USA, China und Russland machens vor: Herr Gabriel, sollte sich Europa abschotten?

Herr Gabriel, Großmächte wie China, Russland und USA, aber auch immer mehr EU-Staaten halten wenig von internationalen Beziehungen. Autokraten gewinnen an immer mehr Einfluss. Deutschlands offene Politik wird dagegen belächelt. Gehen wir den falschen Weg? Sigmar Gabriel: Im Grunde geht es doch zuallererst darum, wie wir Menschen zusammenleben wollen. Sollen die Prinzipien von unveräußerlichen Menschenrechten, Volkssouveränität, Gewaltenteilung und Meinungsfreiheit unser Zusammenleben bestimmen oder das Gesetz des Dschungels? Da glaube ich, ist die Antwort für uns Deutsche und Europäer klar. Ganz egal, ob diese Prinzipien in anderen Teilen der Welt ebenso geachtet werden oder nicht. Das ist auch eine Errungenschaft der Nachkriegszeit, oder? Nach zwei bitteren Weltkriegen war `klar: Die Welt braucht eine Ordnung, bei der Konflikte auf der Grundlage von Verträgen und Institutionen gelöst werden. Nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts sollte gelten. Deshalb wurde schon 1945 die UNO gegründet. So unvollkommen die UNO und ihre Organisationen auch sind, die Welt würde sicher nicht besser aussehen, wenn wir das Prinzip der Stärke des Rechts aufgeben und das Recht des Stärkeren zurückkäme. Nicht selten hat man allerdings den Eindruck, dass Deutschland und auch Europa am Ende die Verlierer dieser sich gerade aufbauenden neuen Weltordnung sind Es ist ja nicht so, dass der Westen zum ersten Mal mit seinen Ideen unter Druck gerät. Die Zeit des Kalten Krieges haben wir vor allen Dingen, auch dadurch, weil wir ein klares Wertefundament hatten, als Gewinner, denn als Verlierer überstanden. Und die Frage, ob der Westen verliert, hängt letztlich davon ab, wie sehr wir selber unsere liberalen Demokratien ernst nehmen und verteidigen. Das hängt nicht davon ab, was andere machen. Das ist Sigmar Gabriel (SPD): Ex-Vizekanzler und Ex-Außenminister Sigmar Gabriel hat in seinem politischen Leben bereits viele Ämter ausgeführt. Ein Überblick: Ministerpräsident in Niedersachsen (1999 bis 2003) Bundesumweltminister (2005 bis 2009) Bundeswirtschaftsminister (2023 bis 2017) Vorsitzender der SPD (2009 bis 2017) Vizekanzler (2013 bis 2018) Bundesaußenminister (2017 bis 2018) Vorsitzender der Atlantik-Brücke (seit 2019) Berater beim Gütersloher Fleischverarbeitungsbetrieb Tönnies (März bis Mai 2020) Mitglied im Rheinmetall-Aufsichtsrat (seit Mai 2025) &bdquo;Wir befinden uns in einer G0-Welt“ In was für einer Phase befinden wir uns denn aktuell, wenn wir jetzt konkret auf diese neue Weltordnung schauen? Wir befinden uns in einer Art Übergangszeit: Die alte Weltordnung war die Nachkriegsordnung des Zweiten Weltkrieges. Sie wurde geschaffen, als Länder wie Indien noch eine britische Kronkolonie waren und China eine wenig beachtete Größe. Diese Weltordnung mit uns Europäern im Zentrum ist unwiderruflich zu Ende gegangen. Denn die Länder des &bdquo;globalen Südens“, die wir vor 80 Jahren als &bdquo;Entwicklungsländer“ und manchmal sogar als &bdquo;Dritte Welt“ bezeichnet haben, wollen sich nicht länger vom Westen oder von den USA führen lassen. Der UNO-Weltsicherheitsrat hat fünf ständige Mitglieder, davon kommen zwei aus Europa. Indien ist nicht dabei, kein Staat Afrikas oder Lateinamerikas. Die globale Ordnung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bildet einfach die Welt des 21. Jahrhunderts nicht mehr ab. Was folgt daraus? Noch ist unklar, wie die neue Weltordnung aussehen soll. Der globale Süden zum Beispiel will sich nicht von China oder Russland führen lassen. Deshalb befinden wir uns sozusagen in einer &bdquo;G0-Welt“, in einer Welt ohne Ordnung, mit vielen Instabilitäten und neu aufflammenden militärischen Konfrontationen bis hin zum Krieg. Obwohl die Fragen, die wir international nur gemeinsam beantworten können – Klimawandel, Pandemien oder den Stopp der Weiterverbreitung von Nuklearwaffen – zunehmen, sinkt die Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Die Staaten ziehen sich zurück auf Nationale, ziehen Mauern und Zäune hoch und hoffen, so durch diese Phase der Unsicherheit hindurchzukommen. Noch ist unklar, wann und mit wem die internationale Gemeinschaft zurückfinden wird zu einer gemeinsamen globalen Ordnung. Hoffentlich nicht erst nach einer weiteren Menschheitskatastrophe wie dem letzten Weltkrieg. Lesen Sie auch: Sigmar Gabriel in Herford: Gedenken an das Kriegsende vor 80 Jahren Deutschland steht vor großen Herausforderungen Was bedeutet das für Deutschland? Deutschland ist nach vielen, vielen Jahren wirtschaftlichen Aufschwungs jetzt eher in einer Rezession. Das hat auch was damit zu tun, dass sich die Rahmenbedingungen für Deutschland als Exportnation dramatisch geändert haben. Mehr Protektionismus, mehr Zölle, Handelskriege – das ist natürlich für ein Exportland wie Deutschland außerordentlich schwierig. Und deswegen würde ich sagen: Das ist eine ziemlich große Herausforderung, vor der wir in Deutschland und Europa stehen, aber ich sehe keinen Grund, warum, wir diese Herausforderung nicht bestehen sollen. Gar keinen Grund? Nein, die Generationen, die nach dem 8. Mai dieses Land wieder aufgebaut haben, hatten es wirklich schwieriger als wir und haben es geschafft. Ein bisschen von deren Mut täte uns ganz gut. Die ganze Geschichte der Europäischen Union zeigt doch, was möglich ist, wenn Menschen es wirklich wollen. Aber eines stimmt: Anstrengend wird es. Mit dem Wunsch nach der Viertagewoche und drei Tagen im Homeoffice werden wir es jedenfalls nicht schaffen. Trump regiert mit Dekreten – ein Vorbild für Europa? Häufig wirkt das Handeln der EU zäh und träge. Entscheidungen lassen teils lange auf sich warten, wenn sich überhaupt geeinigt werden kann. Auf der anderen Seite des Atlantiks sitzt dagegen jemand, der mit Dekreten schnell Fakten schafft. Ein Vorbild? Ein Blick in die USA zeigt doch gerade, wie dort die Börsenkurse zusammensacken und die Inflation steigt. Die neue US-Regierung verbreitet gerade vor allem eines: Unsicherheit und das ist Gift für wirtschaftlichen Erfolg. Das bedeutet nicht, dass bei uns in Deutschland und Europa alles in Ordnung ist. Wir haben zu hohe Energiepreise, eine überbordende Bürokratie, kein Risikokapital für junge Unternehmen, die wachsen wollen und vor allem einen dramatischen Fachkräftemangel. Das sind Aufgaben, die man lösen muss und kann. Das angebliche &bdquo;Durchregieren“ der USA ist aber ganz gewiss kein Rezept für uns und wie man sieht, auch nicht für die Vereinigten Staaten. .responsive23-RJivmFXhbXdIse5o-bar-grouped-horizontal-us-wahl-2024-die-wichtigsten { width: 100%; padding-top: 100%; } @media (max-width: 600px) { .responsive23-RJivmFXhbXdIse5o-bar-grouped-horizontal-us-wahl-2024-die-wichtigsten { padding-top: 100%; } } @media (max-width: 360px) { .responsive23-RJivmFXhbXdIse5o-bar-grouped-horizontal-us-wahl-2024-die-wichtigsten { padding-top: 142.86%; } } China ist auch ein Land, in dem der Präsident durchregiert. Das Ergebnis ist, dass sie noch bis heute nicht aus der Krise raus sind, die sie durch ihre eigene Corona-Politik verschuldet haben. Also, es scheint mir eher Belege dafür zu geben, dass Demokratien fehlerfreundlicher sind und sich einfacher korrigieren können als Diktaturen oder autoritäre Länder. Seit wenigen Tagen ist Friedrich Merz Bundeskanzler. Er selbst sagt über sich, dass er Trump sehr gut einschätzen kann. Ist er der richtige in dieser angespannten Zeit? Ob er der Richtige ist, zeigt sich immer erst hinterher. Ich glaube, er hat alle Voraussetzungen dafür, mit jemandem wie Donald Trump klarzukommen. Vor allem tut er das Richtige, in dem er sich mit anderen europäischen Regierungen abstimmt. Er bringt das kaputte Verhältnis zu Frankreich und Polen wieder in Ordnung. Und er schließt sich der Koalition von Frankreich und Großbritannien an, die versuchen, gemeinsam mit den USA die Voraussetzungen für einen Waffenstillstand in der Ukraine zu schaffen. .responsive23-AaJTFdcaVeatNMe9-bar-stacked-horizontal-merz-und-scholz-kompetenz-in { width: 100%; padding-top: 100%; } @media (max-width: 600px) { .responsive23-AaJTFdcaVeatNMe9-bar-stacked-horizontal-merz-und-scholz-kompetenz-in { padding-top: 100%; } } @media (max-width: 360px) { .responsive23-AaJTFdcaVeatNMe9-bar-stacked-horizontal-merz-und-scholz-kompetenz-in { padding-top: 142.86%; } } Waren die direkten Gegenzölle der EU, das richtige Mittel auf Trumps harsche Zollpolitik? Wir wären gewiss klüger beraten gewesen, wenn wir vor ein paar Jahren die Chance ergriffen hätten, ein gemeinsames Freihandelsabkommen mit den USA zu schließen. Ausgerechnet in der Exportnation Deutschland wurde aber dieses Abkommen verleumdet und mit völlig unsinnigen Argumenten abgelehnt. Heute wären wir froh, wenn wir das Abkommen hätten. Jetzt werden wir versuchen müssen, uns mit den USA im Zoll- und Handelsstreit zu einigen. Einen Hochschaukeln von Zöllen und Gegenzöllen ist gewiss keine gute Lösung. Man muss ja auch bei einigen Dingen sagen, dass die Amerikaner gute Argumente haben: Wenn Autos aus Europa, die in die USA geliefert werden, mit 2,5 Prozent Zöllen belegt werden, aber amerikanische Fahrzeuge nach Europa 10 Prozent Zölle haben, dann kann ich verstehen, dass die Amerikaner das ungerecht finden. Die beste Idee wäre auf beiden Seiten auf null zu gehen. Hintergrund: Trump schließt Deal mit Briten - EU droht mit Gegenzöllen Gabriel: Amerika sieht Deutschland als verlässlichsten Bündnispartner Würden Sie sagen, Deutschland und die USA sind noch befreundet? Wer beruflich oder als Tourist in die USA fährt, wird schnell merken, wie sehr sich die Amerikanerinnen und Amerikaner uns Europäern und vor allem und Deutschen verbunden fühlen. Viele Tausend US-Bürger arbeiten in den amerikanischen Niederlassungen deutscher Firmen. Nicht wenige haben als US-Armeeangehörige ihre Ehepartner in Deutschland kennengelernt. Dass wir mit der aktuellen US-Regierung zum Teil große Konflikte haben, darf doch nicht darüber hinwegtäuschen, was an Partnerschaft und Freundschaft in den letzten 80 Jahren entstanden ist. Und selbst unter Donald Trump verbindet Deutschland und Europa kulturell, wirtschaftlich und politisch immer noch mehr mit den Vereinigten Staaten von Amerika, als uns trennt. Kommentar: Verhältnis mit den USA: Deutschland wird einen hohen Preis zahlen Mit Blick auf die Ukraine: Sie haben mal gesagt, es geht nicht um Land gegen Frieden, sondern um Sicherheit gegen Frieden. Kann die EU der Ukraine diese Sicherheit geben? Das ist die große Frage, an der derzeit die Verhandlungen scheitern. Denn einerseits sagt die Ukraine, wir brauchen am besten die NATO-Mitgliedschaft. Wenn das nicht geht, westliche Bündnispartner, die militärisch in der Ukraine präsent sind, damit, falls die Russen erneut angreifen, wir Bündnispartner haben, die uns verteidigen. Andererseits sagt der Westen, genau das wollen wir nicht, denn wir wollen nicht in einem direkten Krieg mit einer Nuklearmacht Russland verwickelt werden. Auch Russland will das nicht. Was will Russland dann? Russland will keinen eigenständigen und stabilen Staat in der Ukraine. Wenn es die Ukraine schon nicht völlig einnehmen kann in diesem Krieg, dann soll die Ukraine wenigstens ein Hort der Instabilität bleiben. Russland versteht das als Teil seines &bdquo;Cordon Sanitär“, als eine Art Schutzschirm gegen den angeblich aggressiven Westen, der Russland bedrohe. Aus westlicher Sicht ist das erstens nicht der Fall, wir sehen uns nicht als Bedrohung Russlands, vor allem aber sind wir der Überzeugung, dass jedes Land frei sein muss, sich einem Sicherheitsbündnis anschließen zu wollen. Eine Beendigung des Krieges werden wir letztlich aber nur schaffen, wenn Ideen entwickelt werden, bei denen beide Seiten – die Ukraine und Russland – ihre jeweiligen Sicherheitsinteressen gewahrt sehen. Was wir zurzeit auf dem Tisch haben, würde entweder die Ukraine zu einer Art Vasallenstaat Russlands machen oder Russlands Sicherheitsinteressen komplett ignorieren. An dieser entscheidenden Frage scheitern bislang alle Versuche, den Krieg zu beenden. Es wäre gut, wenn sich beiden Seiten auf eine notfalls befristete Waffenruhe verständigen würden, damit Zeit gewonnen wird, an Lösungen zu arbeiten, mit denen beide Seiten leben können. Auch für Deutschland geht es um Sicherheit. Stichwort: Aufrüstung. Gibt es da eigentlich eine Obergrenze, bis wohin Deutschland aufrüsten muss? Wir hatten in Westdeutschland mal 500.000 Soldaten – heute haben wir noch 180.000. Wir haben unsere Bundeswehr von einer Territorialarmee, die das Territorium der Bündnispartner verteidigen soll, zu einer Out-of-Area-Armee gemacht. Das heißt, die in Mali, am Horn von Afrika und in Afghanistan eingesetzt wurde. Das ist eine ganz andere Armee, als wir sie heute wollen. Deswegen werden wir Zeit brauchen und das wird auch Geld kosten, die Bundeswehr wieder so auszustatten, dass sie diese Aufgabe wahrnehmen kann. Das erfordert eine enorme Anstrengung. Gibt es da eine Obergrenze? Da müssen Sie Militärstrategen fragen. Eins ist jedenfalls klar, so wie sie heute aufgestellt ist, wird sie ihrem Bündnis Auftrag nicht gerecht. Herforder Zeitzeugen-Nachdenken über 80 Jahre Kriegsende

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