Reiseführer führt in die Irre: Ein Besuch in Herford, "im Lippischen Land"

Urlaubszeit ist Zeit der Reiseführer. Man will ja schließlich nichts verpassen am Ziel. Aber auch in der Heimat gibt es immer wieder etwas zu entdecken. So habe ich kürzlich in einem aktuellen Bildatlas &bdquo;Teutoburger Wald“ geschmökert und bin in den Kapiteln &bdquo;Kaufleute, Kunst, Kuren“ und &bdquo;Auf den Spuren der Hanse“ auf Herford im Wittekindsland gestoßen. Erfreut ob der zu erwartenden Touristenströme habe ich genauer nachgelesen – und mich an der einen oder anderen Stelle gewundert. So ist nach Meinung der Autorin das Museum Marta als eines der wichtigsten Kunstmuseen der Region Teutoburger Wald &bdquo;der schönste Grund, um Herford zu besuchen“. Da mag ich nicht rundheraus widersprechen, denn es bedeutet ja auch, dass es noch andere schöne Gründe gibt, in die Stadt zu reisen. Die Gehry-Architektur sei als &bdquo;westfälische Interpretation des Guggenheim-Museums in Bilbao“ in Backstein mit silbernen Akzenten möglicherweise ein größerer Besuchermagnet, als die zeitgenössischen Ausstellungen, &bdquo;die das Haus immer wieder für sich gewinnen kann“, heißt es. Das wird das Marta-Team, das die meisten Schauen ja selbst erarbeitet, enttäuschen. Vielleicht liegt es ja daran, dass die im Reiseführer genannte Idee eines &bdquo;Schwerpunktes Architektur und Design, hier insbesondere Möbel“ nie wirklich verfolgt wurde. Die Marta-Freunde seien getröstet, denn &bdquo;das Kunstmuseum ist inzwischen zur festen Größe im Lippischen Land geworden“. Nanu, gehört Herford jetzt zum Nachbarkreis? Wo ist wohl die heiße Quelle im H2O? &bdquo;Dass Kunst nicht immer einen so großen Rahmen braucht und mitunter auch in einem kleinen Fachwerkhaus gut aufgehoben sein kann, beweist die benachbarte Stadt Halle“, meint die Autorin. Tja, so hätte Herford also viel Geld sparen können, wenn das Museum Marta statt in einen futuristischen Neubau in westfälisches Fachwerk gezogen wäre. Da muss ich zur Entspannung erst einmal in die &bdquo;Thermenlandschaft H2O“ eintauchen und dort nach der heißen Quelle suchen, die es in einer Therme ja geben müsste. (Leider muss das H2O-Wasser von den Stadtwerken teuer beheizt werden). Dann unternehme ich eine &bdquo;entspannte Kanutour in die nächste Stadt“ – die Paddeltouren auf der Werre werden tatsächlich verlockend beschrieben, auch wenn es mit der nächsten Stadt schwierig wird. Oder ich freue mich auf das Hoeker-Fest, das &bdquo;im August gefeiert wird“. Doch Achtung: Wir haben unser Stadtfest 2023 schon gefeiert, denn der Termin wandert – je nach Lage von Sommerferien und Großereignissen. Auch als &bdquo;Outletzone“ und &bdquo;Stadt des Designs“ wird Herford im Reiseführer angepriesen, und tatsächlich unterhalten die Bekleidungsunternehmen Ahlers, Brax und Bugatti ja ihre Fabrikverkäufe, die Menschen auch von weither anziehen. &bdquo;In der Leinenmanufaktur der Stadt werden längst keine Textilien mehr gefertigt“, heißt es aber im Reiseführer. &bdquo;Während nun die Hosen und Hemden der Herforder Marken zumeist in Fernost genäht werden, hat sich in der Fabrikationshalle ein Theaterpädagogisches Zentrum etabliert, das Kinder, Jugendliche und Erwachsene lockt“. Gemeint ist wohl der Anbau am Frühherrenhaus, der Mitte des 19. Jahrhunderts als Trockenboden und Lagerraum des Herforder Leinenvereins gebaut worden war. Tatsächlich ist hier seit einigen Jahren unter dem Namen &bdquo;Manufactur“ ein 120 Quadratmeter großer Trainingsraum für Theater-Workshops untergebracht. Hosen wurden hier nie geschneidert. Leinen wurde wohl im Frühherrenhaus selbst einmal gewebt. Auf der Suche nach Otto und Pierre &bdquo;Und doch ist etwas von der alten Tradition geblieben“, heißt es weiter. &bdquo;Wer nach Herford reist, kommt oft, um in den Outlets ein Schnäppchen zu machen, etwa bei Otto Kern und Pierre Cardin, die bis heute ihren Sitz in der Stadt haben.“ Schade, ich habe Otto und Pierre noch nie in der Stadt getroffen. Mag daran liegen, dass es nur Markennamen sind, die sich die Ahlers AG gesichert hatte. Als &bdquo;Kuriosum“ sieht der Bildatlas das Siebensonnenfenster an der Südseite der Münsterkirche: &bdquo;Nimmt es auf christliche Legenden Bezug oder ist es ein heidnisches Symbol?“ Laut Homepage der Gemeinde legten &bdquo;sieben Sonnen auf das Gebet der Herforder hin den (heidnischen) Sumpf trocken, so dass das Münster gebaut werden konnte“. Die sieben Sonnen stehen für Christus und die für Herford zuständigen Heiligen: Maria, Pusinna, Waltger, Oswald, Kilian und Burghard. Gott sei Dank: Haben die Stiftsdamen also doch kein heidnisches Symbol in ihre Kirche einbauen lassen. Prächtiger als das neobarocke Rathaus ist laut Reiseführer das Neustädter Rathaus im Stil der Weserrenaissance. In der Brüderstraße, Am Holland und am Neuen Markt stehen &bdquo;noch schöne Bauten“. Die Fachwerkhäuser am Holland, Remensniderhaus in der Brüderstraße und das Wulferthaus sind ohne Frage sehenswert bis einzigartig. Bei aller Irritation im Detail also: Touristen mögen sich von den schönen Fotos und den wohlmeinenden Texten durchaus in die Stadt locken lassen. Da sollten sie dann aber an einer tatsächlich orts- und geschichtskundigen Stadtführung teilnehmen.

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