Queer & katholisch: "Ziviler Ungehorsam führt manchmal zu Veränderung"

Bünde. Im Film &bdquo;Wie Gott uns schuf“ outen sich im Januar hundert Mitarbeitende aus ganz Deutschland als lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, transsexuell, intersexuell und queer. Im Gespräch mit der NW nimmt Ulrich Martinschledde, Gemeindereferent der katholischen St. Josef Kirchengemeinde Bünde, Stellung zu der Diskriminierung betroffener Personen und sagt, ob er sich in Zukunft auch Trauungen von homosexuellen Paaren vorstellen kann. Herr Martinschledde, im Film sitzen gestandene Erwachsene teils weinend vor der Kamera und berichten von langen Leidenswegen. Aufgrund ihrer Sexualität und Geschlechtsidentität werden sie diskriminiert. Schockiert Sie das? Berührt hat mich das Leiden der Menschen. Der weinende Pfarrer, die Dekanatsreferentin, der gekündigt wurde. Ich weiß natürlich um grundsätzliche Dinge. Wer im katholischen Dienst ist, hat die katholische Grundordnung zu respektieren. Es muss zwar nicht mehr jede Putzfrau oder Ärztin im katholischen Krankenhaus darauf Rücksicht nehmen, aber die Mitarbeiter im Verkündigungsdienst. Das sind ReligionslehrerInnen, GemeindereferentInnen und Priester. Das öffentliche Outing so vieler Menschen hat noch mal deutlich gemacht, wie wir in der Kirche mit Menschen und auch mit Mitarbeitern umgehen. Sie finden also den Umgang der Kirche mit Homosexualität und Queer sein falsch? Ich kann da ein paar Schritte mitgehen, wenn es um die Einhaltung der Grundordnung geht. Wenn wir für die Kirche und ihre Werte stehen, dann sollten wir das in unserem Leben auch repräsentieren. Aber die Krux ist schon länger, dass die Sexualmoral der Kirche den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklungen 30 bis 40 Jahre hinterherhinkt. Wir müssen dringend dran und die Sexualmoral überprüfen. Danach ändert sich vieles andere. Was die Seelsorge angeht, ist in den letzten Jahren schon viel passiert. Da gab es schon Initiativen, so wie zum Beispiel im Mai 2021 als es Segnungsgottesdienste für homosexuelle Paare gab. Nachdem aus Rom ein Verbot solcher Segnungen kam, gab es eine große Solidarisierung in der deutschen katholischen Kirche. Da haben viele gesagt: Jetzt erst recht. Ich denke aber auch, dass es gut ist, dass sich Kirche auf Traditionen beruft. Es ist gut, nicht jeder Modeerscheinung hinterher zu laufen. Und: Sie beruft sich auf biblische Grundlagen. Es gibt jedoch unterschiedliche Arten die Bibel zu lesen. Ganz platt kann man immer sagen: Das steht jetzt so in der Bibel ... aber steht denn in der Bibel, dass Homosexualität verboten ist? Darauf wollte ich hinaus: Es ist zu einfach zu sagen: In der Bibel steht immer wortwörtlich die Wahrheit. Das geht gar nicht. Deswegen muss man immer schauen: Was wurde in welchem historischen Kontext gesagt? Homosexualität wurde vor 2000 Jahren im Mittelmeerraum anders bewertet als im Jahr 2022 in Deutschland. Ich glaube der entscheidende Faktor, warum man etwas Gutes mit Sätzen wie “Du darfst nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft; das wäre ein Gräuel” wie im dritten Buch Moses tun wollte ist, dass es zu dieser Zeit in reichen Kreisen so war, dass man sich männliche Lustknaben gehalten hat. Und die christliche und jüdische Religion war daran interessiert, Ungerechtigkeiten aufzuheben. Klar: Bei Männern hat man da genau hingeschaut, bei Frauen nicht. Aber junge Männer in so einem Abhängigkeitsverhältnis zu halten: Das war vor 2000 Jahren zu verurteilen. Die Stellen haben eher etwas mit der Ausnutzung von Machtverhältnis zu tun als mit Homosexualität. Homosexualität ist nicht erlaubt. Empfängnisverhütung und außerehelicher Geschlechtsverkehr auch nicht. Letzteres macht aber doch jeder. Was ist der Unterschied? Das erste ist eine offensichtliche Geschichte. Das ist etwas, wo Menschen offen dran Anstoß nehmen können. Das andere kann quasi niemand überprüfen. Seit Jahren ist es aber auch so: Beim Umgang mit Mitarbeitenden wurde in der Vergangenheit die Lebenssituation als Einzelfall zu betrachtet. Es wurde gesagt: Okay, wir wissen, deine Ehe ist gescheitert und du lebst in neuer Partnerschaft zusammen oder du bist homosexuell. Solange du die Füße still hältst und in der Gemeinde niemand Anstoß nimmt, werden wir da nicht dran rühren, weil wir es nicht offiziell wissen. Ein Leiden an dieser Situation kann sich nur ändern, wenn sich die Einstellung zu Sexualität in der katholischen Kirche ändert. Kann sich nur für queere Menschen in der Kirche etwas ändern, wenn die Gemeinden vor Ort sich Rom widersetzen? Es gibt unterschiedliche Sichtweisen auf das Problem. In der Seelsorge haben wir direkt mit den Menschen zu tun. Wir sehen, wie sie leben, wer mit wem lebt und welche Probleme sie haben. Sie zu unterstützen, ist unser Auftrag. Die Kirche in Rom hat den Auftrag die gesamte Weltkirche im Blick zu haben, den Laden zusammenzuhalten und nicht zu spalten. Deswegen darf es da unterschiedliche Sichtweisen geben. Aber ich muss auch sagen: Ein bisschen ziviler Ungehorsam führt vielleicht manchmal zu Veränderung. Das haben wir oft erlebt. Was das Bistum Paderborn angeht, dem wir angehören, würde ich sagen, dass wir schon weiter sind. In den neuesten Verlautbarungen - die nennen sich Zielbild 2030 plus - steht unter Festlegungen: Wir fördern eine Kultur der Wertschätzung unterschiedlicher Lebensentwürfe und setzen uns für den Abbau von Diskriminierung ein. Dies umfasst auch geschlechtersensible und queersensible Pastoral. Für das Bistum gehört das dazu. Der Bischof hat das unterschrieben. Was die Mitarbeiter angeht, da hat sich der Generalvikar vor einigen Tagen zu Wort gemeldet und gesagt, dass niemand Angst haben muss rausgeschmissen zu werden. Das finde ich ein gutes Zeichen. Dazu muss man aber auch sagen: Das nimmt zwar aktuell den Druck aus dem Kessel, aber das gilt alles nur so lange wie der Bischof und der Generalvikar da sind. Der Bischof geht in ein bis zwei Jahren. Dann kann sich von jetzt auf gleich die Politik ändern. Können Sie sich persönlich vorstellen in der Zukunft in Bünde auch homosexuellen Paare zu trauen? Da muss ich jetzt wirklich länger drüber nachdenken. Ich denke, wir sind in einem Prozess und wenn er so weitergeht, dann wird auch die Ehe für homosexuelle Paare auf dem Tisch liegen. Es wird vermutlich wesentlich länger dauern als im staatlichen Bereich. Da kommt dann das Familienbild von Vater, Mutter und Kind ins Wanken. Das will man jetzt auch nicht beliebig machen, weil es wertvoll ist. Auf der anderen Seite sind die gesellschaftlichen Erkenntnisse andere. Das sieht man auch im Film zum Beispiel bei der Dekanatsreferentin, die mit ihrer Frau zusammenlebt und die gemeinsam zwei Kinder haben. Ich glaube nicht, dass die Kinder deswegen Schaden nehmen. Da kann ich mir eher vorstellen, dass Kinder Schaden nehmen, wenn der Vater säuft. Das anders zu bewerten, ist aber in der Kirche noch ein mühsamer und langsamer Prozess.

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