Neue psychotherapeutische Praxis in Löhne wird von Anfragen überschüttet

Löhne. Als "explosionsartig" beschreibt Christine Fresen die Menge der Terminanfragen, die bei ihr eingegangen sind und weiter eingehen. Die Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie hat vor kurzem ihre Praxis in Löhne an der Bahnhofstraße eröffnet. Sie bekomme so viele Nachrichten und E-Mails, dass sie diese nur langsam abarbeiten könne. "Ich komme da gar nicht hinterher", sagt sie. Gerade vergebe sie schon Termine für Vorgespräche im Oktober. Hinter diesem Ansturm steht ein seit Jahren ungelöstes Problem: Die Anzahl der Therapieplätze ist begrenzt, der Bedarf nach psychotherapeutischer Begleitung steigt jedoch immer mehr. Die Konsequenz: Viele Patienten müssen lange warten. Bis zum Erstgespräch Wochen, bis zur eigentlichen Therapie Monate. Bis dahin sind es dann oft die Hausärzte, die die Patienten begleiten. Sie sind die erste Anlaufstelle und schreiben auch die Überweisung für eine Psychotherapie. "Und das ist super sinnvoll und unbedingt notwendig", sagt die Löhner Hausärztin Stefanie Ritzmann. Denn die Allgemeinmediziner seien nicht nur in der Lage, eine erste Einschätzung der Problematik vorzunehmen, sie schließen vorab auch mögliche körperliche Ursachen aus. Oft bleibe es jedoch nicht bei dieser ersten Betreuung, bei der die Hausärzte die Patienten mit Gesprächen erst einmal auffingen. "Viele warten wirklich sehr lange", berichtet Ritzmann. Zwischen drei und sechs Monaten seien keine Seltenheit. Zudem steige der Bedarf. Sie hätte bei sich in der Praxis mindestens einen Fall pro Woche. "Viele Menschen sind ohnehin schon sehr belastet. Und dann passiert etwas. Der Partner stirbt, das Kind erkrankt schwer oder man selbst ist erkrankt." Solche Schicksalsschläge seien oft das, was das Fass zum Überlaufen bringt. Und genau in solchen Situationen, findet Ritzmann, sei das Warten besonders fatal. "Die Notwendigkeit ergibt sich ja gerade akut." Therapie braucht Zeit Zwar könne auch sie schon einiges tun, medikamentös und mit Gesprächen. Sie bestelle die Patienten mit akuten psychischen Problemen auch immer wieder ein, um genau darauf zu schauen, "ob dumme Gedanken kommen". Aber das sei alles kein Vergleich zu einer richtigen Therapie. "Ich habe im Schnitt vielleicht 15 Minuten Zeit pro Patient. Das reicht im Leben nicht aus", sagt die Löhner Hausärztin. "Und die Patienten fühlen sich wirklich alleingelassen." Dass die langen Wartezeiten gerade bei akut auftretenden psychischen Erkrankungen zum Problem werden können, bestätigt auch Christine Fresen. Das hänge aber nicht unbedingt an einer bestimmten Diagnose. Andere Faktoren spielen hier eine Rolle. Wer in seinem sozialen Umfeld aufgefangen werden kann, könne durch die Selbstheilungstendenzen der Seele vieles bewältigen. "Besonders schwierig ist es, wenn das soziale Netz fehlt." Und während des Wartens auf den Therapieplatz könne sich eine Erkrankung auch verfestigen. "Je länger es dauert, umso mehr steigt auch die Gefahr der Chronifizierung", sagt die Medizinerin. Das sei bei psychischen Erkrankungen nicht anders als bei körperlichen Beschwerden. "In Bezug auf die Berufsfähigkeit wird die Schwelle für den Wiedereinstieg mit der Zeit immer höher." Und in NRW sind die Wartezeiten besonders lang. Laut Daten der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) dauert es hier im Schnitt fast sechs Monate. Die Kammer und auch die Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung fordern darum schon lange eine Reform der Bedarfsplanung. Die begrenzt seit 1999 die Anzahl der Kassensitze, ist zwischenzeitlich auch mal aufgestockt worden, entspricht aber der Einschätzung der Verbände nach längst nicht der realen Nachfrage. Und: "Durch die Corona-Pandemie hat sich der Bedarf an psychotherapeutischer Hilfe noch einmal erheblich vergrößert", erklärt Dietrich Munz, Präsident der BPtK. Wie sieht es im Kreis Herford aus? An die Vorgaben der psychotherapeutischen Bedarfsplanung ist entsprechend auch die Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) gebunden. In Löhne gibt es neben der neu eröffneten laut Webseite der KVWL noch zwei weitere Praxen mit Kassenzulassung. Beides sind Gemeinschaftspraxen. Berechnet wird der Bedarf aber auf Kreisebene. Und da sind laut KVWL derzeit insgesamt 45,25 Psychotherapeuten tätig (Vollzeitäquivalente). "Damit beträgt der Versorgungsgrad in diesem Planungsbereich im Moment 118,1 Prozent", berichtet Pressesprecher Stefan Kuster. Damit wäre der Bereich eigentlich für die Ansiedlung neuer Kassensitze gesperrt, da ab einer Quote von 110 Prozent von einer Überversorgung ausgegangen wird. Es bestünden aber noch 2,5 weitere Niederlassungsmöglichkeiten speziell für ärztliche Psychotherapeuten. Dabei handelt es sich um sogenannte Quotensitze, die auch Christine Fresen für ihre neue Praxis mit einem Anteil von 0,5 Kassensitzen genutzt hat. "Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten sowie Psychosomatiker können sich also hier derzeit nicht niederlassen", erklärt Kuster. Der KVWL liege die optimale ärztliche und psychotherapeutische Versorgung der Patientinnen und Patienten sehr am Herzen, betont der Pressesprecher. Es gebe einige Werkzeuge, die den Patienten bei der Terminsuche behilflich sein könnten. Für Notfälle und besondere Situationen gibt es im Kreis Herford zudem weitere Anlaufstellen, an die sich Menschen wenden können, wenn sie psychotherapeutische Unterstützung brauchen. Terminsuche und Anlaufstellen Auf ihrer Webseite (www.kvwl.de) stellt die KVWL eine Arzt- und Psychotherapeutensuche zur Verfügung, die aktuell gehalten wird. Und wenn Patienten trotzdem nicht fündig werden, können sie sich über Terminservicestelle die Tel. 116117 bei der Suche unterstützen lassen. Hier geht es nach Kapazitäten, Wunschtermine und Wunschärzte werden nicht berücksichtigt. Eine allgemeine Beratung gibt es unter Tel. 0251 9299000, www.patientenberatung-wl.de. Wer akut bei seelischen Belastungen und psychischen Störungen, seelischen Notlagen und Lebenskrisen Hilfe sucht, kann sich unter anderem an den Sozialpsychiatrischen Dienst des Kreises Herford wenden. Hier werden auch passende Ansprechpartner vermittelt. Borriesstraße 1, Herford, Tel. 05221 131608.

Meistgelesen