60 Jahre in Herford: Vom Gastarbeiter zum Gastwirt

Herford. Liebe. Das war das erste deutsche Wort, dass Carmine Ciraci wissen wollte, als er mit gerade mal 19 Jahren nach Herford kam. Die Reise, die sein Leben verändern sollte, hat drei Tage lang gedauert. Vom kleinen Dörfchen Ceglie Messapica im Süden Italiens ging es über Verona nach Deutschland. "Ich kam direkt nach Herford", sagt Ciraci. Und hier hat er dann auch seine Liebe gefunden. Mit seiner Frau Lucia ist Carmine Ciraci seit mehr als 50 Jahren verheiratet. Alles nahm seinen Anfang, als Ciraci heute vor 60 Jahren als Gastarbeiter in die Hansestadt auswanderte. Am 18. Juni 1961 machte sich Carmine Ciraci auf. Im Gepäck viel Abenteuerlust, aber keine deutschen Wörter. "Ich kannte kein einziges Wort", erinnert er sich und lacht. Als Gastarbeiter holte das Unternehmen Stiegelmeyer Ciraci nach Herford. Sein Cousin war bereits vor Ort. "Ich habe dort dann als Schweißer angefangen", sagt der heute 79-Jährige. 13 Jahre lang hat er bei dem Familienunternehmen gearbeitet, das als deutscher Marktführer bei Betten für Krankenhäuser und Pflegeheime gilt. 1965 lebten in Herford 317 Italiener Neben seiner Arbeit bei Stiegelmeyer verdiente er sich Geld als Platzanweiser im Kino hinzu und boxte. "Mit dem Boxen habe ich erst hier in Deutschland angefangen", sagt er und zeigt auf ein Foto, das wohl 1963 entstand. Der junge Italiener verpasst darauf seinem Gegner aus Kassel einen ordentlichen Schlag ins Gesicht. In den Ring gestiegen ist er damals für Bielefeld. Anfang der 1960er Jahre boomte die Wirtschaft in Ostwestfalen und das Herforder Arbeitsamt hat seine Fühler bis nach Italien ausgestreckt. Im Historischen Jahrbuch für den Kreis Herford 2017 gibt es einen eigenen Beitrag zu den Italienern in Herford. Alberto Palladini hat sich mit der Entwicklung der italienischen Gemeinschaft nach dem Anwerbeabkommen 1955 beschäftigt. Demnach wurden im April 1962 vom Arbeitsamt Herford 245 fremde Arbeitskräfte angefordert. 160 Italiener waren darunter, schreibt Palladini. Die Gastarbeitergemeinschaft aus Italien wuchs immer weiter. 1965 lebten in der Hansestadt bereits 317 Italiener. Es war nach den Griechen (362) die größte Gruppe. So kam nicht nur Carmine Ciraci in die Hansestadt, sondern auch seine zukünftige Ehefrau Lucia. Sie arbeitete als Näherin bei Ahlers. "Sie hat mir immer den Rücken frei gehalten" Beide stammen aus derselben Region ihres Heimatlandes. "Wir kannten uns schon als Kinder", erinnern sie sich. Doch lieben gelernt haben sie sich erst in ihren zweiten Heimat Herford - und zwar in der Eisdiele - einer italienisch geführten natürlich. "Die Eisdiele Mosena am Lübbertorwall war unser Treffpunkt", sagt Lucia Carmine. Hier kam die italienische Community stets zusammen. Wenige Jahre später sorgten die mittlerweile verheirateten Liebenden für einen eigenen Treffpunkt. Carmine Ciraci hängte seinen Job bei Stiegelmeyer an den Haken und machte sich selbstständig. Erst übernahm er die Gaststätte Bürgerstübchen, später machte er aus dem "Töff-Töff" das "Bei Carmine". Seine Frau unterstützte ihn in allen Belangen. "Sie hat mir immer den Rücken frei gehalten. Ich habe keine Tage bereut", sagt er und blickt seine Lucia verliebt in die Augen. 30 Jahre lang, von 1974 bis 2004, stand Ciraci am Zapfhahn. Wurde in Herford bekannt wie ein bunter Hund. Er liebte seinen Job. Die Gastwirtfähigkeiten schienen ihm im Blut zu liegen. "Meine ganze Familie ist in der Branche." Seine Mutter war einst Marktschreierin. Da lag der Jobwechsel vom Schweißer zum Wirt also nah. Neben der Arbeit hat das Paar drei Kinder bekommen. Mittlerweile haben sie drei Enkelkinder und genießen die freie Zeit im eigenen Häuschen mitsamt Außenküche und Gemüsebeet. Am 20. August 2019 - kurz nach ihrem Hochzeitstag - ist das Paar einen weiteren Schritt gegangen. "Da haben wir den deutschen Pass bekommen", sagt Ciraci verschmitzt. Denn sein Herz wird immer für beide Länder schlagen. Doch nach Italien zurück, will das Paar nicht. In die Heimat geht es nur noch in den Ferien. Ciraci: "Wir fühlen uns hier wohl, sonst wären wir doch keine Deutschen geworden."

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