
Herford. Das alte Foto vom vergangenen Mittwoch zeigt die Häuserzeile mit dem Rathaus Neustadt und anschließenden Geschäften auf dem Neuen Markt. Heute bietet im Eckhaus ein Juwelier seine Waren an, die beiden anschließenden Geschäftsräume werden gerade zu einem neuen Restaurant umgebaut. Auf unserem historischen Foto, das aus einer Serie von Gaststättenfotos aus dem Kommunalarchiv stammt, sind das Café-Restaurant Scholz, das Süße Eck und das Fachgeschäft Radio Wenske zu sehen.
Dazu haben uns wieder viele Leserzuschriften erreicht. Günter Scholz erinnert sich: "Im linken Eckgebäude (links davon nicht auf dem Foto zu sehen zweigt die Petersilienstraße ab) befand sich früher Radio Wenske, das mehrmals umgezogen ist. Es war später auch im jetzigen Telekom-Shop im Gehrenberg und auch im Parkhaus Berliner Straße unter dem Namen Sprechfunktechnik untergebracht. Es war damals sehr beliebt bei Schallplattensammlern, denn es hatte eine sehr gute Auswahl."

Wolfgang Pallatzky weiß noch: "Das Geschäft rechts, ist das "Süße Eck", mit immer ausgefallenen Angeboten an Kaffee und Süßigkeiten. Das Café in der Mitte, Café & Restaurant Scholz - eine sehr originelle, urgemütliche Herforder Kneipe. Das Geschäft links - Radiofachgeschäft Wenske - das Dorado für Herfords Elektobastler. Harry Wenske wusste immer und jederzeit Rat und Hilfe zu jedwedem elektrischen Problem.
Schallplatten bei Harry Wenske gekauft
Harry verkaufte elektrische Komponenten für Radio, Funk und Fernsehen, hatte ein riesiges Lager vor Ort oder konnte alles denkbare in kürzester Zeit beschaffen. Als Hobby hatte Harry die Musik - wenn ich mich recht erinnere, spielte er Saxofon in einer Herforder Band. Harry war der Verfasser und Komponist des "Herford- Liedes" das leider in Vergessenheit geraten ist."
Helfried Horstmann erinnert sich: "Der Platz des eigentlichen Neuen Marktes ist nicht zu sehen, wohl aber das alte Neustädter Rathaus. Obwohl eine recht lange Front des Hauses am Neuen Markt liegt, gehört es zur Lübberstraße. Beim Radiohaus Harry Wenske habe ich als Jugendlicher gern Schallplatten gekauft. Dort gab es eine kleine Verkaufstheke mit Barhockern.
Mit Kopfhörern konnte man sich das Musikstück auf der Schallplatte (den Begriff "Single" kannte man noch nicht) anhören. Das Ganze fand in gemütlicher Atmosphäre statt und hatte nur wenig Geschäftsmäßiges. Das Schönste war, dass es für jede gekaufte Schallplatte einen Gutschein gab. Wenn man genug hatte bekam man eine Platte gratis."
Legendärer Jazzclub in Herford
Manfred Thielicke hat besondere Erinnerungen: "Mit dem Neuen Markt verbindet sich ein Jahrzehnt intensiver musikalischer Erinnerungen. Links neben dem Eingang des Radio- und Fernsehgeschäftes von Harry Wenske schloss sich eine Hofeinfahrt an, durch die ein Zugang zum hinteren Teil eines verschachtelten Gebäudekomplexes führte.
Hier war in einem rund 40 Quadratmeter großen Raum der legendäre Jazzclub January zu Hause. Ende 1960 wurde ich dort Mitglied. Da ich von nun an einen großen Teil meiner Freizeit in ihm verbrachte, wurde er zum Teil meines (jazzerischen) Lebens. Am Wochenende füllte der Raum sich bis zur Schmerzgrenze mit musikbegeisterten Jazzern, die, so würde man heute sagen, "heiß" auf Jazz waren.
Dabei wurde nicht nach einer Konzession für den Getränkeausschank oder nach bauordnungsrechtlichen Vorschriften für den Rauchabzug des Kohleofens gefragt, dessen Emissionen über ein Ofenrohr nach draußen in die Hofeinfahrt gelangten. Im Winter war es für Besucher übrigens Pflicht, quasi als Eintritt Holz oder Briketts für den Heizvorrat mitzubringen! Eine wahrlich archaische Jazzwelt.
Erinnerung an musikalische Helden
Wir fühlten uns als Avantgarde des Jazz in Herford. Denn wir hörten nicht Dixieland- oder Oldtime, den wir verächtlich als "Mäusejazz" bezeichneten, der aber, Chris Barber sei Dank, dazu geführt hatte, dass der Jazz allmählich das Stigma der "Negermusik" ablegte.
Unsere musikalischen Helden waren Miles Davis, Charlie Parker, John Coltrane, Dave Brubeck und Gerry Mulligan. Bei Wenske war Frau Wagner der gute Geist, denn sie war auch dem Jazz verbunden und hatte als einzige von Herfords Plattenläden, von denen es zu der Zeit einige gab, ein großes Sortiment an LPs, vor allem Modern Jazz
Dieser Laden war Kult! Hier trafen sich jeden Samstagvormittag die Jazzer in einem hinteren Raum und beugten sich geradezu verschwörerisch über einen Plattenspieler, legten die neuesten von Frau Wagner organisierten Platten auf und fachsimpelten über Groove, Beat, Offbeat, Riffs und gelungene Soli. Abends ging es dann gut gestimmt, sozusagen vorgeglüht, in den Club nach nebenan in der Toreinfahrt.
Ein Fixpunkt für das Jazzleben
Der Plattenladen mit Frau Wagner war ein Fixpunkt in unserem Jazzer-Leben! Dem Club wurde Mitte 1962 seitens des Grundstückseigentümers, Rechtsanwalt Münter, gekündigt. Der Club suchte sich eine neue Bleibe und fand sie in der Komturstraße. Im hinteren Teil des Lederwarengeschäftes Kunst in einer alten stillgelegten Bonbonfabrik, die heute noch zu sehen ist und von der Familie Ahlers erworben wurde, fand der Club im oberen Stock sein neues Domizil. In der clubraumlosen Zeit, bis zum Einzug im März 1963, war Frau Wagner mit ihrem Plattenraum ein noch intensiverer Treffpunkt!
Anfang der 1970er Jahre endete dann ein Stück Jazzgeschichte am Neuen Markt. Harry Wenske verlegte sein Geschäft an die Ecke Lübberstraße/Johannisstraße. Aber auch der Jazzclub January hatte inzwischen seinen Clubraum an der Komturstraße wieder verloren und existierte noch für einige wenige Jahre an anderen Orten."
Rita Frentrup weiß noch genau: "Rechts an der Ecke, war das Juweliergeschäft "Backes". Dort habe ich meine ersten Eheringe gekauft und eine Wanduhr, die mich gut 30 Jahre begleitet hat."
Detlev Piekenbrock schreibt: "Aus dem Café wurde Ende der 1970er die viel besuchte Kneipe "Alte Ratsstuben" unter dem legendären Adi Baum mit seiner Gisela. Phasenweise war dort der größte Bierumsatz in Herford; und übertraf sogar zeitweise Fritz und Willi am Alten Markt. Eine tragende Gastsäule war die Ulknudel "Herbert" vom Lastenausgleichsamt. Wir konnten uns so wunderbar die Bälle zuspielen. Eines Abends kam ich rein. Herbert war schon auf seinem Platz. Ich rief ihm zu: "Mann Herbert, hier bist du! Chruschtschow sucht dich schon! Du sollst ihn sofort anrufen!" Herbert ließ sich das Wirtstelefon geben - Handy war noch nicht - und wählte eine endlos lange Nummer. Und dann sprach er mit Nikita! Er konnte perfekt Russisch. Und alle Gäste schwiegen gespannt, um das Gespräch nicht zu stören . . ."
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