Bünde. Als Daniel mit 18 Depressionen bekam, entdeckte er das Kaufen für sich. Wenn er kaufte, ging es ihm besser. Also kaufte er oft. Irgendwann öffnete er die Pakete nicht mehr. Heute hat er 80.000 Euro Schulden und den Kontakt zu seinen Eltern verloren. Seit 2,5 Jahren hat er einen gesetzlichen Betreuer, der alleine über sein Konto verfügt und ihm monatlich einen Scheck auszahlt. Vor zwei Jahren hat Daniel eine Selbsthilfegruppe gegründet.
Mit 18 zog Daniel von zu Hause aus und hing viel im Internet-Café rum. Er bekam Depressionen. Wenn er sich etwas kaufte, ging es ihm besser. Er kaufte in Läden, wo man bei der EC-Karte nicht die Geheimzahl eingeben musste, sondern nur unterschreiben. Dabei wird der Kontostand nicht abgefragt. Und er bestellte im Internet. Pro Abend zwei bis drei Bestellungen à 150 bis 200 Euro. Das summierte sich auf 300 bis 600 Euro pro Abend oder bis auf 4.200 Euro pro Woche. Am Anfang freute er sich, wenn der Postbote kam, die Mahnungen interessierten ihn nicht. Die Hoffnung auf eine bessere Welt trieb ihn an. "Ich habe mir vorgegaukelt, mir eine schönere Welt kaufen zu können", sagt er. Eine Welt, die die "scheiß Kindheit" überdecken würde.
In der Schule war er der ewige Außenseiter, einsam, unbeliebt. Jetzt wollte er mehr darstellen, glücklicher scheinen als er sich fühlte. Doch es blieb bei der Sehnsucht. Irgendwann machte Daniel die Päckchen nicht mehr auf, er fand in ihnen nicht das Glück, das er suchte. Er kaufte weiter. Freunde durften ihn nur angemeldet besuchen, damit er die Pakete wegräumen konnte. Die Miete, Stromrechnung und überhaupt die Nebenkosten bezahlte Daniel nicht mehr. Der Vermieter klemmte ihm erst Heizung und Wasser ab, dann flog er raus. "Ein normaler Mensch bezahlt doch seine Rechnungen!", warfen ihm seine Eltern vor.
In der neuen Wohnung sollte alles anders werden. Daniel nahm nur das Nötigste mit, ließ viel zurück. Er hatte 10.000 Euro Schulden angehäuft. "Da war mir noch nicht bewusst, dass ich ein Problem habe." Er bestellte bei mehreren Stellen parallel, falls er es von einer Firma nicht bekommen sollte. Er änderte den ersten Buchstaben seines Nachnamens, dann den zweiten, baute einen Zahlendreher in sein Geburtsdatum ein, benutzte einen anderen Vornamen. Die Firmen drohten mit Betrugsanzeigen. "Ich dachte, die schreiben viel." Die Briefe legte er zu den Mahnungen in eine Kiste. Die Polizei kam in den Betrieb, wo er eine Ausbildung machte, um einen Vollstreckungsbescheid zuzustellen.
Ihm drohte die Wohnungslosigkeit. Daniel zog in das betreute Wohnen der Diakonie, er war 20 Jahre alt. Nach drei Monaten zog er in seine jetzige Wohnung und bekam einen Betreuer. Eines Tages stand die Polizei vor der Tür mit einem Gerichtsurteil über 1.200 Euro wegen Betruges. Vom Gerichtsverfahren hatte Daniel nicht erfahren, die Vorladung hatte er nicht geöffnet. Da er das Geld nicht hatte, nahmen ihn die Beamten mit und schlossen ihn in eine Zelle. Seine Eltern kamen und bezahlten die 1.200 Euro, "dann gab es Lack. Da bin ich nur noch gerannt, bis nach Hause."
Daniel litt unter Verfolgungswahn, machte die Tür nicht mehr auf, wenn jemand klingelte. Wieder kam die Polizei, diesmal mit einem Durchsuchungsbeschluss und Taschenlampen. Die zweite Gerichtsverhandlung folgte, 560 Euro Strafe wegen Betruges. "Ich habe erst bei der dritten Verhandlung gemerkt, dass ich ein Kaufproblem habe." Strafe: 945 Euro wegen Betruges. Die Richterin sagte, wenn sie ihn noch einmal wiedersehe, gehe er ins Gefängnis.
Da merkte Daniel, dass er etwas ändern musste.
Er bekam einen gesetzlichen Betreuer, der alleine Zugriff auf sein Konto hatte. Er kümmert sich, dass die Miete und Rechnungen überwiesen werden und zahlte Daniel monatlich einen Scheck aus. Den Betreuer hat Daniel seit 2,5 Jahren.
Seit zwei Monaten darf er wieder eine EC-Karte benutzen, um finanziell selbstständig zu werden. Anfang 2012 musste er Privatinsolvenz anmelden. Zusammen mit der Schuldnerberatung hat Daniel 250 Briefe an seine Gläubiger geschrieben, er hat Schulden von 80.000 Euro. Daniel ist 26 Jahre alt und hat einen 400-Euro-Job im Einzelhandel.
Er stehe auf der Warteliste vieler Psychologen, sagt er. Eine große Hilfe sei ihm sein Verlobter gewesen. Den hat Daniel Mitte 2011 kennengelernt. "Er hat mich sehr unterstützt. Ohne ihn wäre ich heute längst nicht so weit."