Herford/Enger/Bielefeld Nur die Schlussvorträge fehlten: Prozess um Psychiatrie-Patienten geplatzt

Herford/Enger/Bielefeld. Eigentlich wollte die Kammer nur noch die Schlussvorträge entgegennehmen, bevor sie sich zur Urteilsberatung zurückzieht. Doch es kam anders: Wegen der Corona-Infektion einer Schöffin ist der Prozess gegen einen 40-jährigen Mann aus Herford, der einen Bekannten mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt hatte, nun geplatzt. Die zulässige Frist zwischen zwei Verhandlungstagen war überschritten. Seit dem 25. Juli musste sich Niko D. (Namen aller Betroffenen geändert) vor der I. Großen Strafkammer des Bielefelder Landgerichts verantworten. In der mehrtägigen Hauptverhandlung hatte er ausführlich über seine Krankengeschichte und auch darüber, was am 26. Januar dieses Jahrs auf einem Feldweg in Enger geschehen war, berichtet. Niko D. leidet seit etlichen Jahren an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie. Immer mal wieder befand er sich freiwillig in stationärer Behandlung, so auch im Januar dieses Jahrs. Als er in der Herforder Klinik jedoch zunehmend aggressiv auftrat, ordnete das Amtsgericht die vorläufige Unterbringung des Manns in einer geschlossenen Abteilung an. Allerdings mochte Niko D. in seiner damaligen Wahn-Welt nicht mitspielen und entwich am Folgetag über einen Zaun. Opfer wurde durch Notoperation gerettet Er ließ sich von einer Freundin zu seinem Bekannten Oskar S. nach Enger fahren. Der 50-jährige Freund wolle ihn, so die Vorstellung von D., nämlich vergiften. Er überredete S. zu einem Spaziergang. Auf einem Feldweg stach er plötzlich mit einem Messer auf S. ein. Dieser wurde durch eine Notoperation gerettet. Aufgrund seiner Erkrankung kann Niko D. für diese Tat strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden, da er im Zustand der Schuldunfähigkeit handelte. Die I. Große Strafkammer unter dem Vorsitz von Richter Georg Zimmermann hätte nun darüber befinden sollen, ob D. unbefristet in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden müsse. Doch ist diese Entscheidung nun vertagt: Aufgrund einer Corona-Infektion einer Schöffin konnte die Verhandlung nicht wie geplant fortgesetzt werden. Eine Hauptverhandlung darf maximal drei Wochen lang unterbrochen werden, diese Frist war ausgereizt. Besonders ärgerlich: Während der ersten beiden Jahre der Corona-Pandemie war die zulässige Unterbrechungsdauer vom Justizministerium verlängert worden. Diese Regelung war Ende Juni jedoch ausgelaufen, sehr zum Verdruss zahlreicher Juristen. "Wir im Gerichtssaal müssen das letztlich ausbaden" Denn auch im vorliegenden Fall muss der Prozess trotz bereits vollständig durchgeführter Beweisaufnahme vollständig neu aufgerollt werden. "Eine absolute Fehlentscheidung, da haben zu wenig Praktiker dran mitgewirkt", sagt Rechtsanwalt Christian Thüner, der Niko D. vor Gericht vertritt: "Ich bin mir der Bedeutung derartiger Regelungen durchaus bewusst, aber in Ausnahmesituationen wie der Corona-Pandemie ist ein starres Festhalten daran nicht sinnvoll. Wir im Gerichtssaal müssen das letztlich ausbaden." Und damit bezieht sich Thüner nicht nur auf die Juristen: Auch sein Mandant sei nun völlig verzweifelt, habe dieser doch eine Entscheidung herbeigewünscht. "Dem musste ich erstmal das ganze System erklären und ihm Mut machen", sagte Thüner. Als Termin für den Neustart gab Landgerichtssprecher Guiskard Eisenberg nun den 27. Oktober bekannt.

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