Geiseldrama von Gladbeck: Gangster stoppten im Bünder Land an Raststätte

Bünde/Kirchlengern/Rödinghausen. Das Gladbecker Geiseldrama hält die Menschen in Deutschland und den Niederlanden vor 34 Jahren in Atem. Nach einem gescheiterten Banküberfall bringen die Schwerverbrecher Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner mehrere Menschen in ihre Gewalt. Die mehrtägige Flucht führt die Gangster mit ihren Geiseln auch durch das Bünder Land. Was immer noch kaum bekannt ist: An der Raststätte Grönegau, an der Grenze zu Bruchmühlen, hätten die Täter von der Polizei gestoppt werden können. Davon ist ein ehemaliger Elite-Polizist überzeugt, der während des Geiseldramas im Einsatz ist. Weniger als 24 Stunden nach Beginn der Geiselnahme am 16. August 1988 flüchten Rösner und Degowski mit erbeuteten 400.000 D-Mark und zwei Bankangestellten als Geiseln nach Münster. Dort steigt Rösners Freundin Marion Löblich in das Fluchtauto. Über die A1 führt die Fahrt nach Osnabrück und weiter auf die A30. An der Raststätte Grönegau halten die Gangster in der Nacht zum 17. August gegen 3.20 Uhr mit ihren Geiseln – und machen eine Pause. Die Polizei ist über den Zwischenstopp informiert, im zuvor von den Tätern gestohlenen Fluchtwagen befinden sich eine Wanze und ein Peilsender. Polizeibeamte entdecken das Auto auf dem Parkplatz der Raststätte. &bdquo;Nach weiteren Vorbeifahrten wurde festgestellt, dass das Fahrzeug leer war“, heißt es im Untersuchungsbericht des NRW-Landtags, der dieser Zeitung vorliegt. Zwei Polizisten tarnen sich als Paar und betreten die Raststätte Weil die Fahnder die Verbrecher in der Raststätte vermuten, erkunden zwei Polizisten – getarnt als Paar – die Raststätte. Sie treffen auf die Gangster und die Geiseln, die an einem Tisch sitzen. Rösner und Degowski sitzen mit Blick in Richtung Parkplatz, um den Fluchtwagen und den Verkehr beobachten zu können. Marion Löblich sitzt an der Ecke des Tisches. Die beiden Geiseln werden mit dem Rücken zu den Fenstern platziert. Von einer Toilette aus übermitteln die Zivilpolizisten per Funkgerät ihre Beobachtungen. Die Minuten vergehen. Es ist mittlerweile 4 Uhr in der Nacht, als Rösner und seine Freundin Löblich zur Toilette gehen. &bdquo;Auch dies wurde über Funk den Observationskräften mitgeteilt“, heißt es im Untersuchungsbericht. Die Geiseln bleiben mit dem bewaffneten und unter Medikamenten und Alkohol stehenden Degowski allein im Restaurant. Hinter den Kulissen planen Polizeibeamte, die Verbrecher zu überwältigen. Doch die Polizei zögert. Im Untersuchungsbericht des NRW-Landtages heißt es, dass &bdquo;es aus zeitlichen Gründen nicht mehr zu einem Zugriff“ gekommen ist. Experte: "Und dann kam die Riesenchance" Für Rainer Kesting, dem früheren Anführer des Dortmunder SEK, ist das eine Fehlentscheidung, wie er 20 Jahre nach dem Geiseldrama gegenüber dem Magazin &bdquo;Focus“ erklärt. &bdquo;Die Kollegen waren hautnah dabei“, sagt der Elite-Polizist. Beamte eines Mobilen Einsatzkommandos hätten sogar am Nebentisch gesessen. &bdquo;Und dann kam die Riesenchance. Rösner und seine Freundin Marion Löblich, die unterwegs zugestiegen war, gingen runter zur Toilette. Unten standen schon zwei Beamte. Einer funkte seinem Chef, Rösner stehe gerade hinten am Pissoir. Er fragte, ob er Rösner denn umhauen solle. Rösner hätte gar nicht so schnell gucken können, wie er überwältigt worden wäre. Aber leider gab es keine Bestätigung der Einsatzleitung zum Zugriff“, sagt Kesting. Und was wäre mit Degowski passiert? Den hätten Beamte zeitgleich ausgeschaltet, berichtet der ehemalige Elite-Polizist. Doch zur Festnahme kommt es nicht. Sechs Minuten nach dem Gang zur Toilette kehren Rösner und Löblich an den Tisch zurück. Die Gangster verlassen mit den Geiseln die Raststätte. Noch einmal hält der Wagen auf dem Parkplatz an. Einer der Täter steigt aus und wirft Müll in einen Papierkorb. Dann rast das Fluchtauto davon. In Bad Oeynhausen verlassen sie die A30 Über die A30 fahren die Gangster durch das Bünder Land und durch Löhne. In Bad Oeynhausen verlassen sie die Autobahn 30 und wechseln auf die A2 mit Ziel Ruhrgebiet. Die Flucht der Gangster geht bis zum Nachmittag des 18. August weiter. Erst dann stoppen Spezialkräfte die Irrfahrt der Schwerverbrecher. Während der weiteren Flucht in einem entführten Linienbus ermordet Degowski an der Raststätte Grundbergsee den 14-jährigen Italiener Emanuele De Giorgi. Während der abschließenden Polizeiaktion auf der Autobahn 3 bei Bad Honnef, wo die Verbrecher von der Polizei mit Gewalt gestoppt werden, stirbt die damals 18-jährige Geisel Silke Bischoff durch Schüsse aus einer Pistole. Eine forensische Untersuchung ergibt später, dass das Projektil aus Rösners Waffe stammt. Eine weitere Geisel, Ines Voitle, wird bei dem Zugriff verletzt. Der Untersuchungsausschuss des NRW-Landtages stellt 1990 zum Verhalten der Polizei an der Raststätte Grönegau fest, dass &bdquo;die eingesetzten Beamten sowohl bei der Durchführung der Observation als auch bei der Entscheidung, keinen Zugriff vorzuschlagen, nicht fehlerhaft gehandelt haben“.

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