Verschollener Nazi-Bürgermeister aus Enger: Museumsleiter löst Rätsel

Enger. Geboren wurde er 1885 im brasilianischen Ibicaba, als Sohn eines Kaffeeplantagenverwalters. Klingt spannend. Und ist eines der wenigen Details, die auch früher schon über diesen Mann bekannt waren. Die Rede ist von Ernst Brune, jenem ehemaligen Engeraner Bürgermeister, der im Jahr 1936 die lokale politische Bühne betrat, einige Jahre später in den Krieg ziehen musste - und nie wieder auftauchte. Olav Heinemann, Leiter des Widukindmuseums, hat sich des Themas angenommen und sehr Konkretes herausgefunden - unter anderem mithilfe des russischen Geheimdienstes. Aber der Reihe nach: Als Heinemann im vergangenen Jahr nach Enger kam, lief ihm recht schnell der Name Ernst Brune über den Weg. Kein Wunder: Als entscheidender Strippenzieher bei der Einrichtung einer Widukind-Gedächtnisstätte ist Brune in gewisser Weise auch für das heutige Museum mitverantwortlich. &bdquo;Und dann fiel mir halt recht schnell auf, dass niemand etwas über den Verbleib dieses Mannes wusste“, erzählt Heinemann. Er hat auch gleich einen Erklärungsansatz parat: &bdquo;Dass unmittelbar nach dem Krieg keiner mehr etwas von ihm wissen wollte, ist nicht weiter verwunderlich. Wahrscheinlich war man froh, dass man ihn los war. Weil er nicht zurückkam, wurde er 1964 offiziell für tot erklärt. Das war’s.“ Lesen Sie auch: Was hat er vor und wie tickt der neue Museumsleiter in Enger? Ehemaliger Engeraner Bürgermeister war überzeugter Nationalsozialist Heinemann aber wollte mehr zu dem Mann wissen - und begann zu forschen. Der Lebensweg Ernst Brunes ist bis zu seiner Engeraner Zeit recht gut dokumentiert, Heinemann wurde unter anderem auch im hiesigen Stadtarchiv fündig. Nach dem Tod der Mutter im Jahr 1887, so fand er heraus, sei die Familie aus Brasilien wieder zurück ins Kaiserreich gekommen. Da die Wurzeln der Brunes in Melle lagen, verschlug es sie auch diesmal wieder in diese Region. Nach seiner Schulzeit in Osnabrück peilt Brune eine klassische Karriere beim Militär an. Das klappt zunächst recht gut. Nach einem Unfall, der ein schlecht verheilendes Bein nach sich zieht, scheidet er jedoch aus dem Dienst. Jetzt strebt er eine Beamtenlaufbahn an, im Rahmen seiner Ausbildung verschlägt es ihn unter anderem nach Minden und Bünde-Ennigloh. Als der 1. Weltkrieg ausbricht, meldet sich Brune sofort freiwillig zur Front, macht dort den gesamten Krieg mit, wird dreimal verwundet, bekommt das Eiserne Kreuz erster Klasse. Nach dem Krieg wird er von 1920 bis 1936 Amtmann von Gehlenbeck, heute ein Ortsteil von Lübbecke. 1932 tritt er in die NSDAP und in andere entsprechende Organisationen ein. &bdquo;Er ist also beileibe kein Mitläufer, sondern überzeugter Nationalsozialist!“, betont Olav Heinemann. Mehr lokale Geschichte: Maiwiese in Enger: Wer das Rondell baute und wofür es gedacht war Engeraner Museumsleiter durchsucht verschiedene Dokumente Aus verschiedenen Dokumenten, so der Museumsleiter, gehe hervor, dass Brune immer wieder versucht, auf der Karriereleiter ein Stück nach oben zu gelangen. Dass er sich eines Tages für den Bürgermeisterjob in Enger bewirbt (seinerzeit wurden Bürgermeister nicht gewählt, sondern von den Nationalsozialisten eingesetzt), habe sicherlich auch mit dem NS-Chef-Ideologen Alfred Rosenberg zu tun, der im Jahr 1934 die Stadt besucht und einen neuen Widukind-Kult lostritt. Brune bekommt seine Stelle und geht mit großem Ehrgeiz ans Werk - nicht nur in Sachen Widukind-Gedenkstätte. &bdquo;Es gibt Fotos und Videos - sogar in Farbe - die Ernst Brune beim Besuch ranghoher Nazis zeigen“, erzählt Heinemann. &bdquo;Er macht den Hitlergruß, er schlägt die Hacken zusammen, er katzbuckelt. Alles läuft gut für ihn.“ Dann aber kommt dem Mittfünfziger tatsächlich noch der 2. Weltkrieg in die Quere. &bdquo;Der ist dann doch wichtiger als die Stadt Enger, auch das Alter und der fragile Gesundheitszustand von Ernst Brune spielen keine Rolle mehr - im Jahr 1941 wird er zum Luftwaffen-Bau-Bataillon eingezogen“, erzählt Heinemann. &bdquo;Die waren für den Bau und die Instandsetzung von Frontflugplätzen zuständig.“ Auch interessant: Karl Paetow aus Bad Oeynhausen - Der Nazi-Kunsträuber mit Bundesverdienstkreuz War Brune für ein Kriegsverbrechen mitverantwortlich? 1943 wird Brune in dieser Funktion nach Norwegen abkommandiert. Bei Haslemoen soll ein weiterer Stützpunkt für die Luftwaffe entstehen. Sowjetische Kriegsgefangene müssen dabei mithelfen. Im Mai 1944 gelingt einigen Sowjets eine spektakuläre Flucht, bei der auch zwei deutsche Soldaten sterben. Zur Strafe werden 20 zurückgebliebene Gefangene hingerichtet. &bdquo;Ein Kriegsverbrechen, für das Brune womöglich mitverantwortlich ist und das ihm später wohl zum Verhängnis wird“, sagt Heinemann. Und warum? &bdquo;Als der Krieg vorbei ist, wird er verhaftet, kommt in verschiedene Lager und wird dann an die Sowjets ausgeliefert“, erzählt Heinemann. Ernst Brunes letzte Station ist das Konzentrationslager Sachsenhausen, unmittelbar nach dem Krieg unter sowjetischer Verwaltung. Schicksale: Diese Engeraner wurden Opfer der Nazi-Herrschaft Heinemann bekommt Recherche-Hilfe vom russischen Geheimdienst &bdquo;Hilfe bei der Recherche habe ich da bei Dr. Enrico Heitzer gefunden, einem Fachmann für die sowjetische Zeit in Sachsenhausen. Er hat Kontakt zum russischen Geheimdienst aufgenommen und nach dem Schicksal von Ernst Brune gefragt“, so Heinemann. Die Zusammenarbeit funktioniere auf dieser Ebene - trotz der zurzeit mal wieder gestörten Beziehungen - recht gut. Die Antwort kam denn auch recht schnell und eindeutig: Ernst Brune wurde in einem kurzen Prozess zum Tode verurteilt und Anfang 1947 &bdquo;füsiliert“, also standrechtlich erschossen. Fürwahr ein ungewöhnliches Ende für einen Engeraner Bürgermeister. So ungewöhnlich wie der Ort seiner Geburt. Olav Heinemann hat damit das Rätsel um Engers &bdquo;verschollenen Nazi-Bürgermeister“ gelöst. Die Frage, wo Ernst Brunes Leichnam begraben wurde, bleibt wohl für immer unbeantwortet. Ist vielleicht auch gar nicht so wichtig. Heinemann: &bdquo;Man wird ihn irgendwo verscharrt haben.“ 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Herford

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