Staatsanwalt fordert den Kopf des Bürgermeister-Mörders

Herford/Heidelberg. Vor 100 Jahren löste in Herford eine beispiellose Bluttat am Stadtoberhaupt Entsetzen und Trauer aus. "Es ist nunmehr zur unfaßbaren Gewissheit geworden, daß unser allseitig geschätzter Herr Oberbürgermeister Wilhelm Busse sein friedfertiges Leben durch ruchlose Mörderhand lassen mußte", schrieb zwei Wochen nach der am Mittwoch, 29. Juni 1921, in Heidelberg verübten Tat eine Herforder Lokalzeitung. "Wohl nie hat eine Trauerkunde solch allgemeinen Schmerz in den Herzen der Bevölkerung einer Stadt ausgelöst wie diese." Mit Busse starb der damals in Heidelberg lebende Leopold Werner, der bis 1919 Zweiter Bürgermeister in Herford gewesen war. Beide waren zusammen im Wald am Pfalzgrafenstein spazieren und Zufallsopfer des Täters geworden. Einer der ersten Indizienprozesse in Deutschland Es gab keine unmittelbaren Zeugen des Kapitalverbrechens. Der Täter, der Eisenbahnschmied Leonhard Siefert aus dem Odenwald, wurde im Januar 1922 aber in einem der ersten in Deutschland geführten Indizienprozesse von einem Schwurgericht für schuldig befunden. Man verurteilte den 26-Jährigen zweifach zum Tode durch das Fallbeil. Das Verbrechen löste auch in Heidelberg Furcht und Entsetzen aus. In Erinnerung an die Ermordeten wurden an der Fundstelle Gedenksteine aufgestellt. Und es gibt seit 2004 den in Herford noch wenig bekannten Kriminalroman "Heidelberger Mordsteine" aus der Feder von Thomas Schnepf. Seine berufliche Laufbahn hat Schnepf nach dem Studium in Frankfurt und Heidelberg bis zum Bundesgerichtshof und auf den Posten des Vizepräsidenten am Oberlandesgericht Karlsruhe geführt. Inzwischen ist der Jurist Richter im Ruhestand und lebt in Mannheim. "Ich weiß, über was ich schreibe", sagt der 72-Jährige. Der Verein für Herforder Geschichte hatte den Autor jetzt zu einer Lesung nach Herford eingeladen. Schnepf nutzte die Gelegenheit, sich von Stadtführer Mathias Polster das noch vorhandene Grab Busses und das Herforder Rathaus mit dem Portrait Busses zeigen zu lassen. Romanautor musste selbst Mörder verurteilen Schnepf war selbst Mitte der 1990er Jahre beim Spaziergang mit einem Freund in besagtem Wald unterwegs, als sie auf die "Mordsteine" oder auch "Bürgermeistermordsteine" stießen. Der Freund konnte ihm die Geschichte des Mordes und des Prozesses in Grundzügen erzählen. Schnepf hat selbst als junger Strafrichter in Mannheim Mörder verurteilen müssen. "Das macht keinen Spaß", sagt er. Spaß hat er aber daran gefunden, die Polizei- und Gerichtsakten, die sich in Details widersprechenden Zeitungsberichte zu dem spektakulären Prozess sowie das Tagebuch des Pfarrers des Täters zu studieren. Der Richter i.R. kommt zu dem Schluss, dass der Angeklagte zurecht verurteilt wurde. "Wir verlangen den Kopf Sieferts" Eine Herforder Tageszeitung hatte damals zum Prozess einen "Sonderberichterstatter" entsendet, der per "Privattelegramm" aktuell auf dem Titel berichtete. Oberstaatsanwalt Sebold wird da zitiert mit seiner Begründung der Anklage. Der Täter sei ein krasser Egoist mit starken Nerven und einer verbrecherischen Energie, heißt es da, unterstützt von hoher Intelligenz und großer Verschlagenheit. Und weiter: "Meine Herren Geschworenen. Wir verlangen den Kopf Sieferts von Ihnen." Er könne sonst durch Begnadigung oder andere Umstände in diesen politisch turbulenten Zeiten einmal die Freiheit wiedererlangen. Wenn er sich dann an die Spitze einer Bande stelle, dann könne man einen Schinderhannes oder Hölz in neuer Auflage erleben. Wurde aus politischen Gründen verschleiert? Fasziniert haben den Juristen Parallelen zur Gegenwart in der öffentlichen Wahrnehmung des Prozesses: "Es gab viele falsche Gerüchte über die Morde im Badischen. Sie wurden verbreitet von spiritistischen Kreisen und anderen. Es hieß, der Bahnarbeiter, der nie die Tat gestanden hat, sei nur ein Bauernopfer und der wahre Täter solle aus politischen Gründen von der Obrigkeit geschützt werden." Nach anderer Lesart aus Arbeiterkreisen war er ein unbequemer Kommunist. Die Staatsanwaltschaft hat einen Sonderband für diese "Spinnereien" angelegt. Thomas Schnepf sieht sich darin an die heutige Querdenkerszene mit ihren Verschwörungstheorien erinnert. Nach sieben bis acht Jahren Recherche begann Schnepf, seinen ersten Roman zu schreiben. Der Autor hat die dokumentarisch-romanhafte Darstellung des Prozesses in eine Rahmenhandlung mit viel "Sex and Crime" eingebettet. Es geht um einen Richter in der Midlife-Krise, der, ähnlich wie es Schnepf tatsächlich getan hat, den alten Fall noch einmal aufarbeiten will. Er bekommt es mit angeheuerten Schlägern zu tun, die das verhindern sollen. Eine Rolle spielt auch eine schöne Frau, deren Reizen der erdachte Richter erliegt. Lesenswerter ist aber die lebendige und authentischen Beschreibung des Prozesses selbst. Der Leser fühlt sich als Augenzeuge der Verhandlung und bekommt ein umfassendes Bild von Täter, Zeit- und Tatumständen. "Der Täter wurde zurecht verurteilt" Der Jurist Schnepf kommt zu dem Ergebnis, dass der Prozess von seinen Vorgängern im Richterstuhl vor demnächst 100 Jahren sauber geführt und Siefert zurecht verurteilt wurde. Besonders die Plädoyers haben ihm imponiert, obwohl sie aus heutiger Sicht wohl nicht immer als "politisch korrekt" bewertet würden. "Die Fingerabdruck-Kunde war damals neu", weiß Schnepf. Was damals noch fehlte, war ein Register, um die Spuren mit denen bekannter Straftäter abzugleichen. Doch Sieferts Fingerabdrücke fanden sich an der Tatwaffe, einem Militärkarabiner, mit dem er aus einem Versteck geschossen und Busse in die linke Brust getroffen hatte. Leopold Werner wurde vom Täter verfehlt aber dann mit dem Gewehr erschlagen. Wie waren die Opfer in den Wald gekommen? Der 1871 in Detmold geborene Busse hatte in Heidelberg und Berlin Jura studiert. Seiner schlagenden Verbindung, dem Corps Vandalia, blieb er verbunden. So traf er sich nach einem Aufenthalt in Stuttgart mit dem früheren Herforder Zweiten Bürgermeister Werner in der Stadt am Neckar. Auf einem Spaziergang verschwanden sie spurlos. Die Leichen waren erst 14 Tage nach der Tat von Angehörigen ihrer Burschenschaft in erschreckendem Zustand unter Steinen und Schutt gefunden worden. Ein Zimmermädchen brachte den entscheidenden Hinweis Die Polizei hatte da schon den Bahnarbeiter verhaftet, bei dem auf Hinweis des Zimmermädchens eines Gasthauses ein Brief Busses und blutverschmierte Wertgegenstände der Ermordeten gefunden wurden. Ein Raubmord schien offenkundig. Am 14. Juli 1921 wurde Busses Leiche überführt, im Rathaus mit Ehrenformation aufgebahrt und zwei Tage später begraben. "Am frühen Morgen des 29. Juli 1922 wird Leonhard Siefert im Hof der Männerzuchtanstalt Bruchsal auf dem Schafott hingerichtet", resümiert Thomas Schnepf auf dem Buchdeckel seines Romans. Der Band aus der Reihe "Der historische Fall" ist derzeit vergriffen, soll aber bald in zweiter Auflage im Kehl-Verlag erscheinen. Wilhelm Busses Wirken Wer war Wilhelm Busse? Die NW ist dem nachgegangen, als sich der Mord zum 90. Mal jährte. Busse war demnach damals einer der profilierten Politiker Herfords: 29-jährig am 1. Februar 1900 zum Zweiten Bürgermeister gewählt, acht Jahre später zum Oberbürgermeister befördert. Als Mitglied der Nationalliberalen vertrat er den Wahlkreis Herford-Stadt von 1911 bis 1919 im preußischen Provinziallandtag. In seine Amtszeit fiel der Neubau des Rathauses mitten im Ersten Weltkrieg. Schon vorher war er mitverantwortlich für den Ausbau des Schulwesens in den Jahren nach 1900 gewesen. Busse und insbesondere Leopold Werner haben sich im Krieg (1914 bis 1918) um die Organisation von Lebensmitteln verdient gemacht, so heißt es in einer Würdigung. "Seinem zielbewußten Verhalten ist es in erster Linie zu verdanken, daß unsere Stadt von den schweren Erschütterungen, welche den Ausgang des Krieges mit sich brachte, fast völlig verschont blieb", schrieb die Lokalzeitung vor 100 Jahren.

Meistgelesen