21-jähriger Soldat aus der Ukraine kann nach OP im Klinikum Herford wieder laufen

Herford. Es gibt Momente im Leben, da stockt einem der Atem. So wie beim Gespräch mit einem 21-jährigen Patienten des Herforder Klinikums. Sein Name ist Makysm Kryvokhyzha, und was er in seinem jungen Leben bereits erfahren musste, macht demütig hier im friedlichen Ostwestfalen-Lippe. Es ist der 5. November 2023, als der junge Soldat, der sein Land gegen den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands verteidigt, bei der Stadt Saporischja am Knie schwer verletzt wird. An Gehen ist danach nicht zu denken; Dauerschmerzen setzen ein. Vier seiner Kameraden wurden bei derselben Attacke russischer Streitkräfte in seiner unmittelbaren Nähe tödlich getroffen, wie der studierte Krankenpfleger berichtet. Nun sitzt er im 8. Stock des Herforder Klinikums und lächelt etwas schüchtern. &bdquo;Das Bein ist deutlich besser geworden“, sagt Makysm. Auch psychisch gehe es ihm besser, übersetzt Liudmyla Amelina, Assistenzärztin aus der Klinik für Neurologie, die ebenfalls aus der Ukraine stammt. Die Versorgung sei gut hier in Herford, betont der junge Mann. Und doch sind seine Gedanken oft woanders. &bdquo;Ich möchte wieder nach Hause“, sagt er. Viele Bekannte und Freunde seien noch beim Militär und er fühle sich mit ihnen verbunden. Ukrainischer Soldat ist seit Mai in Deutschland &bdquo;Das alles zeigt für mich, wie nah der Krieg ist“, sagt Rainer Denstorf-Mohr, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Wirbelsäulenchirurgie am Herforder Klinikum im exklusiven Gespräch mit der Neuen Westfälischen. Denstorf-Mohr übernahm federführend die Behandlung des jungen Patienten mit der schweren Kriegsverletzung, der per Flugzeug nach OWL gebracht wurde und am 22. Mai dieses Jahres auf dem Airport Paderborn/Lippstadt landete. Das Gesundheitsministerium der Ukraine und das Katastrophenschutzverfahren der EU (UCPM) hatten diesen Transfer in Gang gesetzt. &bdquo;Das war erst mal eine sehr kritische Situation“, beschreibt der Chefarzt den Zustand des jungen Ukrainers, als er im Klinikum nach seiner Einlieferung untersucht worden sei. Denn das, was die medizinischen Fachkräfte feststellen, ist ernst. &bdquo;Makysm war nicht mehr in der Lage zu laufen“, erläutert Denstorf-Mohr. Das Knie war steif und nicht belastbar. &bdquo;Die Muskulatur war weg. Wer neun Monate lang nicht laufen kann, kann nicht mehr auftreten.“ Das Geschoss, das die schwere Verletzung verursachte, bohrte sich von außen nach innen durch das Kniegelenk. Dieses wurde am Tag nach der Aufnahme des Patienten punktiert. Denn: &bdquo;Bakterien sind der größte Feind einer Endoprothese“, sagt Denstorf-Mohr. Bakterien nach Verletzung besonders gefährlich Das Tückische: Die möglichen Bakterien im Schusskanal sind von außen nicht erkennbar. Doch die Laboruntersuchung bringt die Gewissheit, dass sich im Innern des verletzten Knies ein chronischer Infekt gebildet hat. Medizinischer Name des Bakteriums: Corynebacterium striatum. Zudem wird bereits bei der Aufnahme das Knie einer Computertomografie (CT) unterzogen und eine 3D-Rekonstruktion angefertigt. Daraus ergeben sich nun zwei Optionen der Therapie, die dem Patienten vorgeschlagen werden. Entweder eine Knieversteifung oder das Einsetzen einer Knieprothese, die mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann ersetzt werden muss. Der Ukrainer entscheidet sich für die Knieprothese. Es folgt eine erste Operation des linken Knies mit einer Entfernung abgestorbenen Gewebes, Säuberung und einer gezielten Gabe von Antibiotika über zwei Wochen. Moderne OP-Methode für Knieprothese Dann erfolgt in einer zweiten OP der Einsatz einer sogenannten modularen, achsgeführten Knieendoprothese. Diese kommt dann zum Einsatz, wenn die Bänder sehr stark geschädigt sind. &bdquo;Die sind nicht mehr zu retten“, stellte der Chefarzt fest. &bdquo;Das wäre vor ein paar Jahren noch nicht möglich gewesen“, kommentiert er die moderne OP-Methode. Auch Titanelemente verstärken das künstliche Gelenk. Die Antibiotika-Behandlung muss nun zehn Wochen lang fortgesetzt werden. Doch dass der Eingriff äußerst erfolgreich ist, zeigt sich bereits in diesen Tagen. Makysm Kryvokhyzha kann mit zwei Gehhilfen wieder laufen; der Bewegungsablauf auf den Fluren der Station sieht flüssig aus. Auch beugen kann der junge Ukrainer das Knie mit der neuen Prothese schon wieder recht gut. &bdquo;Er sitzt auf der Bettkante und kommt auf 60 bis 90 Grad“, sagt Andreas Steinbach, der als Physiotherapeut mit dem Patienten arbeitet. Der Chefarzt nickt zufrieden. &bdquo;10 Grad mehr, und er kann Fahrrad fahren und besser Treppen laufen.“ Insgesamt ist er mit der Entwicklung sehr zufrieden. &bdquo;Ich ziehe den Hut vor ihm. Er hat eine super Motivation und macht voll mit.“ Das sehen alle Fachkräfte im Herforder Klinikum so, wo der Patient auch regelmäßig vom Herforder Verein &bdquo;Help Chain“ besucht wurde, wie Vorstand Eugen Laschinski der NW berichtet. 339 Patienten in NRW-Kliniken aufgenommen Doch es gibt auch wieder nachdenkliche Töne. &bdquo;Wir bekommen erhebliche Hilfe, aber die ist nicht ausreichend“, mahnt Liudmyla Amelina. So sei insbesondere die Medikamentenversorgung in der Ukraine noch verbesserungsbedürftig. &bdquo;Es ist wichtig, dass alle Menschen wissen, wie wichtig die Hilfe ist“, fügt sie hinzu. Die Hilfe der Herforder Mediziner für den jungen Ukrainer ist Teil einer groß angelegten Hilfsaktion im Rahmen des während der Corona-Pandemie entwickelten, sogenannten Kleeblatt-Verfahrens. Dieses soll eine sinnvolle Verteilung von Intensivpatienten auf die deutschen Kliniken gewährleisten. 339 Patientinnen und Patienten aus der Ukraine wurden bislang in NRW-Kliniken aufgenommen und behandelt, schreibt Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann in einem Dankesschreiben an die beteiligten Häuser. Ihm sei bewusst, dass dieses Verfahren mit großem Aufwand verbunden sei, erklärt der Minister darin. Doch für die Betroffenen sei dies &bdquo;ein Signal der Hoffnung und der fortdauernden Solidarität“. Kein anderes Bundesland habe so viele Patientinnen und Patienten versorgen können wie NRW. Diese Arbeit der EU-Kommission sei auch als Mahnung zu verstehen, &bdquo;nicht nachzulassen, bis Frieden in der Ukraine die Verlegung von Patientinnen und Patienten über das Kleeblatt-Verfahren nicht mehr erforderlich macht“, so Laumann weiter. In Kürze wird Makysm Kryvokhyzha nach seiner Behandlung in Herford wieder in seine Heimatstadt Krywyj Rih im Süden der Ukraine zurückkehren und dort eine Reha beginnen. Er könne sich ein normales Leben ohne Krieg nicht mehr vorstellen, sagt er. Und wieder stockt der Atem. Denn es sind junge Männer wie Makysm, die auch unsere Freiheit, Sicherheit und Demokratie in Ostwestfalen-Lippe verteidigen.

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