Nachwuchsprobleme: Alle Ausbildungsplätze in Spenger Firma bleiben erstmals unbesetzt

Spenge. Der aktuelle Nachwuchs- und Fachkräftemangel beschäftigt Unternehmen in Spenge. Laut aktueller IHK-Standortumfrage sehen die Firmenchefs dort großen Nachbesserungsbedarf und wünschen sich mehr Unterstützung von Schulen und Kommune (die NW berichtete). Der Tenor: Motivierte, junge Auszubildende fehlen an allen Ecken und Enden. Wie schätzen die Unternehmen die Situation selbst ein? Tobias Fehn ist der Vorsitzende der Spenger Kaufmannschaft und sagt: &bdquo;Die Qualität der Bewerber lässt zu wünschen übrig. Die große Frage ist doch: Was macht man mit der Jugend?“ Bereits bei der Vorstellung der Standortumfrage positionierte er sich: Zukunftstage wie der Girls & Boys Day bieten aus seiner Sicht keinen Mehrwert: &bdquo;Ich sehe aufgrund der fehlenden Orientierung und dem Mangel an Lehrkräften die Probleme vieler Schüler, das Passende zu finden.“ Er schlägt längere, zielgerichtete Praktika vor, bei denen qualifizierte Schülerinnen und Schüler gezielt angesprochen werden sollen. Auch eine Kooperationsplattform hält er für möglich: &bdquo;Es ist wichtig, von den Schulen aus mehr die Praxis einzubinden. Bislang sind die Formate für alle Beteiligten viel zu theoretisch. Man schafft mehr Anreize, wenn man längere Zeit in dem Unternehmen verbringt.“ Gute Azubis werden bei diesem Unternehmen übernommen Ähnlich sieht es Uwe Bergmann, Geschäftsführer der Bergmann und Steffen GmbH. Denjenigen, die dort eine Berufsausbildung erfolgreich absolviert haben, &bdquo;bieten wir anschließend auch einen Arbeitsvertrag an“, sagt Bergmann. Einige Mitarbeiter seien schon seit 40 Jahren im Unternehmen. In diesem Jahr konnten zwei neue Auszubildende gefunden werden. 2022 blieben – erstmalig in der Firmengeschichte – alle Ausbildungsplätze unbesetzt. Kontraproduktiv wird es laut Bergmann spätestens dann, wenn Schulen Aktionen wie den sogenannten &bdquo;Social Day“ durchführen. Unter dem Motto &bdquo;Mach dich stark für Gutes“ engagieren sich jedes Jahr vor den Sommerferien Schülerinnen und Schüler vieler weiterführenden Schulen in Herford in Unternehmen und Privathaushalten. Den vorher ausgehandelten &bdquo;Arbeitslohn“ spenden sie. &bdquo;Hier wurden neben der Betreuung der Schüler auch noch unverhohlen ,freiwillige’ Spenden des Arbeitgebers an Stelle des ,Arbeitslohns’ eingefordert,“ kritisiert Bergmann. &bdquo;Realitätsverlust“ bei vielen Studierenden? Zur Einstellung junger Menschen sagt Bergmann: &bdquo;Die jungen Leute, die sich um eine Ausbildungsstelle bewerben, haben schon eine realistische Einstellung zum Arbeitsleben. Bei Studienabsolventen zeigt sich aber häufig ein anderes Bild. Hier ist in einigen Fällen wohl Realitätsverlust eingetreten. Hohe Gehaltsforderungen treffen auf den Wunsch nach allerlei Benefits: &bdquo;Leute, die nie zuvor in ihrem Leben gearbeitet haben, versuchen mir zu erklären, was es mit der Work-Life-Balance so auf sich hat.“ Wilhelm Modersohn, Geschäftsführer der Firma Modersohn, sieht Praktika und auch Zukunftstage als Chance für Unternehmen: &bdquo;Irgendwann müssen die jungen Menschen doch anfangen, ein Gespür für den Arbeitsmarkt und ihre Möglichkeiten zu entwickeln.“ Er mache sich insbesondere für Ausbildungen stark: &bdquo;Es ist wichtig, dass wir das Image der Lehrjahre verbessern. Man fängt eben klein an und muss diesen Prozess mit Ehrgeiz hinter sich bringen.“ Stadt sucht seit Jahren einen Azubi für einen bestimmten Bereich Auch die Stadt Spenge selbst beschäftigt das Thema. Bürgermeister Bernd Dumcke versteht die Perspektive der Firmenchefs: &bdquo;Die Unternehmen stellen sich die Frage: Wie wecken wir Interesse?“ Bislang zeige das aber nur wenig Wirkung. Die Stadt erlebe das Gleiche in bestimmten Bereichen: Seit fast zwei Jahren suche man eine Auszubildende oder einen Auszubildenden als Fachkraft für Abwassertechnik. &bdquo;Es kommt nicht eine einzige Bewerbung“, sagt Dumcke. &bdquo;Ich erlebe bereits bei Auszubildenden, dass sie von ’Work-Life-Balance’ sprechen.“ Zukunftstage halte auch er für diskutabel: &bdquo;Wenn man sich bei den Unternehmen umhört, scheint dieses Format nicht der Idealfall zu sein.“ Dirk Bartz, Ausbildungsleiter der Hettich Group, die auch eine Niederlassung in Spenge hat, sagt, dass junge Leute heute anders motiviert werden müssten: &bdquo;Das liegt auch am vermehrten Angebot an Ausbildungsberufen.“ Die im letzten Jahr gegründete Hettich Education Academy habe zum Ziel, ihnen sowohl spezielle Möglichkeiten der Mitgestaltung als auch Mitspracherecht innerhalb des Unternehmens zu geben. &bdquo;Da hören wir, was sie wollen“, sagt Dirk Bartz. &bdquo;Die Berufswahl ist ein längerer Prozess“ Seiner Ansicht nach sollte es noch mehr niederschwellige Kennenlernangebote geben: &bdquo;Die Berufswahl junger Menschen ist ein längerer Prozess. Manchmal ist die Ausbildungsreife nach dem Schulabschluss noch nicht vollständig entwickelt.“ Nicht alle Kinder hätten die gleichen Voraussetzungen. Mit der richtigen Unterstützung im Betrieb ließen sich entsprechende Fähigkeiten jedoch sehr gut vermitteln. Die Maßgabe, den Zukunftstag grundsätzlich nur in geschlechtsuntypischen Berufen verbringen zu dürfen – wie an einigen Schulen praktiziert – hält Bartz für nicht sinnvoll. Björn Wierzbinski, Leiter der LVM-Versicherungsagentur, vertritt nicht die Ansicht, dass junge Menschen zu hohe Erwartungen stellen würden: &bdquo;Ich habe vielmehr das Gefühl, dass die Arbeit zum Leben passen muss, was auch absolut in Ordnung ist. Diese Generation möchte vielleicht nicht unbedingt Karriere oder dauernd Überstunden machen, sondern ist auch mit weniger zufrieden.“ Von Praktika überzeugt Ähnlich positioniert sich Michael Wieczorek, Inhaber der Werbeagentur &bdquo;Art-Medial“: &bdquo;Ich kann nicht verstehen, warum die Unternehmen keine Lust darauf haben, es sind doch potenziell neue Mitarbeiter dabei, die man dann ausbilden kann,“ erklärt er. Für alles, was über ein Tagespraktikum hinausgeht, führe er auch ein richtiges Vorstellungsgespräch: &bdquo;Dann stellen wir den Praktikanten auch die entsprechende Man-Power zur Seite.“ Mit Erfolg: Drei von 16 festen Mitarbeitern seien in seinem Unternehmen über die Praktika generiert worden. Björn Wierzbinski nimmt einen Perspektiv-Wechsel von Gehalt zu Sinnhaftigkeit wahr. Er sieht die Betriebe in der Pflicht: &bdquo;Es sind mehr Themen wie Sicherheit, Planbarkeit, ein gutes Team oder Flexibilität. Kurzum: Diese Generation hat einfach gefühlt eine andere Vorstellung vom Leben. Und das sollte man als Arbeitgeber respektieren.“

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