Mit Depression durch die Pandemie - Löhner setzt auf bunte Selbsthilfe

Löhne. Der Löhner Peter Müller lebt seit Jahren mit Depressionen. Seit Beginn der Pandemie hat er öfter bemerkt, wie seine Stimmung schlechter wird. "Der Antrieb war nicht da, die Traurigkeit war wieder stärker, es wurde mir alles zu viel und ich war überfordert", berichtet er. Doch als er das merkt, ist ihm schnell klar, dass er nun aktiv werden muss. Und er findet eine Lösung für sich selbst: Der 71-Jährige arbeitet sich in ein anspruchsvolles Computer-Programm ein und erstellt zwei mal zwei Meter große Plakate mit den Farben und Motiven, die ihm Auftrieb geben. "Photoshop kannte ich schon, aber das reicht für die Bearbeitung so großer Bilder nicht aus. Um diese auf die passende Größe zu bringen, braucht man ein Vektoren-Programm." Also macht er sich bereits 2020 im ersten Lockdown an die Arbeit. Er sammelt Einzelbilder von bunten Kolibris und Papageien, Schmetterlingen und Blumen und erstellt daraus die bunten Bilder, die nun seinen Carport zieren. Vor allem Gelb, sagt er, habe eine besondere Wirkung auf ihn. Seit August 2021 hängen die Plakate. "Ich habe jetzt eine 14 Meter lange Sonnenblumenallee, die mir an 365 Tagen im Jahr zur Verfügung steht." Die bunten, übergroßen Bilder und die Arbeit daran helfen ihm - neben einer gut überwachten medikamentösen Therapie - durch die Monate der Pandemie. Diese sei für Menschen mit Depressionen eine besondere Herausforderung, meint der Löhner. "In einer Depression wird alles Negative im Leben vergrößert wahrgenommen und ins Zentrum gerückt, so auch die Sorgen und Ängste wegen des Coronavirus.""Was von außen kein Mensch versteht" Wenn er eine Depression kommen spüre, sei seine erste Ansprechpartnerin seine Hausärztin, Stefanie Ritzmann. Für Außenstehende, die nicht an Depressionen leiden, seien viele Aspekte der Krankheit schwer nachzuvollziehen - selbst für seine Frau, die sich dafür große Mühe gibt. "Ich habe sehr viel gelesen. Es ist schwierig, weil man sich immer wieder fragt, warum ist das jetzt so", sagt Gerda Müller. Peter Müller erklärt: "Es kann sein, dass ich letzte Woche mit dem Fahrrad noch Berge rauf und runter gefahren bin und heute kaum aufs Fahrrad komme." "Das ist das, was von außen kein Mensch versteht", sagt die Mennighüffer Allgemeinmedizinerin Stefanie Ritzmann im Gespräch mit der NW. Sie sei unglaublich beeindruckt von Peter Müller und seiner Art mit der Krankheit umzugehen. "Es ist nun mal eine chronische Krankheit. Betroffene müssen lernen, damit zu leben." Der erste wichtige Schritt sei, die Krankheit anzunehmen. Etwas, das Peter Müller 2017 getan hat. Damals hat er sich in eine stationäre Therapie in der Universitätsklinik für Psychiatrie in Lübbecke begeben - und dabei auch entdeckt, wie sehr ihm die Farbe Gelb guttue. "Wir hatten einen Kurs in Seidenmalerei. Und ich wollte einen Schal für meine Frau machen. Sie ist ein sehr fröhlicher Mensch und Gelb ist ihre Lieblingsfarbe." Die Arbeit an dem 90 mal 90 Zentimeter großen Tuch zeigte Wirkung. "Das war der Moment, wo ich die Therapie angenommen habe." Die Idee für das Projekt mit den bunten Plakaten entstamme also auch dieser Erfahrung. Die Pandemie nagt an der psychischen Widerstandskraft "Einfach genial" findet Jörg Manzick, Chefarzt für Psychosomatik an der Berolina-Klinik, die Herangehensweise von Peter Müller. "Das funktioniert natürlich nur, wenn man nicht gerade mitten in einer schweren Depression steckt." Depressionen kommen in Wellen, erklärt Manzick. Während einer schweren Depression erscheine es sehr schwer oder sogar unmöglich sich aufzuraffen. Schon völlig banale, alltägliche Tätigkeiten werden zur Herausforderung. Zur Vorbeugung, in einer leichten Depression oder bei ersten Anzeichen könne die Beschäftigung mit einer Sache, die einem guttut, sehr wirkungsvoll sein. Dass die Corona-Pandemie bei bereits bestehenden Depressionen zu einer Verschlechterung führe, das würden aktuelle Studien bislang nicht zeigen. "Dafür gibt es keine Belege", sagt Manzick. "Was sich jedoch zeigt, ist, dass mehr Menschen Depressionen entwickeln", berichtet er. Eine Studie komme hier etwa auf eine Verdopplung der Fälle. Die Corona-Pandemie nage an der Resilienz, der psychischen Widerstandsfähigkeit der Menschen. "Gerade hat man wieder Hoffnung geschöpft, sich wieder mit anderen Menschen verabredet, und dann wird man wieder eingebremst", erklärt Manzick. Und dann dauere die Pandemie inzwischen auch schon lange an. Das sehe sie in ihrer Praxis, berichtet Stefanie Ritzmann. "In den vergangenen anderthalb Jahren kommen immer mehr Menschen zu uns mit Depressionen." Dass die Hausarztpraxis hier der erste Ansprechpartner sei, sei gut und richtig so. Dort übernehme man die erste Einschätzung und würde dann im Zweifel in eine Therapie überweisen. Das Problem: Die Wartezeiten für eine Psychotherapie seien schon vor Corona lang gewesen. "Das ist jetzt nicht besser geworden." So würden die Allgemeinmediziner hier immer mehr einspringen. "Das können wir auch", sagt Ritzmann. Insgesamt verstärke sich so jedoch weiter die Belastung der Hausärzte, die sich um ihre üblichen Patienten, die Impfungen und das Coronavirus und eben auch zunehmend um Menschen kümmern, die dem psychischen Druck nicht mehr standhalten. Peter Müller möchte Mut machen Peter Müller möchte mit seiner Sonnenblumen-Allee Menschen Mut machen, sich einer Depression zu stellen - oder auch sich selbst zu helfen, nicht in eine solche zu fallen. Selbst etwas zu erschaffen und dann stolz darauf sein zu können - das helfe zusätzlich. Das sieht auch Jörg Manzick so. "Er hat da genau das Richtige gemacht. Sich etwas zu suchen, ein eigenes Projekt, was Kreatives - wer das hinkriegt, kann damit die eigene Resilienz erhöhen." Auch Gerda Müller hat sich inzwischen mit dem bunten Carport angefreundet. "Erst habe ich gedacht, das wäre zu viel", sagt sie. Nun hat sie sogar ein Lieblingsbild: Bunte Schmetterlinge vor einem blumigen Hintergrund sind darauf zu sehen. Und die Nachbarschaft hat auch schon Anerkennung gezeigt. "Wenn die Leute hier vorbeigehen, dann lächeln sie meistens", sagt Peter Müller.

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