Jugendamt Bünde: Zahl gefährdeter Kinder in Familien ist stark gestiegen

Bünde. Die Coronazeit und die damit verbundenen Einschränkungen und Isolationen wird gesellschaftlich wohl noch länger ihre Schatten werfen. So wird es auch im Bünder Jugendamt gesehen. Dessen Chef Marco Frodermann hat dem Jugendausschuss am Dienstagabend Zahlen präsentiert, die einige Ausschussmitglieder erschrecken ließen. Konkret geht es dabei um Kindeswohlgefährdungen und Heimunterbringungen. Innerhalb eines Jahres hat sich in Bünde die Zahl der Fälle, in denen Kinder aus Familien herausgelöst wurden, um sie in einem Heim unterzubringen, in etwa verdoppelt. Das teilte Frodermann den Ausschussmitgliedern mit. Diese Maßnahmen liegen in der Zuständigkeit des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) des Jugendamts. Der Jugendamtschef ließ keinen Zweifel daran, dass die aktuelle Situation besonders ist, denn in Fällen einer oft aus der Nachbarschaft gemeldeten möglichen Gefährdung von Kindern sei laut Frodermann immer der gesamte ADS involviert. Zwei Personen müssen nach dem Vier-Augen-Prinzip die nötigen Überprüfungen der Kindeswohlgefährdung in der Familie vornehmen. Mit dabei ist immer auch die Leiterin des ASD, Birte Huntebrinker, und Marco Frodermann als Amtsleiter selbst. &bdquo;Szenarien, wie sie früher undenkbar waren“ Frodermann berichtet: &bdquo;Ich erlebe mittlerweile Szenarien bei uns auf dem Flur, die früher, als Frau Wolff noch meine Chefin war, undenkbar gewesen wären.“ Bis etwa 2019 waren im Durchschnitt 18 bis 19 Kinder wegen einer möglichen Gefährdung über einen Monat verteilt in einem Heim untergebracht. &bdquo;Heute sind wir beim Doppelten“, so Frodermann. Das habe auch mit der Unterbringung von &bdquo;Unbegleiteten minderjährigen Ausländern“ (UMA), wie die jungen Flüchtlinge im Verwaltungsdeutsch bezeichnet werden, zu tun. 24 dieser Jugendlichen leben derzeit in Bünde. Vor zwei Jahren waren es noch null. Kindeswohlgefährdungen werden häufig aus der Nachbarschaft gemeldet. &bdquo;Davon hatten wir zwei oder drei pro Monat. Mittlerweile bekommen wir solche Meldungen täglich“, so Frodermann weiter. Auch für ihn &bdquo;unvorstellbar, wie sich das verändert hat“. Und sei es früher nicht selten der Fall gewesen, dass jemand nur einen &bdquo;unliebsamen Nachbarn beim Jugendamt anschwärzen wollte, was dann nach einer Prüfung im Sande verlief, werden wir heute oft fündig“, sagte der Jugendamtsleiter. Aus diesen &bdquo;Funden“ würden aber auch Hilfen für diese Familien resultieren. Ein weiterer Unterschied zu früher sei, dass die Jugendamtsmitarbeiter damals die meisten Familien schon gekannt hätten. &bdquo;Heute treffen wir überwiegend nicht mehr auf Familien, die wir kennen. Es sind Familien, von denen wir noch nie etwas gehört haben“, so Frodermann. Hat das Bünder Jugendamt 2018 noch 46 solcher Meldungen aufgenommen, waren es im vergangenen Jahr schon 117. &bdquo;Es gibt in der Bevölkerung ein anderes Meldeverhalten. Die Leute gucken mehr“, so Frodermann. Kontaktsperren aus der Pandemie wirken noch nach Ralf Mengedoth, Leiter der Jugendhilfe Schweicheln, machte im Ausschuss deutlich, dass vielen Familien noch die &bdquo;Coronazeit in den Knochen sitzt“. Ein wesentlicher Effekt im Zusammenhang mit den hohen Fallzahlen sei, dass &bdquo;eine erhebliche Anzahl von Kindern in Familien, die in schwierigen sozialen Situationen und in Armut aufwachen. Und diese Zahl sinkt leider nicht. Das bedeutet nicht, dass arme Eltern ihre Kinder schlechter betreuen. Aber sie haben weniger Möglichkeiten und Netzwerke, um Ressourcen bei ihren Kindern zu fördern“, so Mengedoth. In vielen Familien würden noch die Kontaktsperren aus der Pandemiezeit nachwirken. &bdquo;Das hat zu erheblichen Konsequenzen in den Entwicklungen geführt“, sagte Ralf Mengedoth, der einen Punkt ansprach, den auch Marco Frodermann bereits andeutete: die qualifizierte Beschäftigung von Jugendlichen, die nicht mehr bei ihren Eltern leben und von der Jugendhilfe betreut werden. &bdquo;Wenn die Betreuungsplätze rar sind, ist die Gefahr groß, dass ein Platz für einen Jugendlichen nicht unbedingt der für ihn beste Platz ist. Wir müssen dieses System sehr gut im Auge behalten.“ Jugendamtschef Marco Frodermann warf dazu ein, dass man im Zusammenhang mit einer Heimunterbringung die Betreuungsplätze für die Jugendlichen ausschreiben konnte. &bdquo;Wir konnten damals noch zwei oder drei verschiedene Plätze zusammen mit den Eltern ansehen. Das ist heute nicht mehr möglich. Heute können wir froh sein, wenn wir diejenigen, die wir unterbringen müssen, weil sie nicht zu Hause bleiben können, irgendwo unterbringen.“ Es fehle schlichtweg die Steuerungsmöglichkeit.

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