Schokoladenhersteller Weinrich feiert im nächsten Sommer "125 + 1" - ein Interview

Herr Budde, Weinrich wurde 1895 gegründet und ist mit 125 Jahren eines der ältesten noch bestehenden Unternehmen in der Stadt. Sie führen das Familienunternehmen in vierter Generation und hatten große Pläne für das Jubiläumsjahr 2020.Cord Budde: Damals, zum 100-Jährigen, haben wir in der Sparkasse eine große Ausstellung zelebriert und intern mit unseren Mitarbeitern gefeiert. Dieses Jahr wollten wir im August mit über 1.000 Gästen im Güterbahnhof feiern. Das mussten wir wegen Corona alles absagen. Jetzt setzen wir auf 125 + 1 und eine Feier im nächsten Sommer. Dann wollen wir auch eine Firmenchronik herausbringen. Weinrich wurde ja ursprünglich als Keksfabrik gegründet.Genau, mein Urgroßvater mütterlicherseits und sein Freund Paul Drüge begannen mit Keksen und Waffeln. Die Schokolade kam später und wurde zuerst nur in ganz kleinem Maße hergestellt, um die Kekse mit Schokolade zu überziehen. Die richtige Schokoladenproduktion begann erst in den 1950er Jahren, als mein Vater Cord Gerhard als Schwiegersohn ins Unternehmen gekommen ist. 1960 hieß es, wir schaffen die Keksofen ab und machen nur noch Schokoladentafeln. Wir hatten bis dahin auch Pralinen gemacht. Das war viel Handarbeit und wir hatten über 500 Mitarbeiter. Als ich in den 90er Jahren ins Unternehmen eingestiegen bin, hatten wir um die 100 Mitarbeiter, heute sind es wieder 450, die nur die beste Schokolade machen. Seit Oktober gibt es ja eine besondere Jubiläumsschokolade zu kaufen.Wir haben lange daran getüftelt. Es wurde eine Fairtrade-Bio-Vollmilchschokolade mit kleinen Butterkeksen darin als Erinnerung an die Ursprünge und unseren Schwerpunkt in der Gegenwart. Wir verkaufen diese in Deutschland regional, im Online-Shop und im Werksverkauf Bruchbude am Gänsemarkt. In Herford gab es ja früher viele Schokoladenfabriken.Die Herforder Schokolade genoss einen schlechten Ruf, sie war billig und schlecht verarbeitet. Man kannte sich mit der Herstellung nicht so aus. Es gab dafür den Spitznamen Herforder Heidesand, weil die Schokolade so knirschte. Damit konnte man sich die Zähne schmirgeln. Die erste Schokolade mit besseren Qualitäten kam von Karina an der Hansastraße. Die waren deutschlandweit bekannt, sind aber später pleite gegangen und das Gebäude wurde in den 70er Jahren abgerissen. Ich war als junger Kerl dabei, als mein Vater Maschinen aus der Insolvenzmasse gekauft hat, die bis vor einigen Jahren noch gelaufen sind. Irgendwann haben die Herforder ja auch gelernt, leckere Schokolade zu machen.Bei Weinrich änderte sich auch die Schokoladenqualität mit meinem Vater. Die deutsche Konkurrenz wollte ihm keinen Praktikumsplatz geben, weil sie um ihre Rezepte fürchtete. Das war sein Glück. Er durfte sein Praktikum in einer Schweizer Schokoladenfabrik machen und die Schweizer haben ihm alle Tricks und Rezepte verraten, weil sie dachten, die Deutschen sind so blöd, die können das sowieso nicht so gut nachmachen. Ein Irrtum. Seine Rezeptbücher von damals hab ich immer noch. Was waren weitere Meilensteine in der Firmenentwicklung?Hier hakt die Export- und Marketingleiterin ein:Jessica Lindemann: Als Herr Budde junior in die Firma eintrat, war er als junger Mann offen für neue Trends im Markt. Weinrich ist Pionier in der Herstellung von Fairtrade- und Bio-Schokolade – ohne ihn wären wir diesen Weg nicht gegangen, der uns heute so erfolgreich macht. Wir haben schon Ende der 90er Jahre als einer der ersten Hersteller in Europa angefangen, Fairtrade-Schokolade herzustellen für die Firma Gepa, mit der wir heute noch zusammenarbeiten. Wie kam es zur Produktion von Bio-Schokolade?Andreas N. Meyer war früher Gepa-Produktmanager, wollte sich selbstständig machen und fragte: ,Könnt ihr nicht für mich eine Bio-Schokolade machen?. So kamen wir zusammen und haben 1999 zu gleichen Anteilen die Firma Ecofinia gegründet und das gesamte Bio-Sortiment für die Marke Vivani entwickelt. Vivani-Bio-Schokolade gibt es nur im Bio-Fachhandel und macht inzwischen mit 9.000 Tonnen 35 Prozent der Gesamtproduktion aus. Deutschlandweit sind wir Marktführer in Bio-Schokolade, weltweit mit an der Spitze. Mehr als 80 Prozent der Produktion ist inzwischen Fairtrade und/oder Bio zertifiziert. Seit 2014 verwenden wir nur zertifizierten Kakao. Weinrich ist auch Pionier für die Produktion von veganer Schokolade. Wie viele Tafeln Schokolade verlassen Ihr Werk im JahrWir produzieren rund 25.000 Tonnen Schokolade im Jahr, das sind auf 100-Gramm-Tafeln umgerechnet 250 Millionen Stück und rund 1,2 Millionen Tafeln am Tag. Unser Jahresumsatz beträgt derzeit rund 140 Millionen Euro. Bis dahin war 2019 mit 23.500 Tonnen und 130 Millionen Umsatz unser Rekordjahr gewesen. Darauf haben wir uns nicht ausgeruht, sondern jedes Jahr mehrerer Millionen Euro investiert, zuletzt in ein neues Tanklager, ein Blockheizkraftwerk, ein energieneutrales Bürogebäude und neue Maschinenstraßen. In 60 Ländern weltweit findet man Vivani-Schokolade aus Herford, die Marke Weinrich sucht man jenseits von Ostwestfalen vergebens.Wir produzieren viele Handelsmarken. Unser größter Abnehmer ist Lidl. Unsere halbe Produktion sind die 200-Gramm-Tafeln des Discounters aus fair gehandeltem Kakao. Hat die Pandemie Auswirkungen auf Ihren Betrieb?Budde: Eine neue Maschine ist erst mit vier Monaten Verspätung mitten in unserer Hochsaison gekommen – das hat sehr wehgetan. Es gab Kunden, die im Lockdown gar nicht kauften wie Starbucks in England, die von uns kleine Schokoladentafeln beziehen. Im Discountbereich haben wir dafür mehr abgesetzt. Die Sicherheitsmaßnahmen im Unternehmen haben die Abläufe kompliziert und wir hatten auch positiv getestete Mitarbeiter. Wir gehen da auf Nummer sicher und nehmen einen hohen Krankenstand in Kauf. Wir sind froh, dass es uns insgesamt gut geht – gerade im Vergleich zu anderen Branchen. Schokolade wird noch gern gekauft und gegessen. Ich habe mal in einem Interview gehört, Schokolade wäre gut gegen Corona – das hat sich leider noch nicht herumgesprochen.Lindemann: Im Betrieb selber leiden wir unter Schokoladenentzug – die frei zugänglichen Probierteller mussten wir aus dem Verkehr ziehen. Ich muss jetzt selber in die Bruchbude gehen, um Schokolade zu kaufen. Was ist das Geheimnis guter Schokolade? Welche Sorte essen Sie am liebsten?Budde: Jeden Tag eine andere – jetzt gerade die Jubiläumsschokolade, aber auch die bitteren Sorten. Entscheidend ist die Qualität der Rohstoffe, der Conchiermaschinen und zu wissen, wie man damit umgeht. Darum bilden wir auch zur Zeit über 30 Auszubildende aus. Wichtig ist ein jeweils behutsamer Generationswechsel. Apropos Generationenwechsel. Wie sieht es mit der 5. Generation in der Familie aus?Wir haben vier Kinder – drei Töchter und einen Sohn. Der 15-Jährige möchte hier weitermachen. Die Mädchen haben andere Richtungen eingeschlagen, aber ein Schlenker Richtung Schokolade ist nicht ausgeschlossen. Welche Schokolade essen die Kunden am liebsten?Bitter ist sehr nachgefragt, gerade im Bio-Sortiment mit Kakaoanteil bis zu 99 Prozent. Da ist fast kein Zucker mehr drin – eine gesunde Sünde. Aber in der Corona-Zeit hat auch die klassische Sorte Vollmilch-Nuss stark angezogen. Man hört, dass ein Virus Kakaoplantagen gefährdet.Das Thema wird in den Medien alle paar Jahre aufgebauscht. Größer ist die Gefahr, dass sich große Konzerne entgegen internationaler Regeln große Kakaomengen sichern und für die Kleinen nichts mehr übrig bleibt. Deshalb pflegen wir direkte Beziehungen zu unseren Lieferanten, bezahlen sie fair und helfen vor Ort mit sozialen Projekten wie dem Bau von Schulen. So können auch die Kunden unsere Schokolade mit gutem Gewissen kaufen.

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