Bünde

Bünder Fachgeschäfte im Wandel

Erinnerungen an altes Else-Wasser (6): Viele Fachgeschäfte müssen dem Zeitgeist weichen. Tanken wird man zukünftig häufiger sicherlich in der eigenen Garage. Doch Musik war immer auch eine Lebenseinstellung.

Seit Elektronik-Geräte Wegwerfartikel geworden sind, braucht auch niemand die Werkstatt im alten "HiFi-Stübchen" mehr. | © Nicolas Bröggelwirth

10.05.2021 | 12.05.2021, 10:25

Bünde. Seltsame Fenster! Sie werden gerade neu gemacht und passen so gar nicht zu diesem Haus. Oder vielleicht passen sie auch einfach nicht zu meinen Erinnerungen. Bald wird hier eine Anwaltskanzlei einziehen. Selbstverständlich gibt es Fortschritt, natürlich gibt es Veränderung, aber das ist doch sicherlich irgendwie illegal.

Wenn man die Eschstraße Richtung Goetheplatz entlang geht, führt zwei Häuser nach der Steinmeisterstraße ein Aufgang zu dem etwas höher liegenden Eingang. Hier war früher eines der wichtigsten Geschäfte für uns. So manches Budget, welches man zur Konfirmation aus den Zuwendungen der kompletten Verwandtschaft zusammengetragen hatte, wurde hier vollständig aufgebraucht.

Kenwood war eine gute Marke, aber auch sehr teuer. Bestand der HiFi-Turm lediglich aus Geräten von Sony, konnte man schon mal einen eher mitleidigen Blick ernten. Pioneer war ein gutes Mittelmaß. Aber bitte keine Radio-Receiver! Der Verstärker musste ein separates Gerät sein, sonst beeinflusste das negativ den Klang, so bildeten wir uns ein. Boxen unter Hüfthöhe und mit weniger als drei Wegen waren gesetzlich gar nicht erst erlaubt.

Für wenige Pfennige konnte man dort auch Stäbchen-Sicherungen und andere Kleinteile in der Werkstatt im ersten Stock kaufen, in der es immer nach Lötzinn roch. Damals lohnte es sich wohl noch, Elektrogeräte zu reparieren. Eine Sicherung am Verstärker austauschen? So etwas hatte man Ratz-Fatz selber gemacht. Das „HiFi-Stübchen“ an der Eschstraße 66 hat uns ausgestattet, sozusagen grundversorgt. Aber da gab es ja noch etwas anderes.

E-Gitarre gehört auf den Plattenteller

Was gehört auf einen deutschen Grill? „Nacken, Nacken und Nacken“, erklärte uns Dietmar Wischmeyer. Und was gehört auf einen Plattenteller? „E-Gitarren, E-Gitarren und E-Gitarren“, erklärten wir uns selber. Gut, ein wenig Kuschelrock für eventuellen Damenbesuch war auch mal mit dabei. Das alles bekam man in der Music-Box an der Bahnhofstraße. So manche offizielle und auch inoffizielle Freistunde wurde hier verbracht. Das Personal war geschult. Man konnte ihnen ein Lied vorsummen, und die Mitarbeiter wussten meistens auch tatsächlich, um welches es sich handelt. Hier wurde stets gefachsimpelt, und man bekam als 15jähriger ohne Nachfrage auch eine EP mit indizierter Geschwisterliebe verkauft, obwohl die „Ärzte“ extra groß „Ab 18“ darauf geschrieben hatten.

Doch was sollte man kaufen? Die neue von „Running Wild“ oder doch lieber die „Bat out of Hell II“? Über den Stellagen mit dem Vinyl gab es Kopfhörer, mit denen man in einige „Scheiben“ reinhören konnte, wenn man einen Schalter am Panel drückte. Eine Single kostete damals 5, eine Maxi 10 und eine LP um die 20 Mark. Da reichte das Taschengeld für genau eine LP im Monat, wenn man ansonsten sparsam war. Glücklicherweise gab es im Hifi-Stübchen aber auch Double-Tapes. Das waren Kassetten-Decks mit zwei Laufwerken, so dass man völlig analog auch von dem einen auf das andere überspielen konnte. So sprach man sich ab, wer welche LP kaufte und „Keeper of the Seven Keys“ machte schnell die Runde. So trugen wir unsere Schätze nach Hause. Metallica, Guns ‚n‘ Roses, Faith No More, Iron Maiden, Manowar, Judas Priest und wie sie alle hießen. Wir kopierten und hörten und genossen. Immer wieder von vorne. Laut! Denn Musik kann man nur laut hören. So will es das Gesetz! Unsere Eltern sahen das natürlich meist ganz anders.

Die "Toten Hosen" im Wartezimmer

Noch heute, wenn es ganz still ist, wenn der Wind und die Vögel sich bereits schlafen gelegt haben, kann man so manches Bünder Haus noch „Killing in the name of“ singen hören, weil wir ihnen von unseren Kellern aus mit Minimum 500 Watt Ausgangsleistung eine dermaßen laute Eigenfrequenz ins Mauerwerk geschossen haben, dass die Resonanzen bis heute nachklingen – nachklingen auf Festplatten und auf immer kleiner werdenden Boxen, die leider häufig viel besser klingen als unsere dereinst. Das Kopieren ganzer CDs dauert nur noch Sekunden, ohne dass man die Zeit hätte, eine emotionale Beziehung zur Musik aufzubauen. Gut, dass sie mittlerweile häufig so bescheuert ist. Auch darüber lässt sich trefflich streiten, aber nicht verhandeln.

Ob sie später in der Anwaltskanzlei im alten „HiFi-Stübchen“ für die wartenden Klienten auch laut die „Toten Hosen“ spielen und die Mandanten zu den Klängen von „Fight for your right“ beraten werden? Falls ja, wäre das genau mein Laden. Ich würde gegen Boxen unter Hüfthöhe klagen.

INFORMATION


Stellen Sie sich vor, Sie kämen nach 20 oder 30 Jahren wieder zurück in die Stadt, in der Sie aufgewachsen sind. Bereits viele Autobahnausfahrten oder einige Bahnstationen zuvor erkennen Sie an den Bergen und Bäumen die Gegend Ihrer Heimat wieder. In der Stadt erinnern Sie sich an fast jede Straßenecke, jeden Baum und jedes Gebäude. Sie verbinden Erlebnisse und Menschen mit ihnen. Die Erinnerungen haben Sie damals mitgenommen und einige von ihnen doch hier gelassen. Unser Autor erinnert sich.