Die Energiewende in Herford erfordert sämtliche Anstrengungen

Herford. Die Energiewende wird es nicht zum Nulltarif geben. Das dürfte seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine niemanden überraschen. Jürgen Noch, Geschäftsführer der Westfalen-Weser-Energie-Gruppe, einem Unternehmen mit 56 kommunalen Gesellschaftern, machte es aber bei einer Podiumsdiskussion zum Tema &bdquo;Energiewende in Europa – Welche Rolle spielt meine Stadt“ noch einmal ganz deutlich. Noch saß neben Bürgermeister Tim Kähler, Fabian Stoffel, Vorstandsmitglied der Friedensfördernden Energiegenossenschaft Herford, und der städtischen Klimaschutzmanagerin Greta Heineking auf dem Podium im Kongresszentrum auf dem Bildungscampus. Eingeladen hatte die Kommunal-Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Allerdings waren nur rund zwei Dutzend Bürger gekommen. Wie komplex das Thema ist, versuchte Noch zu erklären. Zunächst sei ein großer Teil der Gesetze, die den Rahmen für die Energiewende setzten, solche der Europäische Union, sagte er. Und die Energiemärkte seien, wenn nicht sowieso global, so doch mindestens europäisch. Physikalisch gebe es europaweit ein Verbundnetz zwischen den Energieversorgern. &bdquo;Sonst hätten wir die vergangenen zwei Jahre nicht so sorglos überstanden.“ Was global gedacht ist, muss lokal gemacht werden Aber obwohl die Energiewende europäisch gedacht werden müsse, so müsse sie lokal gemacht werden. &bdquo;Wir brauchen ganz viel Infrastruktur: Netze, Windkraftanlagen, Photovoltaik-Anlagen, Speicher – all das wird uns alle betreffen.“ Aber das sei auch aller Mühe wert. Die städtische Klimaschutzbeauftragte Heineking konnte das für den Wärmesektor nur bestätigen: In Deutschland werde derzeit jeder zweite Haushalt mit Gas geheizt, jeder vierte mit Öl. Herford hat mit der Wärmeplanung inzwischen begonnen – weit vor der Frist, in der die Stadt dazu verpflichtet ist. Denn sie wolle schnell eine Planungsgrundlage haben, ergänzte Kähler. Das Gebäudeenergiegesetz verlange, dass die Immobilienbesitzer Richtwerte einhalten müssen, sagte Heineking. Das Wärmeenergiegesetz habe die Aufgabe, die Bürgerinnen und Bürger im Prozess bis dahin zu unterstützen, die beste Energieversorgung für ihre Immobilien wählen zu können. Beispielsweise, indem die Kommunen Daten zur Verfügung stellen, die sie sonst nicht hätten. &bdquo;Wir versuchen, die Menschen durch die Stromschnellen der neuen Gesetzgebung hindurch zu lotsen.“ Bei der Wärmewende liegen die Potenziale im Lokalen Gerade bei der Wärmewende könne es viele lokale Potenziale geben. Vor Ort hänge die Wärmewende aber vor allem von der lokalen Bereitschaft ab. &bdquo;Lösungen, die keine Akzeptanz haben, werden später nicht funktionieren.“ Dabei komme es an manchen Stellen auch darauf an, etwas zu wagen. Je mehr Menschen gemeinsame Lösungen fänden, desto bezahlbarer sei das, sagte Kähler, der für die Bereitschaft warb, sich zu beteiligen und offen für neue Wege zu sein. Denn die Wärmewende sei &bdquo;eine riesige soziale Frage“. Deshalb gehe es auch darum, eine Vielfalt an Möglichkeiten zuzulassen. Kähler zufolge war jede Form der Energiewende auch schon in der Vergangenheit teuer: Die Atomkraft habe immense Subventionen erfordert. Ebenso wie die Kohle. Zu seiner Studienzeit sei der Bericht des Club of Rome zu den Grenzen des Wachstums öffentlich geworden. Es sei also keine neue Erkenntnis, dass das Wachstum Grenzen habe. Aber es dürften eben nicht nur einige wenige von CO2-Neutralität profitieren. &bdquo;Denn das würde die Gesellschaft spalten.“ Die Energiewende lasse sich jetzt demokratisch gestalten In den beiden großen Fragen, die im Raum standen – wer verdient an der Energiewende und wie sieht das System der Zukunft aus? – sieht Stoffel eine große Chance. &bdquo;Das können wir jetzt relativ gut gestalten“, sagte er. Anders als bisher: Da seien die Gewinne in die Taschen einiger wenige große Konzerne geflossen. Demokratisch sei das schlecht zu steuern gewesen. Nun könne Energie vor Ort produziert werden, sagte Stoffel. Und dadurch könnten sich auch die Bürgerinnen und Bürger über die Kommunen oder Energiegenossenschaften beteiligen. Damit komme das Geld wieder vor Ort an. Westfalen Weser sei ein kommunales Unternehmen, von dem die Bürgerinnen und Bürger über die Städte und Gemeinden profitieren könnten. Für falsch würde er es halten, sagte Stoffel, wenn die Energiekonzerne beteiligt würden, die das globale CO2-Problem erst verursacht haben, dann nicht umsteuerten, als sie es besser wussten, und nun nicht einmal für die Schäden aufkämen, die sie verursacht hätten. Dafür gab es Applaus von den Zuschauern. Viele Bürger wollen sich selbst engagieren Ein Anteil an der Friedensfördernden Energiegenossenschaft Herford, die vor allem in den vergangenen Jahren mit ihren Großprojekten an Anteilseignern gewachsen ist, kostet übrigens 250 Euro, wie Stoffel auf Nachfrage von Moderatorin Julia Ures verriet. Die Käufer von Anteilen seien überwiegend Bürger, denen die Dringlichkeit der Energiewende bewusst sei und die selbst dazu einen Beitrag leisten wollten. Sie treibe die Sorge vor den Folgen des Klimawandels an. &bdquo;Die sind bei uns ja auch zu spüren“, sagte Stoffel. Er wies darauf hin, dass die 1,5-Grad-Grenze der globalen Erwärmung bereits gerissen ist. Jürgen Noch warnte allerdings vor dem &bdquo;Märchen der lokalen Energieversorgung“, das er immer wieder höre. Ihm zufolge wird es Hotspots der Energieerzeugung geben müssen, große auch in der Region, etwa bei Lichtenau, wo Wasserstoff aus Windkraft gewonnen werden soll. Er werde die Kapazität von zehn Kernkraftwerken und zwölf Kohlekraftwerke haben, sagte Noch. &bdquo;Die Energiewende erfordert alle Anstrengungen“ Er erinnerte aber auch an Diskussionen, die er aus Schleswig-Holstein kenne, wo in einer Gemeinde ein Windpark entstand, von dem diese dann finanziell sehr profitierte. Die Nachbar-Kommunen mussten aber die Überlandleitungen und die Trafostationen dulden, ohne irgend einen Vorteil dadurch zu haben. &bdquo;Die Energiewende wird uns nur dann gelingen, wenn wir die Akzeptanz der Bürger gewinnen“, sagte Noch. Denn sie gehe auch mit Eingriffen in privates Eigentum einher – und erfordere ein hohes Tempo: &bdquo;Wir wollen in den nächsten zehn Jahren das Vierfache dessen schaffen, was wir in den vergangenen zwanzig Jahren geschafft haben. Noch plädierte deshalb für Technologie-Offenheit: Die Energiewende erfordere alle Anstrengungen, sagte er. Westfalen Weser plant dafür beispielsweise in den nächsten Jahren Investitionen in Höhe von 1,5 Milliarden in den Netzausbau. An den Einnahmen müssten die Kommunen beteiligt werden, sagte Kähler. Denn das schaffe Akzeptanz. Die Gewinne von Westfalen Weser – &bdquo;die so schlecht nicht sind“ – nutze Herford beispielsweise, um die Kultur, den Öffentlichen Personennahverkehr oder das Freibad für die Bürger bezahlbar zu machen. &bdquo;Am Ende muss auch der Strom für die Leute bezahlbar sein. Sonst kippt die Stimmung“, so der Bürgermeister. Aber: &bdquo;Auch der lokal produzierte Strom hat seinen Preis.“

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