Mobbing-Opfer: Drei Herforder Geschichten vom Kindergarten bis zur weiterführenden Schule

Herford. Das Thema Mobbing gilt als Zivilisationskrankheit. In unserer schnelllebigen Zeit, in der &bdquo;höher, schneller, weiter“ gilt, bleibt allzu häufig die Empathie auf der Strecke und schlägt nicht selten um in ein regelrechtes Mobbing. Die NW hat sich drei reale Fälle schildern lassen. Kindergarten: Der erste Fall Annika (alle Namen von der Redaktion geändert) ist fünf Jahre alt, ein Sonnenschein. Das Mädchen lebt mit ihrer Mutter im Kreis Herford, ist wohlbehütet. Auf Urlaubsbildern strahlt sie, was das Zeug hält, wirkt ausgeglichen und rundum glücklich. Doch der Schein trügt, es handelt sich nur um Momentaufnahmen. Tatsächlich durchlebt das Mädchen die Hölle im heimischen Kindergarten. &bdquo;Ein Junge in ihrer Kindergartengruppe mobbt sie jeden einzelnen Tag“, sagt ihre Mutter im Gespräch mit der &bdquo;NW“. Kaum im Kindergarten angekommen, schlägt er sie wortlos – häufig aus dem Nichts heraus. Hänseleien und ein hämisches Auslachen, wenn die Fünfjährige aufgrund der Attacken weint, inklusive. Kita-Personal wiegelt ab &bdquo;Es gibt keinen Grund für ein solches Verhalten“, sagt die Alleinerziehende, die ihren Sonnenschein noch nie traurig und ängstlich erlebt hat. &bdquo;Natürlich habe ich das Gespräch mit Verantwortlichen des Kindergartens gesucht, auch auf eigene Faust Kontakt zu den Eltern des gleichaltrigen Jungen aufgenommen“, berichtet sie weiter. Doch vergeblich: Die Leitung des Kindergartens banalisiert das Verhalten des Jungen, frei nach dem Motto: &bdquo;Nun, Kinder streiten sich auch mal.“ Und auch die Eltern des Jungen spielen die Schilderungen von Annika herunter, sprechen von &bdquo;Kinder halt“. Für die Fünfjährige und ihre Mutter gestaltet sich die Einschätzung gänzlich anders, denn Annika zeigt seit einiger Zeit medizinisch relevante Symptome. &bdquo;Morgens hat sie wie aus dem Nichts plötzlich Fieber oder muss sich erbrechen“, berichtet sie. Offenbar eine psychosomatische Störung, wie ihr der Hausarzt der beiden bestätigt. Die Angst, immer und immer wieder in eine solche belastende Situation zu geraten, führe zu solchen körperlichen Reaktionen. Lesen Sie auch: &bdquo;Legalisiertes Mobbing“: Forscher wollen Völkerball abschaffen Dass Mobbing bereits im Kindergartenalter beginnt, sagt auch Tom Lehel. Der TV-Moderator eines bekannten Kinderkanals steht seit 2018 dafür, bundesweit für Mobbing zu sensibilisieren und aktive Präventionsarbeit zu leisten. Mit seinem Programm &bdquo;Wir wollen mobbingfrei“ klärt er vornehmlich mit thematisch passenden Pop- und Rocksongs in Grundschulklassen auf, um Lehrer, Kinder und Angehörige zu sensibilisieren. Grundschule: Der zweite Fall Apropos Grundschule: Auch die Eltern von einem Grundschulkind wandten sich an die &bdquo;Neue Westfälische“ und wollten ihre Geschichte erzählen. Die zehnjährige Anna ist ebenfalls ein Mobbing-Opfer, wird gleich von einer ganzen Gruppe von gleichaltrigen Mädchen gemobbt. Auch sie wohnt im Kreis Herford. &bdquo;Anna hatte sich die gleichen Turnschuhe gekauft wie die Anführerin einer Mädchen-Clique“, berichtet der Vater, der im Kreis ein kleines Unternehmen betreibt und gerade erst für sich und seine Familie ein Haus gekauft hat, in dem sie zu viert leben. Zehnjährige von Gleichaltrigen verprügelt &bdquo;Seitdem wird meine Tochter von der Clique gemobbt, es werden Unwahrheiten über sie verbreitet und ihr in der Stadt aufgelauert“, erzählt der 42-Jährige. &bdquo;Anna traut sich nicht mehr alleine in die Stadt“, sagt er und weist darauf hin, dass es bei reiner Bedrohung schon lange nicht mehr geblieben sei. &bdquo;Meine Tochter wurde in einen Kellereingang gezogen und verprügelt“, erklärt der Familienvater weiter. Er habe die Taten schließlich bei der Polizei angezeigt, ein Ermittlungsverfahren ist laut Pressesprecherin der Polizei tatsächlich anhängig. &bdquo;Doch das interessiert die Mobberinnen nicht, sie machen einfach weiter“, sagt er enttäuscht. Um seine Tochter zu schützen, hat er sie von der Grundschule genommen, sie wird aktuell privat unterrichtet und zudem psychologisch betreut. &bdquo;Wir haben uns gerade erst das Haus gekauft. Würden wir zur Miete wohnen, so wären wir längst weggezogen“, berichtet er enttäuscht. Die Ohnmacht in seinen Worten klingt im Gespräch mit der &bdquo;NW“ nach. Lesen Sie auch: Mobbing an der Schule: Zwei Schülerinnen verraten, was Erwachsene tun können Weiterführende Schule: Der dritte Fall Auch auf einer weiterführenden Schule im Kreis gibt es einen aktuellen Fall von Mobbing. Die 14-jährige Isabell wohnt mit ihrer Schwester, Hund Hannes und ihren Eltern in einer schmucken Mietwohnung und hat ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern. Trotzdem traf es Mutter Sandra vor einiger Zeit mitten ins Herz, als ihr Isabell unter Tränen ihr Tagebuch in die Hand drückte, verbunden mit der Bitte, es doch bitte zu lesen. &bdquo;Normalerweise erzählen wir uns alles, daher war ich völlig überrascht“, erzählt die 42-Jährige. Isabell hat in ihrem Tagebuch über drei Jahre hinweg geschildert, wie sie in der Schule gemobbt wurde. Die Tagebucheinträge haben es in sich, ihre Mutter versteht die Welt nicht mehr: &bdquo;Warum bist du nicht zu mir gekommen, wir sprechen doch sonst über alles?“, fragt sie Isabell. Aufforderung zum Suizid &bdquo;Ich konnte es einfach nicht“, sagt Isabell und versucht ihrer Mutter zu erklären, dass sie irgendwann eine Art zweite Persönlichkeit entwickelt habe. &bdquo;Ich wollte stark sein und euch nicht belasten, habe gelächelt und auf Frieden, Freude, Eierkuchen gemacht“, sagt die 14-Jährige. Gerade weil das Familienleben harmonisch war, gerade weil das Elternhaus der sichere Hafen ist, in dem sie lachen und Spaß haben kann. Doch warum dann die Übergabe des Tagebuchs, um ihre Eltern schließlich doch einzuweihen? &bdquo;Sie hat in dem Tagebuch nicht nur ihre Eindrücke geschildert, wie mit ihr umgegangen wurde, sondern dort auch Chat-Nachrichten festgehalten, den ihr ihre Kontrahenten zusandten“, zeigt sich Isabells Mutter tief betroffen. Lesen Sie auch: Ex-GNTM-Teilnehmerin diskutiert mit Schülern aus dem Kreis Herford über digitale Gewalt Im Rahmen eines Streits wurde das Mädchen aufgefordert: &bdquo;Spring endlich!“ – eine formulierte Aufforderung zum Suizid. &bdquo;Die bisherige Ausgrenzung hat Isabell tapfer ertragen“, sagt der Vater der 14-Jährigen. Er berichtet von Tagebucheinträgen, in denen das Kind schildert, wie es von seinen Kontrahenten öffentlich vorgeführt wurde. &bdquo;Nachdem die Gruppe Isabell immer gemieden und ihr gezeigt hat, dass sie nicht zu ihnen gehöre, haben sie sie plötzlich in ihre Mitte genommen und sich mit ihr unterhalten“, berichtet der Vater. Die Polizei ermittelt Für Isabell eine Freude, die nur von kurzer Dauer war. Denn am nächsten Tag machten sie ihr deutlich, dass sie ihr nur mal zeigen wollten, wie dumm sie doch sei, zu glauben, dass ausgerechnet sie jemand sei, mit dem man Kontakt haben wolle. Isabell verstand die Welt nicht mehr, zumal sie sich nichts hat zu Schulden kommen ließ, was eine solche Ablehnung und Ausgrenzung rechtfertigen würde. In einem Tagebucheintrag schreibt das Mädchen: &bdquo;Wenn ich mich zu einer Gruppe stelle, redet niemand mit mir. Ich habe das Gefühl, die wissen gar nicht, dass ich da bin“. Isabells Vater hat die Aufforderung zum Suizid zur Anzeige gebracht. Gegen den Verfasser wird ermittelt. Drei Fälle, beginnend im Kindergarten, über die Grundschule bis hin zu einer weiterführenden Schule. Fälle, die in das Bewusstsein von Eltern, Lehrkräften und Verantwortlichen dringen sollten. Denn es sind keine Einzelfälle. Lesen Sie auch: Beschimpft und bloßgestellt: Cybermobbing trifft zwei Millionen Schüler

Meistgelesen