Angriff auf Afrikaner: Warum sich Rassismus-Vorwürfe auch abnutzen können

Seit dem Todesfall des Afroamerikaners George Floyd debattieren auch die Deutschen wieder intensiv über Rassismus - und das ist richtig. Erschreckende Details sickern Woche für Woche durch und verdeutlichen ein ernstzunehmendes Problem innerhalb der Gesellschaft. Menschen mit dunkler Hautfarbe berichten, wie sie im Alltag auf der Straße mit dummen Sprüchen verletzt werden. Auch bei der Polizei sitzen Mitarbeiter, die rechtsextreme Nachrichten in Chatverläufen verbreiten. Nun lässt ebenso ein Rassismus-Fall aus Herford aufhorchen, der jedoch Raum für Spekulationen bietet. Ein Familienvater aus Guinea erzählte nw.de, wie ihn ein Mann in Herford erst in einer Bäckerei anpöbelt, ihn mit dem "N-Wort" beschimpft und ihn später auf einem Spielplatz mit einem Schlagstock verdreschen möchte. Als der Afrikaner sich schützen will, bricht ihm der Angreifer mit dem Stock den Arm. Da die dazugerufene Polizei diesen Fall aber nirgends öffentlich gemacht hat, richtet sich eine angekündigte Demo am Samstag auch gegen die Behörde. Sie habe die Attacke verschwiegen, so der Vorwurf. Kannten sich beide vielleicht schon? All das schildert das vermeintliche Opfer und stellt damit lediglich eine Sicht auf den Vorfall dar. Wir hätten gerne auch die andere Seite eines Zeugen oder des Täters gehört, der auch etwas vollkommen anderes behaupten könnte. So wirkt der Fall nicht auserzählt, voller Lücken, aber der Rassismus-Vorwurf bleibt. Kannten sich beide vielleicht schon? Haben sie sich vorher gestritten? War möglicherweise nicht die Hautfarbe der Grund dafür, warum die Situation so eskalierte? All das sind Fragen, die bislang unbeantwortet bleiben. Der Journalismus lebt von der Quellenvielfalt. Wir versuchen immer, alle relevanten Quellen anzuzapfen, damit am Ende ein möglichst objektives Bild in den Artikeln entstehen kann. Wir ermöglichen beiden Positionen einen Raum, um ihre Sicht auf die Dinge öffentlich darzustellen. Anders kann die Arbeit der seriösen Presse nicht funktionieren, selbst wenn am Ende Aussage gegen Aussage steht. Details für den Hintergrund Im Fall des Afrikaners gestaltet sich die Situation schwieriger. Der Konflikt zwischen zwei Privatpersonen könnte vor Gericht landen. Ob es tatsächlich zur Anklage kommt, ist aber noch offen. Deshalb äußern sich bei solchen Vorgängen die Staatsanwaltschaft und die Polizei extrem vorsichtig gegenüber den Medien. Meist können die Behörden nicht mehr sagen als "Die Ermittlungen laufen noch". Gibt es doch mehr Informationen, laufen diese Gespräche auf einer Vertrauensebene ab. Der jeweilige Sprecher erläutert dem Journalisten dann Details für den Hintergrund, ohne dass er die Freigabe gibt, ihn zu zitieren. Auch im Herforder Rassismus-Fall bleiben - mit einigen Hintergrundinformationen, die nw.de vorliegen, Fragen offen. Die Recherchen haben ergeben, dass die Rassismus-Vorwürfe gegen den vermeintlichen Täten offenbar nicht gegenüber der Polizei erhoben wurden. Deshalb ist der Fall wohl nicht beim Staatsschutz gelandet und es wurde auch keine Pressemitteilung veröffentlicht. Was am Ende wirklich passiert ist, muss ein Gericht klären, dafür ist schließlich die Justiz da. Emotionen kochen schnell hoch Rassismus ist verabscheuungswürdig und ein tief verankertes Übel, so ist an der Demo nichts auszusetzen, die sich ja auch "gegen Rassismus überall" richtet und nicht explizit den Vorfall in Herford heranzieht. Die Demokratie lebt von der Option, sich zu fast allem frei von der Leber weg äußern und auf die Straße gehen zu dürfen. Und Herford ist keineswegs frei von Rassismus, wie neulich ein Video eines türkischstämmigen Busfahrers zeigte. Doch die Emotionen kochen bei Rassismus-Vorwürfen schnell hoch, zu schnell. Ähnlich verhielt es sich bei einem 23-jährigen aus Afrika stammenden Herforder, den die Polizei im Juni am Bielefelder Kesselbrink festnahm und der sich als Opfer von Polizeiwillkür sah. Weil die Polizei ihn kontrollierte, sah er direkt ein rassistisches Motiv. Das Video von dem Vorfall ging im Netz viral, eine Demo fand statt, doch die Polizei handelte richtig. Ein Wegsehen bei rassistischen Taten ist keine Lösung, damit verbessert sich die Situation nicht. Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft attackiert werden, sollten sich nicht davor scheuen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Aber nicht ausnahmslos jedes Fehlverhalten, jede Festnahme, Schlägerei oder jeder Streit hat zwangsläufig immer mit Rassismus zu tun. Wenn der Vorwurf missbraucht wird, nutzt er sich ab, zum Nachteil der wirklichen Opfer. Denn dann bekommen sie Probleme, Gehör zu finden, weil ihnen einfach niemand mehr glaubt.

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