Bad Driburg. „Dieser Roman ist eine Wucht. Ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen, bis ich es durchgelesen hatte", schwärmt Annabelle Gräfin von Oeynhausen-Sierstorpff. „Die Erzählung ist deshalb so bewegend, weil sie nicht nur die ganz persönliche Geschichte einer Familie beschreibt, sondern auch ein Stück deutscher Zeitgeschichte. Und das Thema ist hochaktuell, wie ich finde", betonte die Gastgeberin, denn der Schauspieler Christian Berkel stellte seinen ersten Roman „Der Apfelbaum" auf Einladung der Diotima Gesellschaft im Gräflichen Park Health & Balance Resort vor.
Der namensgebende Baum stand im Garten seines Elternhauses und diente dem jungen Christian als allererste Bühne. Er kletterte auf den kleinen Apfelbaum und präsentierte seinem Publikum Szenen aus Theaterstücken von Karl May und anderen großen Schriftstellern. Nur der Abgang sei manchmal etwas heikel gewesen, schmunzelt der Autor.
"Schon als Kind ging ich viel ins Theater"
„Schon als Kind ging ich viel ins Theater. So wurde mir damals bereits sehr früh bewusst, dass ich Schauspieler werden möchte. Denn in diesem Beruf kann man immer wieder in neue Rollen schlüpfen und jemand ganz anderes sein", erinnert sich Christian Berkel, der 1957 in West-Berlin geboren wurde und inzwischen zu den bekanntesten deutschen Schauspielern zählt.
„Ich wusste lange nichts von meiner eigenen jüdischen Familiengeschichte", sagt Berkel. Bis seine Mutter ihm eines Tages beim Besuch eines nach Amerika emigrierten Onkels eröffnete: „Du bist auch ein bisschen jüdisch, aber auch nicht ganz deutsch." Ein Schock für den damals Sechsjährigen: „Ich war erschrocken – für mich als Kind war alles, das nicht ganz ist, kaputt", betont der Schauspieler. Es habe sich angefühlt, als hätte seine Mutter ihm gesagt: „Mit dir stimmt etwas nicht." Dieses Gefühl ließ ihn lange nicht los.
Die Geschichte seiner Eltern Sala und Otto
Und obwohl es diese Definition im Judentum eigentlich gar nicht gibt, habe seine Mutter immer darauf bestanden, Halbjüdin zu sein. „Vielleicht glaubte sie, so zumindest zur Hälfte etwas wert zu sein – denn das Judentum bedeutete für sie zur Zeit der Nationalsozialisten, vom Leben ausgeschlossen zu werden", so Berkel. Der Begriff Identität sei für ihn daher schon immer besonders komplex oder vielmehr kompliziert gewesen. Später, als Jugendlicher, wollte er dann Franzose werden. „Aber Identität ist nichts, das man einfach so wechseln kann wie ein Hemd. Das habe ich schnell begriffen", erzählt er.
In „Der Apfelbaum" hat der Autor und Schauspieler die Geschichte seiner Eltern Sala und Otto aufgeschrieben und ist damit auch das Wagnis der Erinnerung eingegangen. Der Erinnerung an ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte. Um seinen Wurzeln nachzuspüren, recherchierte Christian Berkel in verschiedenen Archiven, las Briefwechsel, ist viel gereist und hat lange Gespräche mit seiner Mutter geführt. Entstanden ist die Erzählung einer ungewöhnlichen Liebe vor dem Hintergrund eines ganzen Jahrhunderts deutscher Geschichte.
In Deutschland getroffen und Familie gegründet
„Jahrelang bin ich vor meiner eigenen Geschichte davongelaufen. Dann erfand ich sie neu", sagt er. Denn „Der Apfelbaum" sei ein Roman, die Protagonisten Kunstfiguren. Deren Stationen aber beruhen auf der teils sehr bedrückenden Lebensgeschichte seiner Eltern – Christian Berkels Mutter Sala floh vor dem Rassenhass der Nazis nach Paris, wurde denunziert und kam in das französische Internierungslager Gurs, während die Großmutter zur gleichen Zeit im Spanien der Franco-Diktatur in der Todeszelle saß. Vater Otto geriet als Sanitätsarzt in russische Kriegsgefangenschaft. Erst spät trafen sich die beiden nach dem Krieg in Deutschland wieder und gründeten eine Familie.
In einer Zeit, in der der Antisemitismus wieder zunimmt und die Gesellschaft nach rechts rückt, ist Berkels Roman aktueller denn je. „Wir erleben gerade eine Rückkehr ins ideologische Zeitalter, kehren zurück zu alten Fronten", beobachtet Christian Berkel mit Sorge. Das Schlimmste daran sei die schweigende demokratische Mehrheit, sagt er.
Wenn ein erfahrener Politiker von einem „Vogelschiss in der Geschichte" spreche, dann zeuge dies seiner Meinung nach von einem „Mangel an demokratischer Reife". Auf einmal gebe es keine sprachlichen Tabus mehr. „Das ist eine Sache, die mich ganz besonders schockiert und tief bewegt. Wir müssen aufpassen, was mit unserer Sprache passiert", appelliert Christian Berkel an seine Zuhörer im Theatersaal und erntet dafür zustimmenden Applaus.