Familie in Hiddenhausen kämpft um Bleiberecht: Pflegebedürftige Mutter vor Abschiebung

Hiddenhausen. Vitali Giesik ist ein ruhiger, unaufgeregter Mensch. Er sitzt auf seinem Balkon, raucht eine Zigarette und schaut in den Garten. Hier in Hiddenhausen hat er sich ein Leben aufgebaut. Er wohnt mit seiner Familie in der Nähe der Kirche in Schweicheln, ist Malermeister und zufrieden. Eigentlich. Denn wenn er über den Fall seiner Mutter spricht, überschlagen sich seine Worte. &bdquo;Menschen, die kriminell sind, werden nicht abgeschoben. Aber meine kranke Mutter soll ins Flugzeug steigen“, sagt Giesik und schüttelt empört den Kopf. Dann fängt er an, seine Familiengeschichte zu erzählen. Er selbst besitze einen deutschen Pass, obwohl er in Kasachstan geboren und dort bis zu seinem 18. Lebensjahr gelebt hat. Seine Großeltern väterlicherseits waren Aussiedler und lebten als deutsche Vertriebene in der ehemaligen Sowjetunion. Ende der 1980er Jahre hatten sie als Russlanddeutsche die Möglichkeit, zurück nach Deutschland zu gehen. Der Enkel folgte ihnen 1994. Durch den familiären Hintergrund bekam auch er den deutschen Pass, fing eine Malerlehre an, lebt heute in Hiddenhausen und ist dort &bdquo;fest verankert“, wie er sagt. Seine Schwester Nelli tat es ihm gleich. Sie kam 1999 nach Deutschland und ist mit ihrer Familie in der Eifel sesshaft geworden. Auch sie besitzt den deutschen Pass. Für die Geschwister war immer klar: Wenn ihre Mutter nicht mehr alleine leben könne, wollen sie sie nachholen. Dafür sei auch finanziell gesorgt, so Giesik. Doch so einfach ist das nicht. Das bekommt die Familie jetzt zu spüren. Bundesamt hat Asylgesuch abgelehnt Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Bochum hat das Asylgesuch der Mutter abgelehnt und die Abschiebung nach Tschechien angeordnet. Tschechien deshalb, da die 68-Jährige in diesem Jahr über das Nachbarland nach Deutschland eingereist ist. Dort habe sie ein Visum erhalten und nach dem Dublin-Verfahren sind die tschechischen Behörden nun für die Bearbeitung des Asylverfahrens zuständig. Anders als ihre Kinder ist die Mutter Kasachin. &bdquo;Ihr Vater stammt aus Moldawien, ihre Mutter ist Ukrainerin. Sie ist in Kasachstan geboren und in ihrem Pass steht russische Volkszugehörigkeit“, sagt Giesik und weiter: &bdquo;In den 50er-Jahren hat es niemand hinterfragt, dass man im Pass als russisch eingetragen worden ist.“ Mutter hat sich bei einem Sturz ein Schädel-Hirn-Trauma zugezogen Doch weder in Tschechien noch in Kasachstan habe die Mutter Familienmitglieder. Beide Kinder leben in Deutschland, ebenso ihr Bruder, eine Schwester ist in Russland. Zudem kann die 68-Jährige nach einem häuslichen Unfall eigentlich nicht mehr alleine in ihrer Wohnung im fünften Stock leben. &bdquo;Sie ist vor zwei Jahren gestürzt und mit ihrem Kopf auf die Heizung aufgeschlagen“, sagt Vitali Giesik. Das Schädel-Hirn-Trauma sei nicht reparabel. Sie leide an Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindelgefühl. Ärzte haben ihr partielle motorische und sensorische Aphasie attestiert. Das Gutachten einer Ärzteberatungskommission, das dieser Zeitung übersetzt vorliegt, bescheinigt: Sie braucht Pflege. Das bestätigt ihr Sohn. &bdquo;Sie hat gute und schlechte Tage. Sie ist aber seit dem Unfall ein anderer Mensch geworden, verwirrt, kann nicht immer gut kommunizieren. Sie kann nicht mehr selbstständig leben.“ Deswegen wollen die Kinder sie nach Deutschland holen. Einer erneuten ärtzlichen Untersuchung stimmen sie selbstverständlich zu, sagt Giesik. Lesen Sie auch: Warum der Kreis Herford bei Abschiebungen im ersten Quartal auffällt Familie hofft auf Antrag bei Härtefallkommission Mit Hussien Khedr vom SPD-Gemeindeverband Hiddenhausen hat sich die Familie bei Fragen rund um die drohende Abschiebung Unterstützung geholt. Khedr, der sich in der Landes- und Bundespolitik aktiv für Migration und Vielfalt einsetzt, hofft auf einen Antrag von dem Landes- und/oder dem Bundestagsabgeordneten des Kreises Herford, Christian Dahm und Stefan Schwartze, bei der Härtefallkommission. Diese prüft, ob die betroffene Person die Voraussetzungen dafür erfüllt, dass ihr aus besonderen humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann. &bdquo;Die Frau würde eine Abschiebung nicht überleben“, sagt Khedr. Dem Kommunalpolitiker macht vor allem die Willkür der Behörden zu schaffen, die über eine Abschiebung verfügen. &bdquo;Es ist hier mal wieder pauschal entschieden worden, ohne den Fall richtig zu prüfen“, kritisiert Khedr und schiebt hinterher: &bdquo;Sie braucht keine Wohnung, keine Sozialhilfe, keinen Cent. Was sie mit dem Syrer nicht gemacht haben, drohen sie jetzt einer Mutter deutscher Kinder an“, empört sich Khedr und spricht auf den tödlichen Anschlag eines syrischen Flüchtlings in Solingen an, der vor wenigen Wochen drei Menschen erstochen haben soll. Er hätte ein Jahr zuvor abgeschoben werden sollen, doch das scheiterte. Lesen Sie auch: Innenminister im Interview – wie verhindern wir das nächste Solingen, Herr Reul? Mutter lebt derzeit in Landesunterkunft für Flüchtlinge Dafür drängt im Fall von Vitali Giesiks Mutter die Zeit. &bdquo;Jeden Tag kann der Brief mit dem Termin zur Abschiebung per Post kommen“, sagt Khedr und Giesik ergänzt: &bdquo;Das ist nicht nur für meine Mutter, sondern für unsere ganze Familie eine enorme Drucksituation. Wir haben richtig Angst und sie selbst hat auch Angst.“ In den Augen der 68-Jährigen, die derzeit in Nordrhein-Westfalen in einer Landesunterkunft für Flüchtlinge lebt, spiegeln sich ihre Sorgen wider. Die Frau mit den kurzen, dunklen Haaren weiß heute nicht, was der nächste Tag für sie bringen wird. Khedr: &bdquo;Wir brauchen schnellen Einsatz, jeder Tag zählt.“

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