Wie fünf Frauen aus Löhne in die Tötungsmaschinerie der Nazis gerieten

Löhne. Nicht immer liegen die Gründe dafür, eine Straße oder einen Platz nach jemandem zu benennen, in einer besonders inspirierenden Persönlichkeit oder gesellschaftlichem Ansehen. Manchmal ist das auch eine Mahnung, dass sich Geschichte nicht wiederholen darf. Marie Wilhelmine Sander ist so ein Fall. Über sie selbst ist wenig bekannt, klar ist jedoch, dass sie 1941 von den Nazis im sogenannten Euthanasie-Programm ermordet wurde. Die Löhner Bürger-Allianz hatte ihren Namen zur Benennung von zukünftigen Straßen vorgeschlagen. Ihr Name steht in diesem Antrag stellvertretend für die Menschen, die seit 1939 systematisch ermordet wurden. Betroffen waren Menschen mit körperlichen oder vor allem geistigen Behinderungen und psychischen Erkrankungen oder solche, die als &bdquo;asozial“ oder &bdquo;minderwertig“ eingestuft wurden. Der Begriff &bdquo;Euthanasie“ für diese Tötungsaktionen beschönigt und verharmlost diese. Er kommt aus dem Altgriechischen und heißt eigentlich &bdquo;schöner Tod“. Die &bdquo;Aktion T4“ - ein systematischer Massenmord Allein der &bdquo;Aktion T4“, benannt nach dem Verwaltungssitz in der Berliner Tiergartenstraße 4, fielen in Deutschland bis zu ihrer Einstellung im Jahr 1941 mindestens 70.000 Menschen zum Opfer. Dazu zählen mehrere Menschen aus Löhne, darunter neben Marie Wilhelmine Sander auch Marie Holtkamp und Johanne Clara Schierholz. Nach dem offiziellen Ende der Aktion umgebracht wurden Friederike Gärtner und Marie Kassebaum. Für all diese Frauen sind in Löhne Stolpersteine gelegt worden, wie bei Stolpersteinen üblich jeweils am letzten bekannten Wohnort. Sanders Stolperstein ist auf Höhe der Werster Straße 73 zu finden. Sie ist am 26. Dezember 1891 geboren und arbeitete vermutlich als Zigarrenarbeiterin. Am 1. Juli 1941 wurde sie aus unbekannten Gründen in der Landes-Pflege- und Heilanstalt Eichberg aufgenommen. &bdquo;Wir wissen gar nicht genau, wie sie dahingekommen ist“, berichtet der Löhner Stadtarchivar Mathis Nolte. Eichberg war eine bekannte Zwischenstation der Tötungsaktionen. Ähnliche Wege in der Provinzial-Heilanstalt Gütersloh Es lässt sich vermuten, dass Marie Wilhelmine Sander vorher in einer anderen Anstalt gewesen ist, wahrscheinlich in der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Gütersloh. Bei anderen aus Löhne stammenden Opfern ist klar, dass sie dort Station gemacht haben. Marie Kassebaum hat zehn Jahre dort gelebt, bis sie im Jahr 1943 ermordet wurde. &bdquo;Bei ihr wissen wir das“, sagt Nolte. 1.017 Namen der Opfer, die in Gütersloh waren, seien bekannt, berichtet Nolte. Ihnen wird in einer Gedenkstätte an der heutigen LWL-Klinik in Gütersloh gedacht. Auch Marie Holtkamp war wohl in Gütersloh untergebracht. So schildert es Detlef Scheiding in seinem Buch &bdquo;Menschen unterwegs in dunkler Zeit“. Er hat dort Aufzeichnungen und Hinweise zu den Opfern der Tötungsaktionen zusammengetragen. Dazu gehört außerdem Friederike Gärtner. Sie hatte zusammen mit ihrem Mann Heinrich acht Kinder. Als 1928 das vierte ihrer Kinder starb, wurde sie psychisch krank und kam nach Gütersloh, wo sie mehr als zehn Jahre blieb, berichtet Scheiding. 1941 kam auch sie in eine der Zwischenanstalten, nach Scheuern an der Lahn. Hadamar, die Tötungsanstalt der &bdquo;Aktion T4“ Holtkamp, Schierholz und Sander wurden im Juli und August 1941 über Zwischenstationen wie Eichberg in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt Hadamar gebracht. Diese war eine von sechs Tötungsanstalten der &bdquo;Aktion T4“. &bdquo;Sander wurde am 11. August 1941 in einem Transport mit 106 weiteren Patienten von Eichberg nach Hadamar gebracht. Die gesamte Gruppe wurde am Tag der Ankunft ermordet“, berichtet Mathis Nolte in seiner Kurzbiografie zu Sander. Weil kurze Zeit später wegen öffentlicher Proteste die &bdquo;Aktion T4“ eingestellt wurde, verblieb hingegen Friederike Gärtner in der Zwischenstation in Scheuern an der Lahn. Doch das Morden ging im Verborgenen weiter. Etwas mehr als ein Jahr später starb auch Gärtner, angeblich an einem Schlaganfall. Wie perfide die Tötungsmaschinerie des &bdquo;Euthanasie-Programms“ war, zeigt noch ein anderer Bericht von Detlef Scheiding. Er schreibt von einer weiteren Person, die auf der Todesliste stand: Kurt Homburg. Er hatte eine geistige Behinderung und war zur Betreuung in der Heil- und Pflegeanstalt Wittekindshof untergebracht. Todesnachrichten mit fast gleichem Wortlaut Plötzlich erhielten seine Eltern eine Warnung, dass er auf einer Liste der Behinderten stehe, die abgeholt werden sollten. Sie holten ihn nach Hause. Dass sie ihm damit ganz knapp das Leben retteten, wurde klar, als sie nur wenige Tage später ein vorgefertigtes Schreiben erhielten. In diesem wurde ihnen der Tod ihres Sohnes mitgeteilt. Er sei an einer Lungenentzündung gestorben. An solche Briefe erinnert sich auch Ernst Wilm, zur Zeit der Geschehnisse Pfarrer in Mennighüffen und Mitglied der Bekennenden Kirche, in einem Zeitzeugeninterview aus dem Jahr 1980. Die Schreiben hätten immer das gleiche Muster gehabt. &bdquo;Wir kannten diese Briefe, diesen Text der Briefe schon, wir wussten genau, was das bedeutete“, heißt es dort. Dass ein Tod in Hadamar bedeutete, dass der Betroffene keines natürlichen Todes gestorben ist, war mehr oder weniger bekannt. Wilm erinnert sich auch an Sander. &bdquo;In Mennighüffen ist auch eine solche Urne beerdigt worden, das hat damals Pastor Dähne getan, weil das in Ostscheid war.“ Dähne habe bei der Beerdigung gesagt, dass Sander nicht eines natürlichen Todes gestorben sei. Öffentliche Kritik führt zur Verhaftung Wilm selbst wurde zum Verhängnis, dass er öffentlich über die Tötungen von Kranken und Behinderten sprach und diese verurteilte. Das wurde zum Grund für seine Verhaftung im Jahr 1942. Er kam ins Konzentrationslager Dachau und überlebte, bis er durch das Bemühen von Freunden kurz vor Kriegsende noch entlassen und eingezogen wurde. Auch das überlebte er. Als Wilm schließlich wieder in Mennighüffen ankam, mahnte er laut Scheiding in einer Gemeindeversammlung: &bdquo;Und es darf nie wieder so werden, das darf nie wiederkommen, weil es so entsetzlich und so furchtbar war, dass wir noch lange damit zu tun haben, es überhaupt zu ermessen, was da in unserem Volk geschehen ist...“

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