Herfords Bürgermeister über Chancen und Herausforderungen: „Herford hat jede Menge Geld“

Ein Jahr ist zu Ende gegangen, ein neues beginnt. Herr Kähler, wie beurteilen Sie die Situation in Herford aktuell - auch im Vergleich zur Situation vor einem Jahr? Letztes Jahr um diese Zeit haben wir uns darüber unterhalten, ob wir das Licht ein oder lieber doch ausschalten wegen der Energiekrise. Wir haben über Notfallpunkte zur Versorgung der Herforderinnen und Herforder nachgedacht, falls hier der Strom ausfällt und darüber, wie wir das Kraftwerk in Kirchlengern weiterführen können, wenn kein Gas mehr da ist. Da sind meine Gedanken Ende 2023 doch ein wenig andere. Welche sind das? Die vergangenen zwei bis drei Jahre waren extrem teure Jahre für Deutschland - aber auch für die Kommunen aufgrund der Flüchtlingssituation, der Energiekrise und letztlich auch wegen der Corona-Pandemie. Für letzteres gab es vom Land nur Buchungstricks - die Kosten konnten vorerst aus den Haushalten rausgerechnet werden. Jetzt gab es noch ein wenig mehr Geld für Flüchtlinge. Aber sonst gab es nichts. Auch steigende Sozialkosten sind ein Faktor, der die Kommunen belastet. Und der Rechtsanspruch auf Kita-Plätze, bald auch auf OGS-Plätze - das ist sozialpolitisch alles wichtig, aber die finanzielle Ausstattung ist nicht da. Da bleibt irgendwann für die Kommunen kaum noch etwas anderes übrig, als an der Steuerschraube zu drehen, wie es zum Beispiel Spenge ja jetzt auch schon getan hat. Werden die Steuern in Herford auch steigen? Vor Corona hatten wir im Haushalt Überschüsse in Herford. Theoretisch könnten wir in den kommenden beiden Jahren den Haushalt mit den gebildeten Rücklagen wieder ausgleichen. Aber dann, ab 2026, wird es schwierig, wenn sich dann bei den Finanzierungsbedingungen der bereits genannten Bereiche nichts geändert hat. Wir haben in Herford kein Einnahmen-Problem. Die Wirtschaft leistet hier nach wie vor einen erheblichen Beitrag. Deshalb kann ich mir auch zur Zeit nicht vorstellen, an der Gewerbesteuerschraube zu drehen. Aber am Ende ist eben alles zu bezahlen. Der ÖPNV wird teurer. Die Anschaffung eines E-Busses oder eines mit Wasserstoff betriebenen Busses ist eben teurer als die eines Dieselbusses. Trotzdem ist ein Dieselbus keine Option mehr. Und es ist richtig, dass die Busfahrerinnen und Busfahrer tariflich gut und besser bezahlt werden. Auch die Investitionen in Schulen müssen sein. Und auch für die Wärmewende wird die Stadt zusammen mit den Stadtwerken in den nächsten Jahren mehrere 100 Millionen Euro investieren müssen. Wichtig ist, dass wir hier Planbarkeit in diesen ganzen Veränderungsprozessen schaffen und der Business Case stimmt - finanziell gesehen - für den städtischen Haushalt, aber auch für die Bürgerinnen und Bürger. Herford hat wenig Geld, plant aber große Investitionen - das sehen einige Herforderinnen und Herforder kritisch. Wie will die Stadt sich die geplanten Großprojekte leisten? Herford hat jede Menge Geld - über eine Milliarde Euro ist die Bilanzsumme des Konzerns und im Kernhaushalt geben wir jedes Jahr um die 300 Millionen Euro aus. 2024 sind es rund 283 Millionen und bis 2027 werden die Ausgaben im Kernhaushalt auf 303 Millionen Euro steigen. Investitionen sind generell nicht das Haushalts-Problem - für diese Finanzierung wenden wir rund 1,5 Prozent der Gesamtausgaben auf. Problematisch sind die steigenden Kosten, die ich nicht beeinflussen kann. Allein für 2024 haben wir einen zweistelligen Millionen-Betrag an Kostensteigerung im Vergleich zum Vorjahr, unter anderem für die bereits genannten Bereiche. Wenn investiert wird, werden Kredite aufgenommen - deshalb hat Herford auch eine hohe Pro-Kopf-Verschuldung. Aber ein Großteil der Schulden sind in Ertragsbringer investiert - zum Beispiel in die Stadtwerke, in Westfalen-Weser oder die WWS - und erzeugen Nettogewinne. Und die darauf gezahlten Steuern, beispielsweise im Bereich Stadtverkehr, die können verrechnet und in den ÖPNV-Ausbau investiert werden. Das nennt sich Kapitalismus. Nur in diesem Fall werden die Gewinne der Allgemeinheit zugute kommen und unter anderem die Freizeitangebote finanzieren. Und eine Investition, zum Beispiel für ein OWL-Forum, wäre kein Problem? Kredite aufzunehmen ist keine Herausforderung. Man sollte jedoch immer gut begründen, warum man das tut, mit welcher Renditechance und zu welchem Zweck. Klar ist, dass man im Bereich Kultur und Freizeitangebote keine direkten Gewinne erzielen wird. Stattdessen reden wir beim OWL-Forum aber über Standortfaktoren, die sich hintenraus auszahlen werden. Eine Stadt ist mehr als Arbeiten und Schlafen. Standortfaktoren wie gute Schulen oder Freizeitoptionen sprechen zum Beispiel für gut ausgebildete Führungskräfte dafür, nach Herford zu kommen - oder in den Kreis Herford. Deshalb muss auch der Kreis darüber nachdenken, sich an einem OWL-Forum zu beteiligen. Die Stadt partizipiert von einem Veranstaltungszentrum dann über Einkommens- und Gewerbesteuer und hilft damit wiederum der Wirtschaft, sich mit der Stadt und ihren Standortfaktoren zu präsentieren. Diese Diskussion dauert ja nun schon lange an... Ja, seit 2019 diskutieren wir im Grunde nur diesen einen Vorschlag. Seitdem gibt es eben auch keinen anderen, besseren. Die Stadt hat noch versucht, Expert-Döring zu kaufen, um eine zweite Option zu schaffen - das hat nicht geklappt. Aber ich habe mich jetzt zwei Mal als Bürgermeister zur Wahl gestellt mit der klaren Aussage, einen modernen, innovativen Standort für Kultur und Theater und Veranstaltungen aller Art schaffen zu wollen. Ich habe das klar formuliert und bin zwei Mal gewählt worden. So funktioniert Demokratie. Und wenn man nicht in die Kultur investiert - welche Perspektiven gibt es dann noch für eine Stadt? Vielleicht liegt das Zögern von der einen oder anderen Seite auch an den Krisenjahren, die hinter uns liegen. Die Folgen der Krisenjahre müssen wir in Ruhe diskutieren. Allerdings treffen wir eine Entscheidung in Sachen OWL-Forum nicht für die nächsten fünf, sondern eher für die nächsten 40 Jahre. Es ist wichtig, in die Zukunft zu denken. Auch wenn es momentan schwierig ist, ist das kein Grund, diese Standortentscheidung nicht zu treffen. Und eines ist auch klar: Gemessen an dem, was wir in Herford in den nächsten Jahren entwickeln müssen - Stichworte sind hier Wärmewende, Verkehrswende - ist ein mögliches OWL-Forum eben nicht das Größte, was wir stemmen müssen. Als Bürgermeister ist es jetzt meine Aufgabe aufzuzeigen, was das Ganze kostet und welche Chancen damit verbunden sind. Im Februar können wir dann tiefer planen und auch den Architekturwettbewerb in Angriff nehmen. Eine große Freude hatten wir ja jetzt zur Weihnachtszeit mit dem fliegenden Weihnachtsmann auf dem Rathausplatz. Da habe ich wirklich abends oft in viele zufriedene Gesichter geschaut. Wir haben versucht, unseren Weihnachtsmarkt in Herford aufzuwerten, zu verändern. Und es ist schön, dass alle sagen: mehr davon! Auch hier ist es wieder schwer messbar, was das Herford bringt. Aber so etwas trägt - wie auch ein mögliches OWL-Forum - zum guten Image bei, dazu, wie Menschen über eine Stadt erzählen. So etwas ist auch Wirtschaftsförderung. Und es hat eben jede Menge Freude bereitet. Ebenfalls ein Standortfaktor: die Innenstadt. Was kann die Stadt hier noch tun, um die Leerstände zu vermeiden? Wir müssen akzeptieren, dass sich das Nachfrage-Verhalten der Menschen ändert. Dadurch müssen die meisten Innenstädte Deutschlands - auch Herford - einem Strukturwandel begegnen. Die Innenstädte werden sich mehr in Richtung Wohnen und Leben entwickeln und weniger in Richtung Einkaufen. Dadurch ergeben sich auch immer weniger Existenzmöglichkeiten für den Einzelhandel. Wir haben in Herford jetzt und in Zukunft zu viel Einzelhandelsfläche, was mich nicht freut. Und wir werden sehen, dass nicht alles so bleibt, wie es war. Als Stadt haben wir alles versucht. Wir haben die Innenstadt saniert, Veranstaltungen aufgelegt, Konzepte zur Leerstandsbespielung umgesetzt. Dass es in den Innenstädten schwieriger wird, liegt auch nicht daran, ob 60 Cent oder ein Euro fürs Parken zu zahlen sind. Was sind aus Ihrer Sicht die fünf größten Herausforderungen für das Jahr 2024? Die Wohnraumentwicklung, angemessen für jedes Portemonnaie, die Planbarkeit und Bezahlbarkeit von Energie, die Verkehrswende weiter voranzutreiben, die Stadtentwicklung in der Innenstadt auf dem Janup und auch auf dem Stiftberg. Und als letztes: Die weitere Entwicklung der Wirtschaft. Denn die ökonomische Zukunft ist die Basis von allem. Und zum guten Abschluss: Worüber haben Sie sich im Jahr 2023 am meisten gefreut? Das ist noch nicht lange her. Das war im Dezember jeden Tag der Flug des Weihnachtsmannes in seinem beleuchteten Rentierschlitten - direkt an meinem Bürofenster vorbei.

Meistgelesen