Kommentar zur Corona-Krise: Leben zwischen Stille und Panik

Herford. Der Himmel ist strahlend blau, die Sonne scheint so schön wie seit Monaten nicht. Der ein oder andere Spaziergänger nimmt Platz an einem der Tische auf dem Alten Markt. Es ist ein idyllisches Bild. Das darüber hinweg täuscht, dass viele Menschen derzeit ganz andere Bilder vor Augen haben: Von zusammengekrachten Existenzen, finanziellem Ruin, von schweren Krankheitsverläufen und gar dem Verlust eines geliebten Menschen. Diese trügerische Stille, die immer noch vergnügten Witze über Kochrezepte mit Nudeln und Toilettenpapier, sind eine Seite einer dermaßen stark veränderten Lebenssituation, die Viele – obwohl wir schon mittendrin sind – immer noch nicht ganz begreifen können. Für alle, die noch ihr monatliches Gehalt bekommen, die zuhause im Homeoffice arbeiten und viel mehr Zeit als sonst für ihre Familie haben, wirkt diese Krise wie ein Urlaub vom Alltag. Die Bilder aus Italien, von Toten, die mit Militärwagen abtransportiert werden, scheinen surreal. Auf der anderen Seite ist die Wucht der Pandemie Die Menschen, die auf der anderen Seiten dieser neuen Lebenslage stehen, spüren jetzt schon mit Wucht die Auswirkungen der Pandemie. Sie mussten ihr Geschäft oder ihr Restaurant schließen und wissen nicht, wie es für sie weiter geht. Sie arbeiten in einer Arztpraxis und haben nicht ausreichend Schutzkleidung zur Verfügung. Sie haben sich infiziert und haben Angst, schwer zu erkranken und jemanden angesteckt zu haben, der das Virus nicht gut wegsteckt. Zwischen Stille und Panik, Stillstand und Stress bewegt sich derzeit die Welt – auch die bei uns vor Ort. Und wir als Lokalzeitung sind mittendrin. In der Redaktion ist es nicht still, denn es klingelt fast ununterbrochen das Telefon oder die Messengerdienste piepen. Die Büros der Kollegen sind allerdings leer. Nur noch ein Produktionsteam aus zwei Redakteuren, mit Unterstützung der Redaktionssekretärin, hält vor Ort in Herford die Stellung. So viel zu berichten wie nie zuvor Obwohl nicht mehr so viele Kollegen jeden Tag in der Redaktion sind, gibt es so viel zu berichten wie nie zuvor. Wir schaffen das, weil der große Teil unseres Teams vom Homeoffice aus arbeitet. Weil wir uns täglich per Videokonferenz, E-Mail, Messenger und Telefon abstimmen. Und weil alle Kollegen wissen, dass verlässliche Informationen darüber, wie die Stadt und der Kreis, wie die Menschen vor Ort, die Unternehmen und Unternehmer sich jetzt verhalten, wichtiger sind als je zuvor. Und gleichzeitig fragen wir uns: Haben wir jetzt zu viele Corona-Themen im Blatt oder online? Was geben wir möglichst sofort auf nw.de heraus, um zu informieren und wobei sollten wir einen Gang zurückschalten, um nicht zur Panik beizutragen? Jeden Tag aktualisieren wir die Fallzahlen, vergleichen mit dem Vortrag. Das wirkt als würden wir Sportergebnisse aus der Hölle durchgeben. Trotzdem: Diese Information ist wichtig, um zu wissen wie hoch die Gefahr in Herford und im Kreis ist, dass auch unser Gesundheitssystem Probleme bekommt. Gerüchten in der Stadt etwas entgegen setzen Wir berichten darüber wie es in der zentralen Abstrichstelle des Kreises am H2O läuft – auch darüber, dass dort ein Arzt kollabiert und gestorben ist. Der Grund dafür war nicht das Coronavirus. Das schreiben wir genau so. Wir informieren und halten es für wichtig, Gerüchten in der Stadt etwas entgegen zu setzen. Und trotzdem könnten Leser auf den Gedanken kommen, dass wir von der Krise profitieren wollen, mit vielen Klicks im Internet zum Beispiel. Diesen Konflikt können wir nur lösen, wenn wir bei unserer Linie bleiben: Wir lassen uns nicht stressen von der rasanten Entwicklung, von dem Wust an täglich neuen Informationen, von dem ungewohnt hohen Abstimmungsbedarf über lange Distanzen zwischen Kollegen. Wir halten den Spagat zwischen Angst und Aktion aus, mit dem was wir einmal gelernt haben: Zu recherchieren und sachlich zu berichten. Über die Dramen unseres neuen Alltags aber auch über all das positive Engagement, das derzeit überall entsteht. Und wenn es uns in der Redaktion zuviel wird, setzen wir uns kurz auf den Alten Markt und atmen durch. Bleiben Sie gesund!

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