Lockdown-Frust: Restaurant "Wohnzimmer" wartet seit Monaten auf Eröffnung

Herford. Noch im Dezember hatte Lars Uhlen halbwegs gelassen auf den zweiten Corona-Lockdown reagiert, der sein neues, mit seinem Sohn Matthias geschaffenes Restaurant "Wohnzimmer" kurz vor der für den 26. November geplanten Eröffnung traf: "Ob wir nun jetzt eröffnen oder in zwei Monaten - wir haben ja noch den Rest der Ewigkeit." Inzwischen zeigt auch er Nerven, seit sich die Aussicht auf die Eröffnung der Gastronomie immer weiter hinausschiebt: "Es ist hart am Limit, das zu ertragen. Der Frust wächst mit dem Lockdown, obwohl ich ihn als gelernter Krankenpfleger richtig und nachvollziehbar finde." Gefühl sagt anderes als der Verstand "Über Monate hat es geheißen, bei einem Inzidenzwert von 50 könne gelockert werden, jetzt heißt es bei 35." Das sei eine kommunikationspolitische Katastrophe, da machten viele Menschen inzwischen dicht. "Man fragt sich, was kommt dann. Alle sagen mit dem Kopf, das ist richtig. Aber man fühlt, es tut weh. Und das darf man auch mal sagen in der Krise", meint der Gründer des zum Konzern gewachsenen Herforder Pflegedienstes Bonitas. Sein auf Gemütlichkeit und Begegnung ausgerichtetes "Wohnzimmer" und die millionenteure Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes mit dem früheren "Schiller" sind ihm Herzensangelegenheit. "Vielleicht können wir im März eröffnen, vielleicht erst Ostern. Dann ist unser Restaurant seit fünf Monaten fertiggestellt", rechnet er enttäuscht vor. Legendär: Party mit Jimi Hendrix Rund 40 Leute um den noch aus den Tagen des "Schiller" bekannten Betriebsleiter Simon Klocke und den neuen Küchenchef Farrokh Okhovat-Esfehani beschäftigt das Wohnzimmer schon seit Monaten. Ninpraha "Nini" Lippert vom Küchenteam hat ihre eigene Beziehung zum geschichtsträchtigen Haus. Die 56-Jährige ist mit dem alten Herforder und weltreisenden Fotografen Bernd Lippert verheiratet. Der heute 73-Jährige lebt und arbeitet seit Jahren überwiegend in Thailand. Er spielte in jungen Jahren in der Herforder Band "The Rags" und 1967 auch als Vorgruppe zu Jimi Hendrix im Jaguar-Club. Mit Hendrix feierte Lippert die After-Show-Party im legendären "Tamburin", das es seinerzeit in dem verwinkelten Eckhaus Schillerstraße/Kurfürstenstraße gab. Gegenüber wohnte er sogar. Nini und Bernd lernten sich in 1994 in Hamburg kennen. Die gebürtige Thailänderin zog mit dem gemeinsamen Sohn der Schule halber vor fünf Jahren aus ihrer Heimat nach Herford. Tausende Flaschen Getränke ausgeschüttet Noch Anfang Januar waren sie und das übrige Küchenteam im Standby-Modus für das für Mitte Februar angekündigte Ende des Lockdowns. Man probierte als kreative Phase immer weiter Rezepturen für die "ostwestfälischen Tapas" und wechselnde Tagesgerichte mit überwiegend regionalen Zutaten aus. Und man testete Arbeitsabläufe im "Raumschiff" - der neuen, hochglänzenden Edelstahlküche mit moderner, für Viren tödlicher Filteranlage. Das ist vorbei. "Wir haben das Gefühl, es macht im Moment keinen Sinn und haben in der Küche wieder aufgehört", sagt Lars Uhlen. "Wenn wir nächste Woche spontan öffnen dürften, wäre unklar, ob wir sofort dabei sein könnten." Das Team musste inzwischen Tausende von Flaschen mit Getränken wie Orangensaft, deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, wegschütten. Uhlen weiß, dass es vielen anderen Gastronomen ähnlich geht und dass viele von ihnen in Existenznot sind: "Sie müssen überleben, wir brauchen die Vielfalt in der Stadt." Entflammt für ungewöhnliche Portraits Ein Lichtblick war unlängst für Lars Uhlen der Besuch des Lübecker Künstlers Rolf Ohst und seiner Galeristin und Lebensgefährtin Anja Es in Herford. Ohst hat die 23 ungewöhnlichen Portraits aus der Serie "Good Morning" für die Wände des Restaurants geschaffen. Uhlen hat Ohsts Kunst 2017 in ihrer Galerie in Timmendorf für sich entdeckt und ist dafür "entflammt". 35 großformatige, fotorealistische Werke hat er inzwischen insgesamt erworben - für seine Wohnung und für das Restaurant. Die Wohnzimmer-Bilder zeigen einzelne, junge und ältere Menschen an einem Tisch, auf dem meist ihr Lieblingsgericht steht. Es sind sie selbst und Freunde und Bekannte der Uhlens zu sehen, die eigens zum Fotoshooting an die Ostsee gefahren sind. Nach den Fotos dieser "interessanten Typen" in teils skuriller Verkleidung - aber vor leerem Teller - hat Ohst die Ölbilder jeweils über ein bis zwei Wochen gemalt. Die Fotos von den Mahlzeiten waren zuvor separat entstanden. Beim Bild von Lars Uhlen war das einfach: Kinderschokolade. "Lars hat einen Super-Geschmack" bescheinigt der 68-jährige Künstler seinem Kunden, nachdem er sich in der Ledergarnitur vor einem der Kaminfeuer niedergelassen hat und den Blick schweifen lässt. Uhlen selbst meint, dass sein Wohnzimmer ohne die Bilder nicht rund sei. Firma gegründet Zur Galerie gehört auch Timo Dieckmann. Er hat bis Ende September beim Herforder Dienstleister Archimedes gearbeitet, der durch einen Rechtsstreit mit dem Großkunden WWN in Schieflage geraten ist. Der 26-jährige Ingenieur hat sich dann im Handwerk selbstständig gemacht und die Firma "Trias GmbH" gegründet. Er hat dafür alle 30 Mitarbeiter aus verschiedenen Gewerken wie Maler, Trockenbauer und Fliesenleger übernommen, die Lars und Matthias Uhlen bis dahin zu Unterhaltung und Sanierung ihrer Gebäude selbst beschäftigt hatten. So arbeiten die Trias-Mitarbeiter sowohl im Gebäudeensemble, in dessen Erdgeschoss sich das "Wohnzimmer" befindet, sondern auch die denkmalgeschützte Villa Jahnstraße 6, die sich Matthias Uhlen sanieren lässt. Dieckmann will sich jetzt dem freien Markt öffnen. Firmensitz soll im Gebäude an der Heidestraße sein, in dem sich noch die Elektrogeräte-Annahme der Recyclingbörse befindet.

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