Ausstellung im Zellentrakt zum systematischen NS-Massenmord

Herford. Die &bdquo;Aktion Reinhardt" bezeichnet die organisierte Ermordung von mehr als 1,5 Millionen Menschen in den Jahren 1942 und 1943 durch die SS im deutsch besetzten Polen. Ab Freitag erinnert die Ausstellung &bdquo;Aktion Reinhardt – Sie kamen ins Ghetto und gingen ins Unbekannte" im Zellentrakt an diese wenig bekannte Aktion, der vorwiegend polnische Juden zum Opfer fielen, aber auch etwa zehn Menschen aus dem Kreis Herford. Die Vernichtungslager Belzec, Sobibór und Treblinka lagen an der Ostgrenze des damaligen Distrikts Lublin des Generalgouvernements, wie die Deutschen das militärisch besetzte Polen nannten, im heutigen Dreiländereck von Polen, Weißrussland und Ukraine. Hier wurden zuerst die jüdischen Menschen der besetzen Gebiete und mit ihnen die Kultur der Schtetls des Ostjudentums vernichtet, aber auch Sinti und Roma und Menschen aus dem Deutschen Reich, der Slowakei, den Niederlanden und weiteren westeuropäischen Ländern. Die Massenmorde waren Teil der geplanten &bdquo;Endlösung" Im Zuge der bei der Wannseekonferenz 1942 beschlossenen &bdquo;Endlösung" der &bdquo;Judenfrage", dem Plan der Nationalsozialisten elf Millionen europäische Juden zu ermorden, wurde hier die Ermordung mit Gas – erst Abgase, dann Gift – erprobt und im großen Maßstab eingesetzt. Das historische Material und die Tafeln der Ausstellung stammen von der Gedenkstätte Majdanek. Die Ausstellungen in Deutschland organisieren die Bielefelder Künstlerin Raphaela Kula vom Bielefelder Atelier Ostbahnhof und Fritz Bornemeyer. Historische Fakten und Kunst zu einem gemeinsamen Thema Von Kula stammt auch die ergänzende Installation &bdquo;A Place of Murder and the Sky is blue" mit auf Transparentfolien gedruckten Fotos eines dunklen Waldes, eines von Steinen gesäumten Weges auf dem Gelände der ehemaligen Vernichtungslager, Gedichtfetzen auf dem Boden und immer wieder gesprungenen Spiegeln. Kula und Bornemeyer wuchsen im Raum Detmold auf und beschäftigen sich schon lange mit der Geschichte des Nationalsozialismus in der Region, führten und dokumentierten Gespräche mit Shoah-Überlebenden oder deren Nachkommen, aber auch mit Wehrmachts-Deserteuren und besuchten immer wieder Orte der NS-Verbrechen. &bdquo;In die Region von Lublin-Majdanek fuhren wir 2.000 zum ersten Mal", sagt Kula, 2.001 noch einmal: &bdquo;Damals lernten wir Jules Schelvis kennen, einen Niederländer, der im Zuge der Aktion Reinhardt deportiert wurde, aber wie durch ein Wunder überlebte." Ein Text mit seinen Erinnerungen ist Teil der Installation. &bdquo;Sein Weg aus Westeuropa in die Vernichtungslager Sobibór oder Treblinka, dürfte wohl auch der Weg anderer mitteleuropäischer Jüdinnen und Juden gewesen sein", sagt Christoph Laue vom Kuratorium Erinnern Forschen Gedenken. Eines dieser Schicksale ist in der Ausstellung dokumentiert: Frida Hecht, am 23. Juli 1888 in Herford geboren, hatte Herford 1940 Richtung Amsterdam verlassen, wurde aber während der deutschen Besatzung im Judendurchgangslager Westerbork inhaftiert, von dort am 25. Mai 1943 ins Vernichtungslager Sobibór deportiert und dort am 28. Mai 1943 im Alter von 54 Jahren ermordet. &bdquo;Nach dem Wenigen, das wir von ihr wissen, glaube ich, dass sie eine starke Frau war", sagt Kula: &bdquo;Gegen den Zwangsverkauf ihres Hauses Brüderstraße 3 weit unter Wert an die Stadt Herford hat sie sich lange gewehrt, mit dem vom NS-Staat für jüdische Frauen verordneten Zwangsnamen Sara hat sie nie unterschrieben." Auf der Suche nach neuen Zugängen zur Geschichtsvermittlung Da fast alle Zeitzeugen inzwischen gestorben sind oder bald zu alt sein werden, um vom Erlebten zu berichten, sucht Kula nach neuen Wegen der Vermittlung. Dazu gehört die Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Majdanek, aber auch die bildende Kunst. In einem Gedicht verarbeitet sie den Widerspruch zwischen der Schönheit von Landschaft, Natur und Himmel und dem Wissen &bdquo;Alles hier ist Grab". Textfetzen daraus finden sich auf dem Boden der Gedenkstätte und auf einem Spiegel hinter Stacheldraht. Zentral in ihrer Installation sind gesprungene Spiegel, die die ohnehin schon gewaltige Materialfülle ins Unendliche vervielfältigen und die Selbstbildnisse der Betrachter mit unzähligen Kratzern und Brüchen überziehen. &bdquo;Niemand – nicht Opfer, Täter und auch nicht die nachgeborenen Generationen – sind ohne Narben von dieser Geschichte", sagt sie: &bdquo;Die zerbrochenen Bilder im Spiegel sollen dazu anregen, sich selbst und das Verhältnis zur Geschichte zu hinterfragen." Es gehe ihr um das Schaffen eines emotionalen Zugangs angesichts der kaum verarbeitbaren oder zu ertragenen Masse an Informationen, sagt sie. Damit ist sie nah am pädagogischen Ansatz der Gedenkstätte Zellentrakt, die das ähnlich über das Aufzeigen individueller, oft regionaler Biografien versucht und auch diese Ausstellung mit Material aus regionalen Archiven ergänzt hat.

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