„Alle waren am Zittern“: So hat eine Passagierin das Zugunglück in Bad Driburg erlebt

Kreis Höxter. Es waren wohl die längsten Sekunden ihres Lebens: Nicole Stevenson sitzt im ersten Wagen der Eggebahn, als der Zug gegen einen wegen des Sturms in der vergangenen Woche umgestürzten Baum rast und entgleist. Sie hat das Unglück nicht als harmloses &bdquo;nur ein Ruckeln“ wahrgenommen. Dramatisch anmutend machten sich der Aufprall und die Entgleisung offenbar im ersten Wagen bemerkbar: &bdquo;Alle waren am Zittern, wir hatten Todesangst“, sagt Stevenson. Die Fahrgäste aber auch das Personal hätten mit einer weiteren Kollision des Zuges oder gar mit einem Überschlag des Waggons gerechnet. Reisetaschen seien durch den Fahrgastraum geflogen, alles habe gewackelt, eine Lampeneinfassung sei von der Decke geflogen. &bdquo;Wir wussten ja gar nicht, mit was wir kollidiert sind“, sagt sie. Die Befürchtung sei gewesen, dass auf den ersten Aufprall ein weiterer folgen würde. Dazu ist es zum Glück zwar nicht mehr gekommen, und es blieb bei den Schrecksekunden – aber sie wirken nach. &bdquo;Es war definitiv schon heftig.“ Nicht nur bei Stevenson. &bdquo;Wir wussten nicht, wie das jetzt enden wird. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit.“ So geht die Nordwestbahn damit um Die Nordwestbahn betont auf Nachfrage der &bdquo;Neuen Westfälischen“, dass eine Zugentgleisung &bdquo;grundsätzlich ein belastendes Ereignis“ sei, das &bdquo;zu körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen führen kann“. Die Nordwestbahn lasse ihre Mitarbeitenden deshalb in solchen Situationen nicht allein und biete ihnen Hilfe im Rahmen des Präventions- und Erstbetreuerkonzeptes an. &bdquo;Eigene speziell geschulte Mitarbeitende, Erstbetreuer, kümmern sich vor Ort um die betroffenen Mitarbeitenden, die nach einem solchen Ereignis vorsorglich immer als arbeitsunfähig eingestuft werden“, sagt Pressesprecher Benjamin Havermann. Im Nachgang würden sie dann von den Betriebsärzten der Nordwestbahn kontaktiert, die weitere Unterstützung durch Psychologen oder die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) anbiete, falls dies vom Mitarbeitenden gewünscht werde. Die Nordwestbahn ist allerdings nicht zuständig für die Betreuung oder Nachsorge der Fahrgäste. &bdquo;Nach dem Unfall wurde ich gefragt, ob es mir gut geht, psychologische Betreuung gab es aber keine“, sagt die Frau, die seit Jahren mit dem Zug zur Arbeit pendelt. Genau eine solche professionelle Betreuung hätte sie sich aber gewünscht, sagt sie. Denn selbst nach einer guten Stunde habe sie noch unter dem Eindruck des schockierenden Unfalls gestanden. Und erst viel später habe sich ihr nach und nach die gesamte Tragweite der Situation gezeigt. Auch Zugpersonal habe unter Schock gestanden &bdquo;Mir fehlte einfach jemand, der mir ein Gesprächsangebot gemacht hat oder mich über seelsorgerische Nachsorge informiert.“ Sie macht dem Zugpersonal dabei ausdrücklich keine Vorwürfe – &bdquo;beim Personal habe ich mich gut aufgehoben gefühlt“ – dennoch hätte sie sich ein Gespräch mit einem Fachmann gewünscht, der im Umgang mit Personen, die derlei Ausnahmesituationen ausgesetzt sind, geschult ist. Immerhin hätte auch das Personal im Zug unter Schock gestanden, viele hätten geweint. &bdquo;Geholfen hätte schon eine Telefonnummer mit einem Ansprechpartner“, stellt sie klar. Auf Nachfrage der &bdquo;Neuen Westfälischen“ erläutert Kreis-Sprecher Thomas Fuest, dass nicht die Einsatzleitstelle in Brakel darüber entscheidet, ob Notfallseelsorger an eine Unglücksstelle gerufen werden, sondern jeweils die Einsatzleitung vor Ort. Das wäre in diesem Fall ein Verantwortlicher der Feuerwehr in Bad Driburg. Tamara Fleischer, Sprecherin der Stadt Bad Driburg, erklärt, dass alle Zuggäste vor Ort &bdquo;durch die Feuerwehr, den Rettungsdienst sowie das Deutsche Rote Kreuz medizinisch und persönlich betreut“ und zum Bus begleitet worden seien. &bdquo;Vor Ort haben sich für die Einsatzkräfte keinerlei Anhaltspunkte für eine Notwendigkeit psychologischer Betreuung ergeben“, sagt sie. Und nach der Beendigung des Einsatzes liege eine eventuelle weitere Versorgung in den Händen der Ärzte oder Hausärzte. Hausarzt verschreibt Betroffener Schmerzmittel Stevenson sagt, um sich selbst zu helfen, habe sie genau das gemacht, nämlich ihren Hausarzt aufgesucht, der allerdings sei ihr auch keine große Hilfe gewesen. Zwar habe er ihr Schmerzmittel verschrieben, aber mit Blick auf die emotionalen Belastungen, mit denen sie seitdem zu kämpfen habe, habe er ihr nicht zur Seite stehen können. Immerhin sei er davon ausgegangen, dass das Zugunglück &bdquo;ja nicht so schlimm“ gewesen sei. Dass aber jedes Ereignis von jedem Menschen anders wahrgenommen werden kann, weiß Pfarrer Johannes Insel aus Erfahrung. Der Polizeiseelsorger im Dekanat Höxter hat im Laufe seiner Laufbahn schon etliche Unfall- und Katastrophengebiete besucht und den Menschen dort beigestanden. Insel stellt klar, dass er den Menschen in solchen Ausnahmesituationen aus Prinzip und Überzeugung helfe. &bdquo;Wenn nach solch einem Unglück die Bilder immer wieder hochkommen, ist es wichtig, dass sich daraus keine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt“, sagt der Fachmann. Dagegen könne es eben helfen, über die Erlebnisse zu reden. Dabei spiele es oft keine Rolle, wie dramatisch ein Ereignis tatsächlich gewesen ist, &bdquo;es kann harmlos aussehen, aber wie es wirklich war, weiß jeder Einzelne nur selbst“. Kontakt zum Notfallseelsorger Er selbst hätte einen Einsatz nach dem Zugunfall in Bad Driburg daher für gerechtfertigt gehalten: &bdquo;Lieber einmal zu viel vor Ort sein, als einmal zu wenig“, meint er. Eine Alarmierung haben er und seine Kollegen nicht erhalten. Sonst wären sie – natürlich – gekommen. Insel stellt aber klar, dass er und seine Kollegen des Dekanats Höxter jederzeit erreichbar sind, zu jeder Tages- und Nachtzeit, auch per Telefon. Sein Angebot richtet sich dabei, wie der Name Polizeiseelsorger sagt, vorwiegend an Polizistinnen und Polizisten. Insel ist erreichbar unter Tel. 05641 7483210 oder per Mail an johannes.insel@polizeiseelsorge.org.

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