Warum eine bayerische Gemeinde Löhne 1,5 Millionen Mark überwies

Löhne. Der Winter vor 50 Jahren hatte es in sich. Schnee und Eis gefährdeten im Januar 1970 den Straßenverkehr. Und das war auch der Anlass für einen viel beachteten Rechtsstreit: Die gerade mal ein Jahr alte Stadt Löhne legte sich wegen mangelhafter Straßenreinigung der Königsbrücke mit der mächtigen Eisenbahn an, die damals noch Bundesbahn hieß. Wir haben in unserem Papier-Archiv 50 Jahre zurückgeblättert und die wichtigsten Themen und Ereignisse aus dem Januar 1970 zusammengestellt. Das Neujahr vor 50 Jahren begann mit sehr lauter Knallerei. Und zwar nicht ausschließlich durch Silvesterböller. Nach Informationen der NW durchbrachen wohl auch mehrere Flugzeuge &bdquo;unbekannter Nationalität" im Tieflug über Löhne die Schallmauer. 25 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zeigten die Siegermächte weiter Präsenz im Werretal. Den Bürgern in der Region ging das zunehmend auf den Zünder. In Bad Oeynhausen beschwerten sich Leser mehrfach über Fahrschul-Panzer, die am Kurpark vorbei &bdquo;entgegen allen Verkehrsregeln" Richtung Minden rollten. Und in Löhne waren die Briten auch nicht besonders gut gelitten. Die NW warnte die Jäger unter ihren Lesern noch im Dezember 1969 vor Manövern im neuen Jahr mit der Überschrift: &bdquo;Die Briten spielen auch nachts Krieg". Vor 50 Jahren waren auch in Löhne Teile der britischen Rheinarmee zuhause: In den Kerr-Barracks auf dem Bischofshagen. Ronald A. Mott wird Leiter des Stadtmusikkorps Einen wichtigen Fortschritt für die deutsch-britischen Beziehungen in Löhne bedeutete dann die Ernennung von Ronald A. Mott zum musikalischen Leiter des Löhner Stadtmusikkorps am 29. Januar 1970. Mott wurde in London-Chelsea geboren und war bereits in der Schulzeit Mitglied eines Trommlerkorps. Während seiner Militärzeit ging der Engländer mit den &bdquo;Royal Dragoons" auf Tournee durch Deutschland bis Nordafrika. 1955 bestand er seine Prüfung als Bandmaster und schloss sein Studium am Royal College of Music als Musiklehrer ab. 1957 übernahm Mott die Militärkapelle &bdquo;14th/20th Kings Hussars Band" und wurde in Berlin stationiert. Es folgten Konzerte in Deutschland, beim Nato-Musikfest in Mönchengladbach und im Sender Freies Berlin. Als die Kapelle zurückbeordert wurde, trat Mott aus dem Militärdienst aus und wurde in Deutschland Berater und Repräsentant einer Blasinstrumentenbaufirma. Weil zu dieser Zeit am Löhner Gymnasium Musiklehrer dringend gesucht wurden, bewarb sich Mott - und bekam die Stelle. Dirigent des Löhner Musikkorps blieb er bis 1974. Das Winterthema schlechthin war aber ein Rechtsstreit zwischen der Stadt Löhne und der Bundesbahn. Im Vorjahr war offenbar eine Frau auf der schlecht geräumten, eisglatten Königsbrücke ausgerutscht und hatte sich verletzt. Sie forderte Schadenersatz von der Stadt Löhne, was die Stadt jedoch nicht auf sich sitzen ließ und stattdessen die Bundesbahn in Regress nehmen wollte. Mit dieser erstaunlich einfachen Argumentation: Die Bahn sei Anliegerin der Königsbrücke und müsse den Schnee räumen wie alle anderen Bürger in Löhne auch (3. Januar). Die Bahn dagegen verwies auf ein Urteil des Reichsverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1941, wonach die Bahn nicht selbst als Anliegerin fürs Reinigen der Bahnbrücken zuständig sei. Und die Verwaltungsgerichte gaben der Bahn Recht. Löhne gab sich in zweiter Instanz geschlagen. Sonderzüge zum Skifahren ins Sauerland Das Landesstraßenbauamt (heute: Straßen NRW) stellte vor 50 Jahren fest, dass man im Winter keine Straßen bauen kann. Bergeweise Schnee (5. Januar) sorgten für Verzögerungen bei der Fertigstellung der damals neuen B61 in Löhne-Gohfeld. Mit dem Auto war Löhne lange nicht so gut erreichbar wie heute. Auch 1970 reisten viele mit der Bahn – in den Urlaub. Die Bahn veröffentlichte regelmäßig Reiseempfehlungen und Angebote – im Lokalteil der NW. An den Bahnhöfen wurden schon 1960 karierte Schachbrettwimpel (10. Januar) gehisst, die den Zugreisenden die Ankunft der Sonderzüge zum Skifahren ins Sauerland oder noch weiter hinaus bis in die Alpen ankündigten. Doch die besten Zeiten der Eisenbahn waren 1970 vorbei. Die Bundesbahn kündigte am 6. Januar 1970 an, den Lokschuppen in Löhne-Ort teilweise und einen 45 Meter hohen Schornstein ganz abzureißen. Der Schlot blieb dann noch einen Tag länger, weil Strohballen zur Dämmung der Explosion fehlten. Doch am 29. Januar fiel der Schornstein um und der Ringlokschuppen wurde zum Lokschuppen. Die Stadt Löhne dagegen baute, was Mörtel und Mauerwerk hergaben. Im Januar 1970 wurde das Feuerwehrgerätehaus Wittel (Kosten: 120.000 Mark) eingeweiht. Die Stadtteile Ulenburg und Obernbeck, so die Ankündigung, sollten in den nächsten Monaten einen Erdgasanschluss bekommen. 1,5 Millionen Mark Gerwebesteuer erstattet Ein weiterer Gerichtsprozess bescherte Löhne im Januar dann eine schöne Stange Geld. Von der oberbayerischen Gemeinde Herrsching bekam Löhne 1,5 Millionen Mark Gewerbesteuern zurückerstattet. Das hatte Löhne vorm Bundesfinanzhof erstritten. Karl-Heinz Schnepel, SPD-Ortsvorsteher und späterer Landtagsabgeordnete wollte das Geld in den Bau einer &bdquo;Stadthalle in Rathausnähe" investieren. Damals im Gespräch: Der Festplatz am Freibad. Daraus wurde später jedoch nichts. Viele Jahre später erst entschied sich Löhne dafür, das ehemalige Gebäude der Kalenderfabrik Broelemann zur heutigen Werretalhalle umzubauen. Die 1,5 Millionen Mark stammten wohl aus Steuerzahlungen von Europas damals größtem Möbelversandhaus Arzberger, das in Löhne (heute: Marktkauf) ein Logistikzentrum betrieb. 1967 hatte Arzberger einen Jahresumsatz von 130 Millionen Mark. Wichtigster Gewerbesteuerzahler war damals aber wohl die Kreft-Gruppe (Löpoma, TKT und BAM), sie verzeichnete im Januar erstmals 200 Millionen Mark Umsatz. Der Möbelbranche in Löhne ging es gut. Dem Möbelversandhandel ging es noch besser. Günter Arzberger war ein bundesweit bekannter Lebemann. Das Magazin Stern widmete ihm in den 1960er Jahren als einem von zehn Jungmillionären einen großen Artikel. Arzberger hatte es aus einem Arbeiterhaushalt bis an die Spitze der Gesellschaft und in einen 600 Mercedes geschafft. Seine Vertriebsmitarbeiter verdienten außerordentlich gut – auch in Löhne. Arzberger stammte zwar aus NRW, baute 1960 aber in Herrsching am Ammersee seine Firmenzentrale aus Glas und Stahl, wo bald 200 Menschen arbeiteten. Deutschlandweit beschäftigte er zu Spitzenzeiten 1.800 Mitarbeiter. In die Außenstelle Löhne reiste er nicht selten im eigenen Flugzeug, so erzählen es Zeitgenossen. "Wird Rehme ein zweites Melbergen?" Die Politik in Löhne und Bad Oeynhausen beschäftigte sich im Januar weiter mit der Gebietsreform. Noch immer war unklar, ob Melbergen künftig zur Kurstadt gehören sollte oder nicht. Bad Oeynhausen stimmte am 26. Januar für eine Großgemeinde mit Melbergen. Löhne war dagegen. Und dann meldete auch noch Vlotho Gebietsansprüche an und die NW fragte: &bdquo;Wird Rehme ein zweites Melbergen?" Die Melbergener selbst waren wohl eher für Löhne. Das war das Ergebnis einer SPD-Umfrage unter den betroffenen Einwohnern. Löhne hatte bereits Fakten geschaffen und im Vorjahr damit begonnen, für 7,5 Millionen Mark das Schul- und Sportzentrum Melbergen an der Goethestraße zu bauen – direkt an der Stadtgrenze. 1970 war die Grundschule bezugsfertig. Mit Einschränkungen: Mehrere Eltern beklagten sich über den Zustand der Schulwege. Wegen des einsetzenden Tauwetters Ende Januar und der zahlreichen Baufahrzeuge mussten die Schüler angeblich &bdquo;knietief durch Schlamm" zur Schule waten.

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