Über das Leben von Migranten in Deutschland: Neue Ausstellung im Herforder Marta

Herford. Firnisgeruch liegt bei der Vorstellung der neuen Gruppenausstellung &bdquo;Annem isçi – Wer näht die roten Fahnen?“ durch die Lippold-Galerien im Marta Museum Herford. Gerade rechtzeitig ist Serpil Yeters Wandgemälde &bdquo;Rote Zukunft“ fertig geworden. Das zeigt Näherinnen und eine kämpferische Frau und umreißt die Fragen nach ökonomischen Verhältnissen, der spezifischen Ausbeutung von Frauen und dem feministischen Widerstand dagegen und das Arbeiten als &bdquo;Gastarbeiterin“ oder &bdquo;Gastarbeiter“ in einem fremden Land, die sich durch die Ausstellung ziehen. Das Nähen sei bis heute ein Arbeitsfeld von Frauen, nur stehen die Fabriken heute nicht mehr in Europa, sondern im fernen Osten, deswegen muten die Arbeiterinnen in dem Bild auch fremd an, sagt Yeter. Anders als im Marta üblich, stehen nicht aktuelle zeitgenössische Arbeiten im Zentrum, sondern das Marta blickt mit Gastkurator Gürsoy Dogtas in die 1960er und 1970er zurück, als die Bundesrepublik den Arbeitskräftemangel durchs Anwerben von &bdquo;Gastarbeitern“ und &bdquo;Gastarbeiterinnen“ beheben wollte. Blick in die 1960er und 1970er Jahre Der Kurator hat der Ausstellung die programmatische Zeile &bdquo;Annem isçi“ (&bdquo;Meine Mutter ist eine Arbeiterin“) aus einem Gedicht der von ihren Eltern 1971 im Alter von 14 Jahren nach Deutschland gekommenen Schriftstellerin Semra Ertan vorangestellt. 1982 verbrannte sie sich aus Protest gegen den aufkommenden Rassismus in Deutschland selbst. Ihr Gedicht &bdquo;Mein Name ist Ausländer“ wird bis heute oft zitiert. Als &bdquo;Hobby“ bezeichnet die 1966 aus Griechenland nach Deutschland gekommene Asimina Paradissa die von ihr neben der Industriearbeit betriebene Fotografie. Ihre Bilder zeigen Eindrücke vom fremden Deutschland, Arbeit oder dem Leben in den Wohnheimen, in denen die &bdquo;Gastarbeiterinnen“ anfangs leben mussten. Gleich mit mehreren Werkgruppen vertreten ist die 1965 von Istanbul nach Paris emigrierte Künstlerin und Feministin Nil Yalter, die 2024 den Goldenen Löwen der Venedig-Biennale für ihr Lebenswerk erhalten wird. Sie engagiert sich mit ihren Werken für die Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten in Deutschland, in Belgien und Frankreich. Expressionistische Arbeiten zeigen Frauen bei der harten Landarbeit In der Werkserie &bdquo;Turkish Immigrants“ (1977) gibt sie ihnen eine Stimme und verleiht ihnen mittels Fotografie und Zeichnung Gesichter, die sich wie Erinnerungen auflösen – sowohl in ihren Zeichnungen als auch durch das Verpixeln der Polaroid Aufnahmen. Eine andere Arbeit entstand 1975 im niedersächsischen Neuenkirchen. Ihr Blick auf den Alltag von &bdquo;Frau Meisel“ oder das Schützenwesen macht patriarchale Machtverhältnisse sichtbar und lässt doch auch schmunzeln. Mehmet Güler lebt seit 1977 dauerhaft als Künstler in Deutschland. In dem Jahr entstand auch seine Grafikmappe &bdquo;Das Schicksal der Frauen“. Die expressionistischen Arbeiten zeigen Frauen bei der harten Landarbeit in einer kargen Landschaft. Ein Großteil der Arbeit in der ruralen Türkei wurde und werde von Frauen geleistet, sagt er. Diese und die weiteren eingeladenen Künstlerinnen und Künstler erzählen mit ihren Kunstwerken Geschichten von Arbeiterinnen- und Arbeitermigration, Sehnsucht, Fremdheit oder Kollegialität. Aber auch deutsche Künstlerinnen und Künstler beschäftigten sich mit dem Leben der neu nach Deutschland gekommenen Menschen. Dazu gehören Monika Sieveking und Gerdt Marian Siewert mit ihren sozial-realistischen Positionen. Fragen nach Diskriminierung, Rassismus und Gewalt Migration, der Blick auf die Lebensumstände zugewanderter Männer und Frauen, Fragen nach Diskriminierung, Rassismus und Gewalt seien vielschichtige Themen, sagt Marta-Direktorin Kathleen Rahn. Daher habe sich das Museum zusammen mit Dogtas für eine Ausstellung entschieden, die nicht zuerst auf aktuelle Diskurse, sondern auf deren Wurzeln und Quellen in der frühen Bundesrepublik schaue. &bdquo;In meinem Studium der Kunstgeschichte war die Kunst zugewanderter Menschen kein Thema“, sagt Dogtas, der das harte Leben seiner Eltern als &bdquo;Gastarbeiter“ zwischen Schichtarbeit und Alltagsorganisation in einem fremden Land aus eigenem Erleben kennt. In Film, Malerei, Grafik, Fotografie, Installation und Text blickt die Ausstellung in die wenig bekannte Geschichte einer auch von Migrantinnen getragenen politischen und feministischen Organisierung und deren Widerhall in der Kunst. Themen waren etwa ein vom Ehemann unabhängiges Aufenthaltsrecht oder die Benachteiligung von Frauen im deutschen Steuerrecht. Damit wirft sie Fragen auf, die in einer vielschichtiger werdenden Welt nichts an Aktualität verloren, sondern eher noch gewonnen haben. Weitere Werke stammen von Nuray Demir und Gülsün Karamustafa.

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