Einer der Letzten seines Berufs: Bünder Klavierbaumeister kritisiert Wegfall der Meisterpflicht

Bünde. Was haben Schafe und ein Klavier oder Flügel gemeinsam? Eine Frage, die der Bünder Jürgen Werner gern jemandem stellt, der sich mit ihm über seinen Beruf unterhält. Seit 1975 betreibt der Klavierbaumeister seinen Betrieb in Bünde und gehört damit zu einer Zunft, die in den vergangenen Jahrzehnten in ihrem Bestand stark geschrumpft ist. Es gibt nur noch wenige. &bdquo;Instrumentenbau ist Feinmechanik“ sagt Jürgen Werner, während sein Blick über ein Stück aus dem Innenleben eines Flügels schweift. Jahrgang 1947 ist er und kann von Glück sagen, dass er in seinem Beruf einen Nachfolger für sein Geschäft gefunden hat – und mit Sohn Christian dann auch noch in der eigenen Familie. &bdquo;Im Grunde geht das auch nur innerhalb der Familie, denn einen Betrieb, den man 30 oder 40 Jahre lang aufgebaut hat, kann man nur verschenken. Das kann einem niemand bezahlen. Oder man ist am Gewinn in Form einer Erbpacht beim Nachfolger beteiligt. Um bis zu 90 Prozent ist unsere Branche geschrumpft“, sagt Jürgen Werner und zählt die verschiedenen größeren Hersteller mit ihren früheren und heutigen Produktionszahlen auf. Bei einem sei die Zahl sogar von etwa 8.000 Klavieren auf 250 gesunken. Haben die Menschen keine Lust mehr, Klavier zu spielen? &bdquo;Das ist nicht der Grund“, sagt Werner. &bdquo;Klaviere halten heute 150 bis 250 Jahre. Wir wissen nicht, wann sie kaputt gehen. Und gehen sie kaputt, liegt das mangelhafter Pflege.“ Kaum jemand, der ein neues Instrument kaufen würde. Ein Bereich seines Geschäfts basiert deshalb auch auf der Vermietung von Klavieren und Flügeln. &bdquo;Falls Sie nicht sicher sind, ob Sie oder Ihr Kind genügend Ausdauer aufbringen, oder ob das Klavierspiel Ihr Hobby werden könnte, probieren Sie es mit einem Mietklavier in Ruhe aus“, werben Jürgen Werner und sein Sohn. Identische Klaviere klingen nie gleich Und dennoch werden – wenn auch in wesentlich geringerer Zahl – Instrumente von großen Marken wie Blüthner oder Sauter gefertigt. Jürgen Werner steht vor einem Flügel im Gegenwert einer kleinen Eigentumswohnung und sagt: &bdquo;So was kaufen sich vielleicht Leute, die gut verdient, gespart und sich fast alle Wünsche erfüllt haben, aber sich zum Eintritt in den Ruhestand noch etwas gönnen wollen.“ Wer musikalisch weniger bewandert ist und kein feines Gehör hat, dem kann Jürgen Werner auf die Sprünge helfen und deutlich machen, ob und warum ein Instrument gut oder weniger gut klingt. Aber selbst Instrumente identischer Bauart klingen niemals gleich. Als Sohn eines Lehrers aus Dünnerholz, der selbst Musik gemacht hat, besuchte Jürgen Werner das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium, doch ein Studium kam für ihn nicht in Frage. Das Handwerk hatte es ihm angetan und nach seiner Ausbildung bei Grotrian-Steinweg in Braunschweig und der Gesellenzeit schloss sich die Meisterausbildung an. &bdquo;Die Kirche hat die entsprechende Lobby für die Orgelbauer“ Doch mit der Meisterausbildung im Klavierbauhandwerk ist das so eine Sache. &bdquo;Es gibt keine Meisterpflicht mehr, um ausbilden zu dürfen“, sagt Jürgen Werner und ergänzt, während er nachdenklich eine Augenbraue hochzieht: &bdquo;2006 hatte ich meinen letzten Auszubildenden im Betrieb, als der Meisterzwang bei uns weggefallen war.“ Werner schiebt das darauf, dass die Klavierbranche keine Lobby in der Politik hat. &bdquo;Bei den Orgelbauern war der Meisterzwang auch abgeschafft worden und wurde 2020 aber wieder eingeführt. Und warum?“ Jürgen Werner hilft beim Finden der Antwort und fragt: &bdquo;Na, wo stehen die meisten Orgeln? Richtig: In den Kirchen.“ Und die könnten seiner Ansicht nach den nötigen Druck auf die Politik ausüben. Trotzdem erzählt Jürgen Werner heute noch stolz, dass er Ende der 1980er Jahre die erste junge Frau in OWL zur Klavierbauerin ausgebildet hat. Im Übrigen mag Jürgen Werner keine Leute, die meinen, von Klavierbau etwas zu verstehen, nur weil sie das Instrument spielen können und meint damit manche Musiker, die die Mechanik oder Bauweise eines Instruments für einen vermeintlich &bdquo;schlechten Klang“ verantwortlich machen. &bdquo;Manche verwechseln Klang und Geschmack. Man kann auch sagen: Wer eine Fahrschule hat, kann allein deshalb noch lange keine Autos reparieren oder gar bauen.“ &bdquo;Ehrlichkeit ist einer der Grundpfeiler im Handwerk“ Ehrlichkeit ist für den 76-jährigen Klavierbaumeister einer der Grundpfeiler im Handwerk, denn alles andere würde nicht lang währen. Selbst als er schon längst selbstständig war, nahm sein alter Lehrmeister noch einmal Kontakt zu ihm auf und bat ihn um die Begutachtung eines zum Verkauf stehenden Instruments in der Nähe von Bünde. &bdquo;Ich hätte dem Verkäufer auch ein besseres Angebot machen können, aber das gehört sich nicht“, sagt Werner, der die Geschäfte zwar längst an seinen Sohn übergeben hat, aber täglich in der Werkstatt arbeitet und den Instrumenten auf den Zahn fühlt, sie wartet, repariert und stimmt. Und das seit fast 50 Jahren im eigenen Meisterbetrieb. Übrigens: Es ist die Wolle. Also die Gemeinsamkeit von Schaf und Klavier oder Flügel. Sie ist als extrem stark gepresster Filz auf den so genannten Hammerköpfen angebracht, die die Saiten anschlagen. Mal hart, mal ganz sanft. Ebenso, wie der Mensch, der die Tasten anschlägt, sich ausdrücken will.

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