Löhne. Thorsten Müller hält sich einen großen gelben Smiley vors Gesicht. Der gelbe Kreis lächelt fröhlich. Wie es aber dahinter aussieht, das bleibt verborgen. Wer lächelt, dem geht es offensichtlich gut, wird häufig angenommen. Tatsächlich aber muss das nicht so sein. Das soll die runde sonnengelbe Grinsebacke zeigen. Mobbing oder berufliche Benachteiligung seien oft befürchtete Konsequenzen, wenn man seine Erkrankung publik mache. Umso wichtiger sei es, ein Zeichen zu setzen für mehr Offenheit, Wissen und Mut im Umgang mit psychischen Erkrankungen, insbesondere Depressionen.
Das haben sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Mut-Tour, Menschen mit und ohne Depressionserfahrung, auf die Fahne geschrieben, die den ganzen Sommer über in Etappen bundesweit auf Tandems oder wandernd unterwegs sind. Jetzt hat die Tour, die zum zehnten Mal stattfindet, in Löhne Halt gemacht.
Sechs Menschen, drei Tandems, 350 Kilometer
Kerstin Schopf nimmt in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal an der Tour teil. "Vor ein paar Jahren habe ich von der Mut-Tour über Social Media erfahren, und dann war ich letztes Jahr zum ersten Mal dabei", erzählt sie. Hans Hansensom hingegen ist Tour-Neuling. Er komme aus Thüringen und dort sei in seiner Selbsthilfegruppe über die Tour gesprochen worden. "Ich fahre sowieso gerne Fahrrad, da hat sich das angeboten", sagt der selbst Betroffene.
Die beiden sind gemeinsam mit vier weiteren Teammitgliedern auf drei Tandems unterwegs. 350 Kilometer von Göttingen nach Paderborn bringt die Gruppe seit dem 28. Juni hinter sich. "In Paderborn übernimmt dann nach einem Ruhetag ein anderes Team", sagt Hansensom. Pro Tag legten sie rund 50 Kilometer zurück. Von Löhne geht es an diesem Tag weiter über Herford und Bielefeld nach Schloß Holte.
Geschlafen haben die sechs vor ihrer Ankunft in Löhne in Zelten "auf einer schönen Wiese an der Werre", erzählen sie. "Manchmal werden wir auch in Häuser oder Gärten eingeladen, zum Beispiel von Menschen, die selbst mal mitgefahren sind", sagt Kerstin Schopf. Oft kämen sie auch spontan bei Leuten unter, die sie unterwegs kennenlernen. Denn die auffällig gekleideten Radler mit ihren Tandems erregen Aufmerksamkeit, und das ganz bewusst. "Wir versuchen, generell sehr präsent zu sein", so Schopf. Und das gelingt. Häufig würden sie von Betroffenen oder Angehörigen angesprochen, die ihre persönliche Situation schilderten. "Eine Art Hilfesuche, um Gehör zu finden", beschreibt Hansensom. Denn der Gesprächsbedarf sei groß, merken die Tourenden, aber Depressionen seien noch immer mit Scham behaftet.
Durch Pandemie in ein tiefes Loch gefallen
Durch die Coronapandemie sei mehr über das Thema gesprochen und darauf geachtet worden, Rücksicht auf andere Menschen zu nehmen, glaubt Kerstin Schopf. Das sei aber die Folge davon, dass die Zahl an Erkrankten durch die Vereinsamung gestiegen sei, glaubt auch Hans Hansensom. Ihm persönlich habe die Pandemie auch zu schaffen gemacht. "Dass die sozialen Kontakte eingeschränkt waren, hat einen großen Teil dazu beigetragen, dass ich in der Zeit in ein tiefes Loch gefallen bin", sagt er.
Umso wichtiger sei es, Stigmatisierungen und Vorurteile abzubauen und eine Depression als Krankheit anzuerkennen, da Betroffene eben nur Hilfe bekommen können, wenn sie ihre Erkrankung mit anderen teilen. "Ein gebrochenes Bein ist sichtbar, eine Depression ist eine unsichtbare Erkrankung", sagt Hansensom. "Je länger nichts getan wird, desto schwerer ist der Verlauf." Wenn Depressionen weniger ein Tabuthema wären, dann "müssten weniger Menschen im Stillen leiden", so Schopf.
Über die Mut-Tour
Vom 18. Juni bis zum 10. September sind zwölf Tandemteams und drei Wanderteams mit Pferden unterwegs. Bei der diesjährigen Tour soll insbesondere die Auseinandersetzung mit der Perspektive Angehöriger von Menschen mit psychischen Erkrankungen gefördert werden. Zusätzlich werden an mehreren Orten Mitmachaktionen organisiert. Die Tour wird vom Trägerverein "Mut fördern" veranstaltet. Interessierte können die zurückgelegte Strecke auf einer interaktiven Deutschlandkarte verfolgen.
Kostenträger sind die Krankenkassen DAK und Barmer, die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund sowie zehn ihrer Landes-DRV, der Landschaftsverband Rheinland (LVR), Aktion Mensch sowie einige Stiftungen.
Bundesweite Anlaufstellen für Hilfesuchende sind unter anderem die Telefonseelsorge unter Tel. (08 00) 1 11 01 11 oder die Deutsche Depressionshilfe. Im Kreis Herford hilft der Sozialpsychiatrische Dienst des Kreises, Borriesstraße 1 in Herford, Tel. (0 52 21) 13 16 08, oder das Paritätische Selbsthilfe-Büro Herford, Werrestraße 100 in Herford, Tel. (0 52 21) 5 08 57.