auf der ganzen Welt. Wie schätzen Sie im Vergleich den deutschen Hochwasser-Schutz ein? Wir haben in Deutschland ein ausgesprochen hohes Schutzniveau, was in weiten Teilen der Welt nicht annähernd erreicht wird.

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