Lichtblick bei unheilbarer Krankheit: 24-jähriger Bünder leidet an Leukodystrophie

Bünde. Die Medizin kennt und kann heute viel. Doch längst kennt sie den Menschen nicht komplett - ebenso wenig wie so manche Erkrankung. Wenn diese Krankheiten dann auch noch so selten sind, dass man im ganzen Land suchen muss, um Menschen zu finden, die selbst oder in der Familie davon betroffen sind, erschwert das die Situation zudem noch. Die Leukodystrophie und ihre unzähligen Unterformen ist eine solche Krankheit. Durch einen Gendefekt ausgelöst, verkürzt sie die Lebenserwartung zum Teil drastisch. Der Bünder Robert Knappe kam vor 24 Jahren auf die Welt und vermag es, seinem Umfeld seine Form der Leukodystrophie begreiflich zu machen, wie kaum jemand anders. Nach einem epileptischen Anfall fand er in einem Notarzt einen gebannten Zuhörer, als er von den Vorgängen in sich während der Anfallsphase berichtete. Roberts Mutter, Claudia Knappe, ist keine Frau, die über das Schicksal jammert. Sie hat die Krankheit ihres Sohns schon vor vielen Jahren anerkannt. Natürlich müsse sie sich auch hin und wieder mit der Krankenkasse auseinandersetzen, um nötige Hilfen zu bekommen. Doch das ist im Gespräch mit der Neuen Westfälischen gar nicht ihr Anliegen. Sie will vor allem den Verein ELA bekannter machen, in dem betroffene Familien Hilfe bekommen. ELA steht für &bdquo;European Leukodystrophy Association“ (Europäische Leukodystrophie-Vereinigung). Der Verein wurde 1992 in Frankreich gegründet. Seine Ziele liegen auch darin, die Forschung zu unterstützen, denn auch wenn Leukodystrophie als unheilbar gilt, existiert mindestens eine Form, die mit guten Aussichten behandelbar ist, sofern sie vor dem Auftreten erster Symptome erkannt wird. Starker Schachspieler mit Problemen bei &bdquo;7 plus 3“ Wer zum ersten Mal auf Robert trifft, sieht einen jungen gut gelaunten Mann von knapp 1,80 Meter und bemerkt erst nach seinen ersten Worten die phasenweise undeutliche Aussprache. Bei genauerer Betrachtung fällt aufmerksameren Beobachtern noch eine Spastik in den Händen auf. Nichts, was darüber hinaus auf eine schwere Erkrankung hindeutet. Wenn Robert mit seinem 90-jährigen Opa Hans aus Enger am Tisch sitzt und Schach spielt, fällt es schwer, zu glauben, dass der 24-Jährige an einer Krankheit leidet, die nach und nach seine Lebensfunktionen außer Kraft setzt. Bei Leukodystrophien werden die Fett- und Proteinschichten angegriffen, die sich um die Fasern im zentralen Nervensystem herum befinden - die Myelinschicht. Bei einer Erkrankung in der frühen Kindheit hat sich diese Schicht meist nicht richtig aufgebaut. Bei ersten Symptomen im Erwachsenenalter geht diese Schicht nach und nach verloren. &bdquo;Bei Robert fiel im Kindesalter mit vier Jahren auf, dass bei ihm etwas anders ist“, sagt Claudia Knappe. Vom Kinderarzt hörte sie zunächst, dass sich das &bdquo;auswachse“. Er war motorisch und sprachlich entwicklungsverzögert und später in der Grundschule zeigten sich vor allem beim Rechnen Defizite. &bdquo;Dass 7 plus 3 gleich 10 ist, konnte er sich zwar kurz merken. Aber wenn man fragte, was übrig bleibt, wenn man 3 von 10 wegnimmt, kam er zu keinem Ergebnis“, erinnert sich seine Mutter. Robert durchlief weiterführende Schulen mit den Schwerpunkten Sprachförderung und Lernen und lebt heute in einer Einrichtung des Wittekindshofs in Vlotho. Fotografisches Gedächtnis macht ihn im Auto zum Navigator Dass er trotz seiner offensichtlichen Rechenschwäche aber mit Zahlen regelrecht jonglieren kann, zeigt seine Fähigkeit, Zahlenreihen zu analysieren und bilden, was sich bei bestimmten Spielen zeigt, die er mit seinen Eltern und seinem Großvater spielt. Opa Hans ist als früherer Bankdirektor ein Mensch, der mit Zahlen umgehen kann, doch Enkel Robert verblüfft ihn, wie er sagt. Roberts Mutter Claudia spricht in diesem Zusammenhang von Inselbegabungen, die ihr Sohn habe. Auch das logische Denken und ein fotografisches Gedächtnis scheinen offenbar dazuzugehören. Denn gingen Schachpartien früher regelmäßig zugunsten des Großvaters aus, hat der gegen seinen Enkel heute kaum noch eine Chance, nachdem Robert in einer Rehabilitationseinrichtung in Bremen war. &bdquo;Da hat mich ein Pfleger fit gemacht, gegen den ich gespielt habe“, sagt Robert Knappe und blickt seinen Opa auf der anderen Seite des Schachbretts fast schon mitleidvoll an, bevor er ihn schach-matt setzt. Zwischen fünf und fünfzehn Minuten dauern diese Partien höchstens. Das fotografische Gedächtnis zeigt sich in seiner Orientierungsfähigkeit. &bdquo;Einmal holte ich Robert aus Vlotho ab und wir konnten auf dem Rückweg wegen einer Sperrung nicht die Autobahn nehmen“, erinnert sich Hans Knappe. &bdquo;Ich kannte keinen anderen Weg und hatte auch kein Navigationsgerät. Robert fand den Weg und leitete mich“, erzählt der Großvater. Robert selbst lächelt stolz, fasst sich für die Erklärung dazu aber kurz: &bdquo;Ich hatte einfach die Bilder im Kopf.“ &bdquo;Seit einigen Jahren nehmen seine Fähigkeiten ab“ In seinem Kopf verändert sich seit einigen Jahren allerdings viel, was ihm nach und nach alle Lebensfunktionen nimmt. &bdquo;Wenn man sich die Bilder aus dem MRT ansieht, kann man mit der Zeit immer mehr dunkle Bereiche im Gehirn erkennen“, sagt Claudia Knappe. Die Folgen können unterschiedlich sein. Laut einer Information des Vereins ELA werden Betroffene je nach Krankheitsverlauf blind, gehörlos, bewegungsunfähig, können nicht mehr sprechen und essen. Sie haben zum Teil starke Schmerzen, weisen Spastiken auf und entwickeln eine fortschreitende Demenz. In aller Regel werden nach jetzigen Erkenntnissen aber alle Formen der Leukodystrophie letztlich zum Tod führen. &bdquo;Bis zu einem gewissen Alter hat Robert noch Dinge dazugelernt. Doch seit einigen Jahren nehmen seine Fähigkeiten ab“, sagt Claudia Knappe. 1 von 7.600 Kindern kommt pro Jahr mit einer Leukodystrophie auf die Welt. Es existieren aber &bdquo;aussichtsreiche experimentelle Therapien“, heißt es von ELA. Dazu zählen Stammzellentransplantationen wie auch Enzym- und Gentherapien. &bdquo;Die Forschung ist da sehr aktiv“, sagt Claudia Knappe. Ein besonderer Fokus liegt derzeit auf einer Form der Leukodystrophie, der Metachromatischen Leukodystrophie (MLD). Dabei sammeln sich giftige Substanzen im Gehirn an. ELA setzt sich dafür ein, dass diese Erkrankung in das bestehende Neugeborenen-Screening aufgenommen wird. &bdquo;Eine Therapie ist aber möglich, sofern man vor dem Auftreten erster Symptome damit beginnt“, sagt Claudia Knappe. Für das Screening müsste dem Neugeborenen lediglich ein Blutstropfen entnommen werden, der in einem Speziallabor untersucht wird. &bdquo;ELA hilft aber auch den betroffenen Familien mit der Erfahrung von Mitgliedern, die bereits einen Weg hinter sich haben“, sagt die Mutter von Robert. Bei einem ersten Kontakt konnte Claudia Knappe alle Unterlagen ihres Sohns dorthin senden und erhielt Informationen und Hilfe zu bestimmten Lebenslagen, die die Erkrankung mit sich bringen kann. Etwa 400 Mitglieder zählt der Verein in Deutschland derzeit. &bdquo;Es ist heute besser, wenn bald alles vorbei ist“ Fragt man Robert Knappe nach seinen Erinnerungen an die Kindheit, wird er etwas ernster und spricht davon, dass die Zeit für ihn nicht so schön gewesen sei. In der Schule habe er oft gehört, dass er was falsch macht. Andere hätten auch über ihn gelacht. Der dann folgende Satz trifft den Zuhörer dann wie ein Hammer: &bdquo;Da ist es heute besser, wenn bald alles vorbei ist.“ Im nächsten Moment muss Robert aber wieder lachen, denn am nächsten Tag fährt er zusammen mit seiner Mutter mit dem Zug nach München zum Fußball. Die Bayern sind sein Lieblingsclub. Aber auch Arminia Bielefeld. Als er mal als Jugendlicher im Krankenhaus war, dauerte es ihm zu lang. Vom Chefarzt verabschiedete sich Robert mit den Worten: &bdquo;Ich habe keine Zeit mehr. Ich muss jetzt auf die Alm.“ Lustige und harte Momente liegen dicht beieinander. &bdquo;Lange Zeit haben wir die Krankheit nicht verstanden“, sagt Claudia Knappe. &bdquo;Robert hat uns die Augen geöffnet und sie uns auf seine Weise erklärt.“

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