Verstümmelte Genitalien: Grausame Tradition hat auch im Kreis Folgen

Kreis Herford. Sie haben häufig ihr Leben lang mit den gesundheitlichen Folgen zu kämpfen und sind nicht selten traumatisiert: Frauen, die als kleine Mädchen "beschnitten" wurden. Beschneidung ist das Wort, das in den Kulturen benutzt wird, in denen die teilweise oder vollständige Amputation beziehungsweise Beschädigung der äußeren weiblichen Geschlechtsorgane praktiziert wird. Die Praktiken werden von den Ausübenden überwiegend aus der Tradition heraus begründet. Nicht nur die Herforder Städtegruppe von "Terre des Femmes" nutzt dagegen das Wort "Genitalverstümmelung". " Aus Rücksicht auf die Betroffenen, die sich davor scheuen, sich selbst als verstümmelt zu bezeichnen, ist die Verwendung des Wortes Beschneidung zwar manchmal angemessen, es trifft aber in keinster Weise die Brutalität und Diskriminierung, denen Betroffene ausgesetzt sind", so Ella Kraft von Terre des Femmes Herford. Am 6. Februar war der internationale Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung. In der Folge machten auch die Frauen aus dem Kreis Herford auf dieses Thema aufmerksam, das häufig in einer Tabuzone verschwindet. "Und das, obwohl es keinesfalls weit weg ist, sondern - verstärkt durch die Flüchtlingsbewegungen der vergangenen Jahre - längst bei uns im Kreis Herford angekommen", so Kraft. Auch im Klinikum Herford zunehmend betroffene Frauen Das bestätigt auch Claudia Hippert, Assistenzärztin der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Herforder Klinikum auf NW-Anfrage. "Im Klinikum Herford sehen wir zunehmend Frauen mit genitaler Verstümmelung. Es gibt Fälle, in denen Patientinnen die Sprechstunde aufgrund massiver Beschwerden zur Planung einer operativen Korrektur aufsuchen. Häufig sind Schmerzen, Menstruationsstörungen, Probleme beim Wasserlassen oder chronische Entzündungen, die bis zur Unfruchtbarkeit führen können, Teil des Beschwerdekomplexes." Die Mitglieder der Herforder Städtegruppe von Terre des Femmes, die im September 2019 gegründet wurde, kommen alle aus Bereichen der Frauen- und Mädchenarbeit. Viele von ihnen sind bereits im Ruhestand und haben zuvor beispielsweise im Frauenhaus Herford gearbeitet, bringen deshalb also größtmögliche Erfahrung mit. "Neben den körperlichen Folgen der Genitalverstümmelung wiegen auch die seelischen Folgen schwer", weiß Marita Brink-Stucht. Die Mädchen, die häufig vor dem 15. Lebensjahr Opfer der grausamen Tradition würden, erlebten ein Trauma, da die Praxis ja meist im vertrautesten, vermeintlich geschütztesten Raum - innerhalb der Familie - stattfinde. "Da halten Mütter oder Tanten das Mädchen in den Armen, während es passiert." Vor allem vor Geburten muss operativ eingegriffen werden Auch Claudia Hippert vom Klinikum bestätigt das: "Die seelischen Folgen des körperlichen Traumas sind unabsehbar und wegen der soziokulturellen Unterschiede und zum Teil auch aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten oftmals schwer einzuschätzen", so die Assistenzärztin. Allerdings würde häufig von posttraumatische Belastungsstörungen mit wiederkehrenden Angstzuständen berichtet. "Der Umgang mit den Patientinnen bedarf großer Vorsicht und Behutsamkeit", so Hippert weiter. Oft sei den betroffenen Frauen gar nicht bewusst, dass ihre Beschwerden mit der Genitalverstümmelung in Zusammenhang stünden."Auf Wunsch der Patientinnen kann eine operative Korrektur erfolgen", so Hippert. Während dieses operativen Eingriffs, der auch in Lokalanästhesie stattfinden kann, werden die Vernarbungen und Verklebungen der Schamlippen durchtrennt und der Scheideneingang somit wiedereröffnet. "Vor allem vor einer Geburt ist diese Maßnahme unumgänglich, um ein unkontrolliertes Zerreißen vermeiden zu können", so die Ärztin.20.000 junge Frauen sind in Deutschland bedroht, 75.000 betroffen Insgesamt leben weltweit schätzungsweise 200 Millionen Mädchen und Frauen mit verstümmelten Genitalien in etwa 30 Ländern, so die Organisation Terre des Femmes. Neben den Kulturen des westlichen und nordöstlichen Afrikas ist die Praxis, die international als Female Genital Mutilation (FGM) bezeichnet wird, auch im Jemen, im Irak, dem nördlichen Saudi-Arabien und dem südlichen Jordanien, bei Beduinen in Israel, in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder bei muslimischen Bevölkerungsgruppen in Malaysia und in Indonesien verbreitet. "Das sind Kulturen, in denen zutiefst patriarchale Strukturen verankert sind", erklärt Marita Brink-Stucht. "Und überall dort, wo Flüchtlingsthematiken eine Rolle spielen - also auch bei uns - taucht dieses Thema dann plötzlich auch auf." So gebe es nach Angaben von Terre des Femmes in Deutschland 75.000 Betroffene sowie 20.000 junge Frauen und Mädchen, die in Deutschland von Genitalverstümmelung bedroht seien. Terre des Femmes: Das Thema muss dringend aus der Tabuzone In unserer Gesellschaft, im öffentlichen Raum sowie in der Politik werde diesem Thema zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, so die Herforderinnen von Terre des Femmes. "Es fehlt an grundlegenden Kenntnissen, an Fachkräften und spezialisierten Anlauf- und Beratungsstellen", so Ella Kraft. Und Brigitte Sundermann ergänzt: "Wir mussten mit Schrecken feststellen, an welchem Punkt wir uns im Kreis Herford befinden." Wichtig sei es vor allem, das Thema aus der Tabuzone herauszuholen. "Wenn wir mehr aufklären und Präventionsarbeit leisten, besteht auch die Möglichkeit, dass sich beispielsweise Männer aus den betroffenen Kulturen angesprochen fühlen, die selbst oft keine Kenntnisse darüber haben, welche Folgen die Praxis für die Frauen hat, die sie lieben", betont Marita Brink-Stucht. "Traditionen werden eben oftmals nicht in Frage gestellt." Im Herbst dieses Jahres plant die Herforder Terre des Femmes-Gruppe eine Fachtagung zum Thema weibliche Genitalverstümmelung. Die Gruppe trifft sich immer am ersten Donnerstag im Monat in der Volkshochschule. Weitere Informationen und Kontaktaufnahme unter www.frauenrechte.de und unter herford@frauenrechte.org

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