Zehn Jahre Jesiden in der Ulenburg in Löhne: Was aus dem Schloss wurde

Löhne. Im Februar 2015 hat die Glaubensgemeinschaft der Jesiden die Ulenburg von der Diakonischen Stiftung Wittekindshof gekauft. Nach der Übernahme ist in dem alten Wasserschloss ein Religions-, Studien- und Kulturzentrum entstanden. Der jesidische Fernsehsender Cira TV hat dort seinen Sitz. Zehn Jahre nach dem Kauf der Ulenburg ziehen wir mit ganz unterschiedlichen Gesprächspartnern Bilanz. Viele Jahre war das Wasserschloss, das zwischen 1568 und 1570 gebaut wurde, in Besitz des Wittekindshofs. Er kaufte die Ulenburg im Jahr 1927. Bis 2008 wurde dort eine Pflegeeinrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung betrieben. Schon lange vor dem Auszug des letzten Bewohners stand für die Diakonische Stiftung fest, dass in dem Gebäude eine zeitgemäße Unterbringung nicht mehr möglich ist. Marian Zachov, neuer theologischer Vorstand der Diakonischen Stiftung Wittekindshof, sagt auf Anfrage der &bdquo;NW“: &bdquo;Es ist festzuhalten, dass – wie bereits Pfarrer Prof. Dr. Starnitzke in seinem Abschiedsinterview in der &bdquo;Neuen Westfälischen“ betonte – der Standort Ulenburg aufgrund seiner baulichen und strukturellen Gegebenheiten nicht mehr für unsere Klientinnen und Klienten geeignet war. Er erwies sich als zu exkludierend, um ein inklusives, personenzentriertes Setting in der Eingliederungshilfe zu ermöglichen.“ Schloss Ulenburg in Löhne war schwer verkäuflich Viele Jahre suchte die Stiftung nach Käufern für die Immobilie. Die Nachfrage nach sanierungsbedürftigen Schlössern hielt sich allerdings in engen Grenzen. Interessiert war unter anderem ein Mediziner, der dort eine Praxisklinik eröffnen wollte. Dieser Plan zerschlug sich ebenso wie einige andere. Viel Wirbel machte der Versuch, des mittlerweile gestorbenen Unternehmers Axel Oberschelp aus Bad Oeynhausen, das Schloss zu kaufen. Er wollte dort ein Gesundheitszentrum einrichten. Dafür bekam er auch Zuspruch von Löhnes damaligem Bürgermeister Heinz-Dieter Held. Auch der Freundeskreis Ulenburg, der sich einige Jahre bemühte, bei der Nachnutzung des Schlosses zu helfen, unterstützte Oberschelp. Umso größer war die Überraschung, als die Diakonische Stiftung Wittekindshof dann den Käufer präsentierte. Käufer war die &bdquo;Ezdai gGmbH“, die von Angehörigen der jesidischen Glaubensgemeinschaft getragen wird. Damals konnten nur wenige Löhnerinnen und Löhner mit dem Begriff &bdquo;Jeside“ etwas anfangen. Viel Aufklärungsarbeit wurde von Vereinen und Ehrenamtlichen geleistet. Aus dem Archiv: Neuer Schlossherr setzt auf Offenheit Protestwelle nach dem Verkauf der Ulenburg Eine Welle des Protests wegen der neuen Eigentümer und dem Verhalten des Wittekindshofs kam auf. Der Stiftung wurde Intransparenz vorgeworfen. Marian Zachov räumt ein: &bdquo;Aus heutiger Sicht wäre vielleicht zu fragen, ob seinerzeit ein breiterer und frühzeitiger, partizipativer Dialog über Verkaufs- und Nutzungskonzepte mit der Löhner Kommunalpolitik und anderen Stakeholdern sinnvoll gewesen wäre. Dennoch bleibt der Verkauf des Gebäudes alternativlos. Es gibt keinen Anlass, die Entscheidung oder den Käufer kritisch zu bewerten“. Im Übrigen erlebe die Stiftung die neuen Eigentümer nach wie vor als sehr kooperativ und aufgeschlossen. &bdquo;Unter anderem haben wir in 2023 ein großes Sommerfest im Garten der Ulenburg gefeiert, an dem auch Teile des jesidischen Vereins teilgenommen haben“, sagt Zachov. Für die neuen Besitzer waren die letzten zehn Jahre eine große Herausforderung. Da war nicht nur das Schloss, das dringend saniert werden musste. Der Angriff des Islamischen Staates auf das Hauptsiedlungsgebiet der Jesiden in Sengal im Norden des Iraks mündete in einen Völkermord. Am 3. August 2014 waren Kämpfer der Terrormiliz in die Region eingefallen und hatten ein Blutbad angerichtet. Mehrere Tausend Zivilisten wurden massakriert, rund 5.000 Frauen und Mädchen verschleppt, etliche weitere versklavt. Etwa die Hälfte der jesidischen Bevölkerung ist aus ihrem ursprünglichen Siedlungsgebiet geflohen. Viele Tausend Menschen waren davon betroffen. Sanierungsarbeiten der Ulenburg ziehen sich lange hin &bdquo;Die Erinnerung an dieses furchtbare Verbrechen wird bleiben“, sagt Necdal Disli, Geschäftsführer der &bdquo;Ezdai gGmbH“, die die Ulenburg trägt. Die Unterstützung der Jesiden im Nordirak und anderen Teilen des Nahen Ostens, wo die Jesiden Flucht und Vertreibung ausgesetzt sind, habe viel Geld und Kraft gebunden. Dadurch hätten sich auch die Sanierungsarbeiten in der Ulenburg deutlich länger hingezogen als geplant. &bdquo;Du kannst ja nicht zuschauen, wenn die halbe Bevölkerung auf der Flucht ist“, sagt Disli. An der Ulenburg trotz der widrigen Umstände festzuhalten, sei die richtige Entscheidung gewesen. &bdquo;Die Ulenburg ist auch ein emotionaler Halt für die Jesiden“, sagt er. Das Schloss sei als Zentrum des Jesidentums nicht nur in ganz Deutschland bekannt. &bdquo;Die Ulenburg ist ein ganz wichtiger Ort für die Jesiden, auch wenn sie noch nie hier gewesen sind“, sagt er. Das Schloss und der umgebende Park hätten auch für Disli, der in Oldenburg lebt, längst einen festen Platz in seinem Leben. &bdquo;Das ist so schön hier. Dieser Ort strahlt eine besondere Ruhe aus.“ Historisch: Die Geschichte der Löhner Ulenburg-Besitzer ist rätselhaft Für die neuen Eigentümer war die Ulenburg viele Jahre eine Großbaustelle. Tonnen von Stahl wurden im Schloss verbaut, der Turm wurde aufwendig saniert. &bdquo;Sehr viel Zeit und Geld mussten wir in den Brandschutz investieren“, sagt Keles Koyun vom Verein, der sich wie alle anderen ehrenamtlich um das Schloss kümmert. Mit vielen Freiwilligen, die aus ganz Deutschland angereist sind, ist in den letzten zehn Jahren das jesidische Zentrum im Schloss entstanden. Zahlreiche Vereine haben dort ihren Sitz. Dauerhafte Pflege des Parks soll sichergestellt werden Schon lange haben sich die Jesiden vorgenommen, mit der Ulenburg im öffentlichen Leben der Stadt eine größere Rolle zu spielen. &bdquo;Das ist leider etwas zu kurz gekommen, weil wir so beansprucht waren“, sagt Koyun. Der Park spiele dabei eine besondere Rolle. Mithilfe der Stadt und Ehrenamtlichen solle ein Verein gegründet werden, der das Ziel hat, die dauerhafte Pflege des Parks sicherzustellen. Die ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Angela Lück unterstütze bei der Suche nach passenden Förderprogrammen von Land und Bund. Aus Dubai: Nachfahren einstiger Schlossherren besuchen die Löhner Ulenburg Koyun betont, dass der Park natürlich auch schon jetzt jedem Besucher offen steht. Auf einem jesidischen Kulturfest im Mai wollen die Jesiden den Löhnern auch zeigen, wie sich die Ulenburg entwickelt hat. Darüber werde in den nächsten Wochen genauer informiert. &bdquo;Wir haben hier jetzt endlich Fuß gefasst und können mehr machen und in die Öffentlichkeit gehen“, freut sich Kojun. Kritische Stimme: Überforderung der Jesiden mit Schloss Es gibt auch kritische Stimmen. &bdquo;Die Jesiden sind mit dem Schloss momentan überfordert. Ich fürchte, dass es auf Dauer schwer sein wird die Immobilie alleine zu halten, die noch immer einen großen Sanierungsstau hat“, sagt Irene Esser. Sie ist Inhaberin des Bioladen-Ulenburg und lebt mit ihrer Familie ganz in der Nähe der Ulenburg. Esser hat das Ulenburg-Projekt der Jesiden immer unterstützt. Für das Grundproblem, dass ein Schloss schon im Unterhalt große Summen verschlinge, und zu wenig Geld für weitere wichtige Sanierungsschritte bleibe, gebe es keine Lösung. Um Schloss und Park eine bessere Perspektive zu geben, hoffe sie auf zusätzliche Investoren und neue Konzepte. &bdquo;Sorgen mache ich mir auch um den Zustand der Gräfte“, sagt ein anderer Gesprächspartner. Die müsse in den nächsten Jahren saniert werden. &bdquo;Im ersten Schritt muss sie ausgebaggert werden.“ Seyhmus Günay engagiert sich als Jeside seit Jahren für die Ulenburg. Er sagt, dass es eine nicht kleine Gruppe von Jesiden gebe, die dem Schlossprojekt eher gleichgültig gegenüberstehe. &bdquo;Da wird auch diskutiert, ob das Geld wirklich gut angelegt ist. Einen Fernsehsender könnte man in jeder Industriehalle mit geringeren Kosten betreiben. Ein Glaubens- und Kulturzentrum würde auch in einem Neubau funktionieren“. Für ihn ist wichtig, dass der Park möglichst schnell wieder belebt wird. &bdquo;Wenn wir zum Beispiel Ritterfeste und Weihnachtsmärkte veranstalten, würden bestimmt viele Leute kommen und wir könnten mit den Einnahmen auch einen Teil der Kosten, die wir für Schloss und Park haben, finanzieren.“ Große Bedeutung der Ulenburg stellt Unterstützung sicher Necdal Disli ist dagegen überzeugt, dass das Projekt genau an dieser Stelle sinnvoll ist und eine Zukunft hat. &bdquo;Aus ganz Deutschland wird für die Ulenburg gespendet. Geld kommt sogar aus Bayern.“ Weil die Ulenburg, seitdem sie in den Händen der Glaubensgemeinschaft ist, eine so große Bedeutung erlangt habe, sei auch die Unterstützung dauerhaft sichergestellt. &bdquo;Wir haben das Schloss ja nicht blind gekauft. Die Ulenburg ist jetzt das Zuhause der Jesiden. Wir haben jetzt einen Ort, an dem unsere Kultur und Philosophie erhalten und gepflegt werden“, sagt Disli. Diese besondere Funktion könne ein Neubau nicht erfüllen. &bdquo;Das ist was ganz anderes. Da würde ich mit dem Herzen nicht so dabei sein.“ Bürgermeister Bernd Poggemöller sieht die Herausforderungen, denen sich die Jesiden auch in Zukunft mit dem Großprojekt Ulenburg stellen müssen. Für ihn steht allerdings fest: &bdquo;Wir müssen den Jesiden wirklich dankbar sein, dass sie das Schloss gekauft haben“, sagt er. Es sei kein Zufall gewesen, dass die Suche nach einem Käufer lange erfolglos war. &bdquo;Da hat es vorher niemanden gegeben, der wirklich ernsthaft interessiert war, wenn es konkret wurde“, sagt er. Wenn die Jesiden das Schloss nicht gekauft hätten, dann halte er es nicht für unwahrscheinlich, dass es bis heute noch leer stehen würde und sich der Zustand des Gebäudes deutlich verschlechtert hätte. &bdquo;Und dann würde immer wieder mal die Frage aufkommen, ob wir als Stadt das Schloss nicht kaufen wollen, obwohl wir dafür definitiv kein Geld haben.“ 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Herford

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