Gemeinsame Suche nach dem Stern von Bethlehem

Herford. Besonders kalt ist es nicht, aber hier oben am Hang fegt ein ekliger Wind über das Land. Nur gut, dass meine Tochter und ich im Bulli sitzen. Durch die Windschutzscheibe starren wir in den Himmel. Der Horizont leuchtet noch orangefarben, durch die fast schon schwarzen Wolken blinzelt eine weiße Mondsichel, unten in der Stadt funkeln die ersten Lichter. "Papa, ich möchte mal ins Weltall fliegen", sagt die Vierjährige ganz unvermittelt. "Deine Oma besuchen. Und Bob Marley." Eigentlich war der Zweck unseres Ausflugs ein anderer. Wir wollten den Stern von Bethlehem finden. "Stern von Bethelehem?", hatte meine Frau leicht verwundert gefragt. "Ja", hatte ich gesagt. "Oder das, was man heute dafür hält." Ein Hobby-Astronom hatte es mir ein paar Tage zuvor erklärt: Das mutmaßliche Jahr der Geburt Jesu war ein Jahr mit einer sogenannten Großen Konjunktion, also einer extremen Annäherung von Saturn und Jupiter. Die beiden Planeten wirkten dadurch wie einen großer Doppelstern. Das auffällig helle Leuchten am Himmel, so die Vermutung vieler heutiger Astronomen, hat die "Heiligen drei Könige" - wahrscheinlich Sterndeuter aus Babylonien - seinerzeit nach Bethlehem geführt. Saturn und Jupiter - ein Kuss vor Heiligabend Eine Große Konstellation, so hatte mir der Astronom gesagt, gebe es nur alle 20 Jahre, und zur Weihnachtszeit sogar nur alle 100 Jahre. Und in diesem Jahr, so hatte ich anschließend im Internet weiter recherchiert, kommen die Planeten sich so nahe wie seit 1623 nicht mehr. Dolle Sache. Findet ganz offenbar auch meine Tochter: "Ich will mit" ruft sie, als ich am frühen Abend die Jacke anziehe, um mich auf die Suche nach Saturn und Jupiter zu begeben. Wir fahren den Wullbrinkholzweg hinauf. "Ist das der Homberg?", fragt meine Tochter. Ich nicke. Die Kleine hat einen besseren Orientierungssinn als ihr Vater. Da kommt sie eindeutig nach Mama. "Von da hat man eine schöne Aussicht auf die Stadt", sage ich. "Aber wir wollen doch in den Himmel gucken", entgegnet sie. "Den kann man natürlich auch sehen", sage ich und muss schmunzeln. Kinder können manchmal ganz schön scharfsinnig sein. Meine Tochter zählt die Sterne und Schwibbögen in den Fenstern der Häuser und staunt über die riesigen Starkstrommasten auf den Feldern. Auf halber Höhe fahren wir rückwärts in einen Feldweg. "So, hier bleiben wir", sage ich zu meiner kleinen Beifahrerin. "Mal sehen, ob Saturn und Jupiter sich zeigen." Nur ganz kurz steigen wir aus. Meiner Tochter fliegt die Kapuze vom Kopf. Sie findet's witzig, aber weil sie ohnehin schon ein bisschen erkältet ist, setzen wir uns wieder in den Bulli und hören Musik - Bob Marley. Wie ist das eigentlich mit den Engeln? Viel zu sehen gibt's nicht - viel zu viele Wolken. Jedenfalls da, wo ich Saturn und Jupiter vermute. "Die Sterne verstecken sich", sage ich zu meiner Tochter. "Vielleicht sind sie schüchtern", mutmaßt sie. Möglich. Wir freuen uns über den immer noch orangefarbenen Horizont ("das Christkind backt Plätzchen"), über den Mond und über die Lichter in der Stadt. Ich erzähle der Kleinen etwas von meiner Oma. Und von dem Ring, der den Saturn umgibt. Und dass der Planet Jupiter aus Gas besteht. Viel weiter reicht mein astronomisches Halbwissen nicht, aber für eine aufgeweckte Vierjährige ist es gerade noch genug. "Wenn es da oben so kalt ist - frieren die Engel eigentlich?", will meine Tochter wissen. "Ich glaube nicht", antworte ich. "Wo die Engel sind, ist es bestimmt nicht kalt." Meine Tochter hakt nach: "Wo sind die Engel denn?" Ich zucke mit den Schultern. "Das weiß keiner so genau", sage ich. "Und fliegen wir alle in den Himmel, wenn wir sterben?", bohrt die Tochter weiter. "Ich denke schon", sage ich. Dann ist mindestens eine halbe Minute Funkstille. Für meine Tochter eine verdammt lange Zeit. "Ich möchte mal ins Weltall fliegen", sagt sie dann. "Dann musst du Astronautin werden", entgegne ich. Meine Oma und Bob Marley würden sich über ihren Besuch bestimmt freuen. Epilog: Vom Homberg aus bekamen wir den Stern von Bethlehem nicht mehr zu sehen. Dafür eine knappe halbe Stunde später von unserer Terrasse aus. Zwischen Pflaumen- und Apfelbaum standen Saturn und Jupiter noch ziemlich weit auseinander und leuchteten auch nicht besonders stark. Ihren Höhepunkt hatte die Große Konjunktion am 21. Dezember. Da war es aber leider komplett bedeckt. Nah beieinander stehen die beiden Riesenplaneten aber auch jetzt noch.

Meistgelesen