„Die Füße brauchst du nicht“: Rollstuhlfahrer aus Enger lernt zu fliegen

Enger. Carsten Tölle sitzt im Rollstuhl. Wenn ihn jemand darauf anspricht, sagt er: &bdquo;Es gibt Dinge, die ich nicht kann: Auf einen Baum klettern und über Mauern springen. Aber wie oft genau hast Du das in den letzten zehn Jahren gemacht?“ Mit der Höhe einer Mauer oder gar eines Baumes gibt er sich aber nicht zufrieden. Er will höher hinaus. Viel höher. Carsten Tölle lernt fliegen. Im September, so lautet der feste Plan, hält er seinen Flugschein in den Händen. Der Engeraner sieht sich als jemand, &bdquo;der anderen Mut macht und selbst ein bisschen verrückt ist.“ Der 55-Jährige sagt: &bdquo;Ich bin immer sportlich gewesen.“ Im Alter von 19 Jahren erlitt er als Motorradfahrer nach einem Zusammenstoß mit einem Traktor eine inkomplette Querschnittslähmung. Schon im Krankenhaus Bergmannsheil in Bochum schmiedeten er und sein Vater Pläne, wie ein Kart für ihn umgebaut werden könnte. Denn das war seine große Leidenschaft: Mit Tempo 300 eine Handbreit über dem Asphalt um die Kurven zu rasen. Mit dem Kart hatte er später sogar einen Stunt-Auftritt in der RTL-Fernsehserie &bdquo;Alarm für Cobra 11“. Mit dem Motorrad zur Eisdiele In dieser Zeit konnte er sich noch mit Gehhilfen fortbewegen. Das war beschwerlich, ging aber. &bdquo;Und ich konnte auch noch mit einem für mich umgebauten Motorrad fahren. Da habe ich, als ich vom Motorrad stieg und mir die Gehhilfen schnappte, in der Eisdiele auch meine Frau Claudia kennengelernt.“ Mit der hatte er – nach einem Ausflug in den Tourenwagensport – auch ein eigenes Rennteam. &bdquo;Mit zwei Wagen für die anderen Fahrer und einem für mich.“ &bdquo;Dann“, so sagt er rückblickend, &bdquo;passierte lange nichts. Bis ich mit dem Modellfliegen anfing. Später dann auch mit ferngesteuerten Hubschraubern.“ Das hatte ihn schon fasziniert. &bdquo;Modellfliegen ist eine klasse Sache. Irgendwie ist es aber auch doof, auf der Erde zu bleiben und den Dingern hinterherzusehen. Andersherum wäre besser.“ Das war der Stand Anfang der 2010er Jahre. 2015 stieß Carsten Tölle zum Spenger Schützenverein. Als Sportschütze erzielte er ordentliche Erfolge. Im zweiten Jahr seiner Mitgliedschaft wurde er sogar Schützenkönig. &bdquo;Aber ich habe immer eine weitere Herausforderung gesucht“, erklärt der Rolli-Fahrer. Im Februar nächsten Jahres will er als 2. Vorsitzender der Spenger Schützen zurücktreten. &bdquo;Ich möchte mich mehr aufs Fliegen konzentrieren. Wer weiß, ob ich das in zehn Jahren noch machen kann. Und die Zeit möchte ich nutzen.“ &bdquo;Flieg doch mal mit“ Dabei ist Tölle in Sachen Flugsport ein Späteinsteiger. 2023 hatte er im Fernsehen eine Dokumentation über einen Sportflieger im Rollstuhl gesehen. Er machte ihn in den sozialen Medien ausfindig und schon drei Tage später fuhr er zum Flugplatz nach Kassel, um mit ihm zu sprechen. &bdquo;Flieg doch mal mit“, hieß es dann. Es war um Carsten Tölle geschehen. Begeisterung pur. Der Ultraleichtflieger hatte es ihm angetan. &bdquo;Die Füße für die Pedale braucht Du nicht. Damit werden die Seitenruder und das Bugrad bedient. Das kann man umbauen.“ Der Engeraner war &bdquo;angefixt. Das muss gehen.“ Als er im Schützenverein von seiner neuen Leidenschaft berichtete, war auch sein Schützenbruder Maurice Quentmeier begeistert. Die beiden fassten den Entschluss, den Flugschein zu machen. Doch davor steht zunächst die Theorie. In neun Tagen büffelten die beiden bei einem Seminar in einem ehemaligen Kloster in Hofgeistmar. Tölle: &bdquo;Neun Tage nur lernen. Ohne Unterlass. Das war hart.“ Und dann stand die viereinhalb stündige Prüfung in neun Fächern an. &bdquo;Das war ein Hardcore-Programm.“ &bdquo;Ganz aufs Fliegen konzentriert“ Aber eines, das sich lohnt: Beide bestanden. Vor gut einem Jahr hatte sie die theoretische Prüfung in der Tasche. &bdquo;Dann haben wir uns ganz aufs Fliegen konzentriert.“ Jeder habe seine Flugstunden in Kassel-Calden absolviert. Zudem noch einem zweitägigen Lehrgang in Köln das Funkzeugnis gemacht. Und dann kam der große Unterschied: Während der &bdquo;normale“ Flugschüler von einem &bdquo;normalen“ Fliegerarzt untersucht wird, dauere das bei einem Rolli-Fahrer wesentlich länger. Und sei viel aufwendiger. &bdquo;Die ganze Sache“, sagt Tölle, &bdquo;mit den speziellen Untersuchungen hat sich sechs Monate hingezogen. Aber dann kam das Okay.“ Und jetzt wartet Carsten Tölle &bdquo;voller Vorfreude“ auf die Prüfung in der ersten Septemberwoche zur Lizenz als Luftsportgeräteführer. Dass er die besteht, ist für ihn ganz klar. Und er hat mit Maurice Quentmeier vorausschauend bereits eine Haltergemeinschaft gegründet und natürlich auch schon ein gebrauchtes Flugzeug gekauft, eine Comco Ikarus C42. Das sei für beide ideal: &bdquo;Ich als Rentner seit 1987 habe in der Woche Zeit und Maurice muss noch arbeiten. Der kann hauptsächlich am Wochenende fliegen.“ Suche nach dem Stellplatz Tölle ist auch schon in den Aero-Club Bad Oeynhausen-Löhne eingetreten. Dessen Mitglieder fliegen auf dem Platz in Porta-Westfalica/Vennebeck. &bdquo;Das ist für uns sehr nah und deshalb optimal.“ Wenn er jetzt noch einen Stellplatz für das Flugzeug dort finde, sei sein Glück komplett. &bdquo;Auf einen Berg kann ich nicht mehr steigen. Aber dann mit dem Flugzeug drüber fliegen, das geht.“

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