Im Wahn auf Bekannten eingestochen: Beschuldigter schildert Tat vor Gericht

Herford/Enger/Bielefeld. Diese Tat wäre sicherlich zu verhindern gewesen - wenn die geschlossene Abteilung der Psychiatrischen Klinik in Herford es ihren Patienten schwerer gemacht hätte, das Gelände eigenmächtig zu verlassen. Spätestens am 26. Januar dieses Jahrs wurde besagte Station 5 zum Politikum. An jenem Tag nämlich stach ein Patient der Klinik auf einem Feldweg in Enger mit einem Messer auf einen Bekannten ein und verletzte diesen lebensgefährlich - wenige Stunden, nachdem er sich selber über einen Zaun aus der Klinik entlassen hatte. Nun muss sich der 40-Jährige wegen dieser Tat vor dem Bielefelder Landgericht verantworten. Die I. Große Strafkammer wird am Ende der Verhandlung über eine unbefristete Unterbringung des Herforders in einem psychiatrischen Krankenhaus befinden. Vor Gericht wirkt Niko D. (Namen aller Betroffenen geändert) absolut aufgeräumt, artikuliert sich klar, reflektiert und durchaus auch selbstkritisch. Kein Vergleich zu jenem Zustand, in dem er sich im Januar dieses Jahrs befunden haben muss. Vor Gericht schilderte der 40-Jährige, der unter einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidet, nun seine Krankengeschichte. Demnach weist er bereits seit seinem 15. Lebensjahr psychische Auffälligkeiten auf, die Diagnose erfolgte dann etwa elf Jahre später. Mann gleitet immer mehr in eigene Lebenswelt ab Seither befand sich D. etliche Male freiwillig in stationärer Behandlung, war die meiste Zeit medikamentös eingestellt. Dies änderte sich 2018, als bei ihm ein Aortenaneurysma festgestellt wurde. Niko D. gab den Medikamenten die Schuld an diesem Befund und setzte sie ab - mit verheerenden Folgen. Zwar hatte D. zunächst das Gefühl, wieder klarer Denken zu können, doch glitt er immer weiter in seine eigene Lebenswelt ab. Als er eines Tags seinen Bekannten Oskar S. in Enger besuchte, passierte auf einmal etwas im Kopf des Manns. Er steigerte sich in die fixe Idee hinein, sein Freund wolle ihn vergiften. Auch die Luft, die er im Haus des 52-Jährigen einatme, sei bereits vergiftet. Somit sei er, Niko D., nunmehr ebenfalls kontaminiert und infektiös. Dieser Gedanke ließ ihm in den Folgetagen keine Ruhe. Schließlich begab sich D. abermals freiwillig in stationäre Behandlung. Da er dort jedoch zunehmend aggressiv auftrat, schaltete seine behandelnde Ärztin das Amtsgericht Minden ein. Dieses ordnete am 25. Januar dieses Jahres die vorläufige Unterbringung des Manns auf einer geschlossenen Station an. D. entweicht über den Zaun der Klinik Doch war diese offenbar nicht ganz so geschlossen wie es der Name suggeriert: Am Folgetag entwich D. über den Zaun der Klinik. Er suchte eine Freundin auf und ließ sich von ihr zu Oskar S. nach Enger fahren. Zuvor hatte er aus der Küche der Frau ein Messer mitgenommen. "Bei Oskar bin ich erst mal etwa eine Stunde vor dem Haus herumgetigert", berichtete D. nun vor Gericht. Als er schließlich doch anklopfte, bat S. ihn mehrfach herein - ein Angebot, dass D. wegen der vermeintlichen Vergiftungsgefahr jedoch ebenso oft ablehnte. Schließlich überredete er seinen Freund zu einem gemeinsamen Spaziergang. Offenbar redete D. jedoch derart krudes Zeug, dass Oskar S. sich schließlich veranlasst sah, die Mutter seines Freundes zu informieren. Als er mit dieser telefonierte, sah Niko D. in einem akuten Wahn nicht mehr nur sich selbst, sondern nun auch noch seine Familie bedroht. Auf einem Feldweg stach D. schließlich mindestens zweimal auf den 52-Jährigen ein. Er traf ihn am linken Oberschenkel und im rechten Thorax. Das Messer durchbohrte die Lunge des Angegriffenen, es bestand akute Lebensgefahr. Doch gelang es S. noch, sich in das in der Nähe stehende Auto von zwei Zeugen zu flüchten. Diese verständigten die Polizei, die Niko D. kurz darauf festnahm. Oskar S. wurde durch eine Notoperation gerettet. Verdacht des versuchten Totschlags Nun muss sich Niko D. wegen des Verdachts des versuchten Totschlags vor dem Landgericht verantworten. Da er krankheitsbedingt zur Tatzeit schuldunfähig gewesen sein dürfte, betreibt die Staatsanwaltschaft seine unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Das Geschehen tue seinem Mandanten schrecklich leid, stellte Verteidiger Christian Thüner bereits zu Beginn der Verhandlung vor dem Landgericht klar. In der Folge zeigte sich Niko D. krankheitseinsichtig: "Ja, ich bin krank, und ich brauche Behandlung. Ich werde nie wieder den Fehler machen und meine Medikamente eigenmächtig absetzen. Allerdings, und hier erhob er deutliche Vorwürfe gegen die Herforder Klinik, wäre das alles nicht passiert, hätte man richtig auf ihn aufgepasst: "Ich musste nur einen Tisch an den Zaun stellen und drüber springen." Da auf diese Weise bereits zahlreiche Patienten - auch noch nach der Tat vom 26. Januar - aus dem Außenbereich der Station 5 entkommen sind, richtete Rechtsanwalt Thüner ein Schreiben an die Bezirksregierung, später dann an das zuständige Ministerium der Landesregierung. "Dort sieht man, anders als bei der Bezirksregierung, die Notwendigkeit baulicher Veränderungen", sagte Thüner nun vor Gericht. Die Verhandlung wird am 8. August fortgesetzt.

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