Sexuelle Übergriffe in Schulen: "Von solchen Fällen hören wir häufig"

Löhne. Jeder Fall ist anders, doch eines haben die Vorwürfe der Schülerinnen des Gymnasiums Löhne gemeinsam: Sie prangern sexuelle Übergriffe an, seit mehreren Jahren, gar Jahrzehnten - ohne scheinbare Konsequenzen. Ehemalige Schülerinnen und Mädchen, die das Gymnasium derzeit besuchen, berichten von wiederholten Grenzüberschreitungen eines Lehrers. Durch einen Post auf Instagram wird das Thema öffentlich, das jahrelang als offenes Geheimnis existiert haben soll. Finola Nieratschker arbeitet bei der Beratungsstelle Wildwasser in Minden. Sie hat keine Berührungspunkte mit dem Löhner Gymnasium, kennt aber die Problematik. Sie ist in Schulen im Nachbarkreis unterwegs und betreibt Präventionsarbeit: "Das ist ein Klassiker", sagt sie, als ihr die Neue Westfälische von den Vorwürfen am Löhner Gymnasium berichtet, um die Meinung einer Expertin zu hören. "Von solchen Fällen hören wir häufig." Nieratschker erklärt, wie Bezugspersonen mit der Thematik umgehen sollten, was die Schule selbst tun kann und warum Prävention so wichtig ist. Was können Betroffene tun Den Mut fassen, einer Vertrauensperson davon zu berichten, ist ein erster wichtiger Schritt, sagt Finola Nieratschker. Nur so könne Missbrauch überhaupt aufgedeckt werden. Bei jedem blöden Gefühl das man hat, können sich Betroffene, aber auch Lehrer, Eltern oder Bekannte derer an Beratungsstellen wenden. Neben Wildwasser beschäftigt sich im Kreis Herford auch Femina Vita mit diesen Themen. Die Beratungsstelle rät: "Jedes Gefühl Ernst nehmen." Direkt in Löhne ist die Beratungsstelle Strohhalm für sexualisierte Gewalt angesiedelt. Alle beraten anonym und unterliegen der Schweigepflicht. Dieser Mut, über eine unangenehme Situation zu reden, müsse sich lohnen. "Wenn Kinder merken, da passiert nichts, merken, es lohnt sich gar nicht mit jemanden darüber geredet zu haben, werden sie es nicht mehr tun", sagt Nieratschker und kann nur noch mal eindringlich raten: Zuhören und das Gesagte Ernst nehmen. Was kann die Schule tun Grenzverletzungen sind immer subjektiv, so die Expertin von Wildwasser. "Die Betroffenen entscheiden, wann ihre Grenze verletzt ist." Die Fachberaterin wünscht sich in solchen Fällen, "dass Schulleiter klare Kante beziehen". Innerhalb des Kollegiums sollte institutioneller Missbrauch zum Thema gemacht werden. Es kann im Unterricht eingebaut werden. Ähnlich wie das Präventionsprojekt an Grundschulen "Mein Körper gehört mir". Auch könne das Thema mit einem riesigen Plakat sichtbar gemacht werden, das zeigt: Missbrauch hat hier keinen Raum. "Das Thema muss transparent gemacht werden, auf allen Ebenen", sagt Nieratschker. So würden auch potenzielle Täter merken, dass sie mit ihrer Strategie hier keine Chance haben. Kommen Vorwürfe auf, rät die Expertin Ruhe zu bewahren. "Kein Kind kann es alleine schaffen. Es braucht Erwachsene, ein Netzwerk, um die richtigen Schritte zu gehen." Eine Fachberatung hinzuziehen, ist sinnvoll, da die Berater genau wissen, was zu tun ist. "Und es gilt, die Kinder zu schützen." Etwa keinen Sportunterricht mehr zuzulassen, sagt Nieratschker, die anprangert, dass es in etlichen Fällen zu keinerlei Sanktionen kommt. "Das Beamtentum ist ein riesen Thema und ein riesen Problem." Jeder Fall sei anders und müsse individuell betrachtet werden. Bei besonders schwerwiegenden Fällen könne auch eine Anzeige bei der Polizei erstattet werden. "Doch das ist nie mein erster Rat. Das knallt einem um die Ohren." Bei den beschriebenen Fällen am Löhner Gymnasium wäre der Gang zur Polizei wohl aussichtslos gewesen. Täterstrategien Das liege auch an den klassischen Täterstrategien. "Viele Täter bewegen sich in einem Bereich, wo man sie nicht kriegen kann. Alles erscheint sehr harmlos, es lässt sich schnell abstreiten." Etwa die Anbahnung über Kosenamen. Auch die soziale Tarnung spiele eine Rolle. Sich so zu geben, dass man es gar nicht sein kann. Und dann ist im Raum Schule immer auch ein Abhängigkeitsverhältnis gegeben. Deswegen ist ein Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern auf keiner Ebene erlaubt. "Ein Machtmissbrauch ist immer Bestandteil von Übergriffen", so die Expertin. Die Schwere der Tat liege auch in der Wiederholung. Finden Grenzverletzungen zum wiederholten Male statt, passieren sie "wissentlich" und "absichtlich". Vor allem, wenn der Widerwillen von Schülern zum Ausdruck gebracht wird. "Ein ungutes Gefühl bleibt." Prävention Daher ist Prävention enorm wichtig. Finola Nieratschker ist für den Kreis Minden-Lübbecke zuständig und hat nur eine halbe Stelle. "Wir haben wenig Ressourcen." Die Beratungsstellen kämpfen darum, dass das Thema sexualisierte Gewalt ebenso wie die Prävention über Aids oder Alkoholmissbrauch fest in den Schulen etabliert wird. Kinder können so lernen Grenzen zu setzen, über Gefühle sprechen, zwischen guten und schlechten Geheimnissen unterscheiden, Nein sagen lernen. Es gilt die Kinder zu ermutigen, dass ihr Gefühl Recht hat. Durch solche Projekte können sich die Beratungsstellen auch den Mädchen und Jungen vorstellen. So lernen die Kinder, wohin man sich im Notfall wenden kann. Nieratschker: "Sich jemandem anzuvertrauen ist immer der erste Schritt."

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