Die Politiker werden zunehmend nervöser

Kurz vor der Wahl werden die Parteien immer nervöser. Ausdruck dessen war kürzlich der Vorwurf der Grünen-Fraktionsvorsitzenden im Kreistag, Ingeborg Balz, die CDU-Landratskandidatin würde Amtsanmaßung betreiben. Grund war ein deutlich erkennbar von der CDU verfasstes Wahlwerbeschreiben an die Unternehmer im Kreis. In dem stand unter einem Portraitfoto Dorothee Schusters "Landrätin für den Kreis Herford". Auf den Vorwurf der Amtsanmaßung muss man da erst einmal kommen. Aber es gibt sogar eine Strafanzeige. Ohne, dass dies bekannt wurde: Niemand muss lange rätseln, aus welcher politischen Richtung eine solche Anzeige kommen könnte. Kähler forciert eine unnötige politische Auseinandersetzung In dieser Woche legte dann SPD-Bürgermeister Tim Kähler nach, als er einen Antrag der Grünen von der Tagesordnung des Haupt- und Finanzausschusses strich. Sie hatten prüfen lassen wollen, ob die Stadt Unternehmen, die sich in Herford neu ansiedeln, zu Photovoltaik-Anlagen und Grün auf ihren Dächern verpflichten kann. Der Haupt- und Finanzausschuss sei nicht zuständig, beschied Kählers Verwaltung. Verlesen wurde die Begründung im Ausschuss, so dass sie viele so schnell nicht nachvollziehen und die Grünen nicht fundiert darauf reagieren konnten. Mancher Politiker fragte sich später auch, welche Themen, die bisher in dem Ausschuss beraten wurden, demnächst dort nicht mehr entschieden werden können. Ob die Verwaltungserklärung überhaupt einer rechtlichen Überprüfung stand halten würde, bleibt fraglich. Ebenso wie der Umstand, warum sich Kähler - wegen eines Prüfauftrags (!) - eine politische Auseinandersetzung mit seinem politischen Gegner ans Bein bindet. Oder warum er den Weg hin zur Erreichung klimapolitischer Ziele der Stadt blockiert. Man kann es nicht oft genug sagen: Der Klimawandel wird katastrophale Folgen haben, und die werden schneller da sein, als wir alle denken. Die Parteien können potenzielle Wähler coronabedingt nicht einschätzen Viele scheinen das langsam, wenn auch zu langsam, zu begreifen. Das zeigt sich in den Kurzportraits der politischen Kandidaten, die sich derzeit in der Neuen Westfälischen vorstellen: Viele haben den Klima und Umweltschutz auf der Agenda, wenn auch in einigen Fällen womöglich nur, um Stimmen derjenigen abzugreifen, denen das wirklich ein Anliegen ist. Das war 2014 noch anders. Nichsdestotrotz erfahren Journalisten von großer Nervosität in den Parteien. Warum ist das so? Einer der Gründe dürfte sein, dass Parteienvertreter die Bürger in diesen Corona-Zeiten nicht einschätzen können. Pandemiebedingt fehlt ihnen die Nähe zu den Wählern. Podiumsdiskussionen mit großem Publikum fallen aus, vielfach verzichten die Parteien auf Info-Stände oder reduzieren sie. Die Frage bleibt: Kommt das, wofür sie stehen, bei den Bürgern an? Ihre Themen platzieren sie zwar in die sozialen Medien, aber wen da was erreicht und welche Haltung diejenigen haben, die auf Postings nicht reagieren, bleibt offen. Zudem steht die Sorge im Raum, dass die Krisen-Politik von Bund und Land auf das Kommunalwahl-Ergebnis abfärbt. Nicht ohne Grund gelten Krisenzeiten als Regierungszeiten. Das Grundvertrauen in diejenigen, die Verantwortung übernehmen, ist verloren gegangen Auch erscheint die Gesellschaft so heterogen wie lange nicht, erkennbar an der Vielzahl der Gruppierungen, die zur Wahl antreten. Verunsicherung lösen da auch bisher für intelligent gehaltene Personen aus, auf die viele im Bekanntenkreis treffen: Das sind diejenigen, die lieber abstrusen Verschwörungsmythen glauben, als sich mit den Fakten auseinanderzusetzen. Psychologen sehen den Grund für die kognitive Fehlschaltung in mangelnden sozialen Kontakten. Den meisten Verschwörungsmystikern fehlt es - vielleicht gerade deshalb - am Grundvertrauen: Sie trauen niemandem, der in dieser Gesellschaft Verantwortung übernimmt. Das könnte ein hausgemachtes Problem sein. Denn in vielen geselligen (Familien-)Runden war in den vergangen Jahrzehnten Politik als Gesprächsthema tabu. Die Angst vor Konflikten war zu groß. Doch das ist absurd: Politik betrifft alle Lebensbereiche. In den Gesprächen darüber reflektieren Menschen ihre Ansichten, und nur in Gesprächen finden sie einen Konsens. Oder auch nicht. Aber dann lernen sie, dass sie Differenzen haben können, ohne als Person abgelehnt zu werden.

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